Nicht Peter Panter, Kaspar Hauser, Ignaz Wrobel,  sondern Theobald Tiger zu Weihnachten

Kurt Tucholsky

Berlin (Weltexpresso) - Immerhin kommt der Vorname Theobald von Theo, was Gott heißt, und diesem hintersinnigen, scharfen, gewitzten und durch und durch politischem Kopf ist es schon zuzutrauen, daß er dieses Gedicht keinem Kaspar Hauser verantwortete. Der vielleicht bedeutendste Publizist der Weimarer Republik - Die Weltbühne - hatte seit Beginn  der Dreißiger  Jahre (Prozeß gegen Carl von Ossietzky) gewußt, daß sein Rufen vergeblich war und die Gegner von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten Deutschland übernehmen würden. Er zog sich in die Nähe von Göteborg/Schweden zurück, wo er, nachdem ihm die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen hatten, seine Bücher verbrannt wurden und er schwer magenkrank war, am 21. Dezember 1935 durch zu viele Schlaftabletten starb. Die Redaktion


Groß-Stadt-Weihnachten

Nun senkt sich wieder auf die heim'schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glasé.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn,

Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
»Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!«

Und frohgelaunt spricht er vom ›Weihnachtswetter‹,
mag es nun regnen oder mag es schnein,
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.

So trifft denn nur auf eitel Glück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden ...
»Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.«

 

Foto: (c) ndr.de

Info:

Theobald Tiger
Die Schaubühne, 25.12.1913, Nr. 52, S. 1293