Die Fallstricke des Online-Handels
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Online-Handel und seine Kundschaft haben eine Flut von Paketsendungen hervorgerufen, die im Verlauf der letzten 18 Jahre hyperbelähnlich angewachsen ist.
Und sie wird den Prognosen zufolge noch weiter steigen. Diesem Wachstum stehen ein exzessiver Gebrauch von Energie und Rohstoffen, die Expansion von Billiglohn-Sektoren sowie die Krise des Facheinzelhandels gegenüber. Letzterer muss sich zunehmend aus den Zentren der Städte und Vorstädte zurückziehen, weil nennenswerte Teile der Konsumenten die vermeintliche Bequemlichkeit einer Internetbestellung dem Besuch in Ladengeschäften vorziehen.
Eine genaue Analyse der gesamten Folgen dieser Entwicklung führt zu frappierenden Erkenntnissen:
Die Zustellung und relativ häufige Rücksendung von Milliarden Einzelpaketen ist eine Energieverschwendung und sie bedroht wegen der Schadstoffemissionen die Lebensqualität und die Lebenserwartung der Menschen.Eine ähnliche Ressourcenverschwendung an Rohstoffen (Energiegewinnung, Bäume, Wasser, die Natur insgesamt) sind die Verpackungen, die zu wahren Müllbergen anwachsen.Zusätzlich entstehen durch verbotswidrig abgestellte Lieferwagen (Parken in der zweiten Reihe, an unübersichtlichen Verkehrspunkten, in Einfahrten, auf Rad- und Fußwegen) vermeidbare Unfallgefahren.Die Bezahlung der Paketwagenfahrer ist im Durchschnitt so niedrig, dass ihre künftigen Renten nur selten die Grundsicherung übersteigen werden; manche müssen bereits heute Hartz IV-Leistungen zur Aufstockung beantragen.Die Strukturkrise des städtischen Einzelhandels wird zu einen Verlust beim Warenangebot (Angebotstiefe), der Warenqualität (Massenproduktion in Ländern mit geringen Arbeitskosten), der Verbraucherrechte (komplexes Widerrufs- und Umtauschverfahren) und zu Arbeitsplatzverlusten führen.
Für diese Auswirkungen, die dem Sozialstaat unnötige und nicht adäquate Belastungen aufbürden, wird früher oder später die Gemeinschaft der Steuerzahler aufkommen müssen, während sich die großen Warenanbieter dem Finanzamt gegenüber arm rechnen; der Versandhändler Amazon zählt bekanntlich zu den größten Steuervermeidern und Lohndrückern.
Das Bewusstsein der Online-Kunden bewegt sich nach meinen Beobachtungen zwischen anerzogener Dummheit, Uninformiertheit, Naivität und Zumutungen an die Nachbarschaft. So könnte jeder Besteller seinen Lieferanten dazu verpflichten, Sendungen nur direkt zuzustellen und sie nicht bei Nachbarn abzugeben. Denn deren Freundlichkeit führt nicht selten zu Streitigkeiten und immer wieder auch zu Haftungsproblemen (beispielsweise entsprich das Ablegen vor der Haus- oder Wohnungstür in der Regel nicht der Sorgfalt, die man eigenen Sachen entgegenbringen würde und die man folglich auch fremdem Eigentum angedeihen lassen muss). Ein konsequentes Nein würde die unüberlegte Online-Bestellerei mutmaßlich eindämmen. Ebenso könnte das entschlossene Verhängen von Ordnungsgeld gegen Paketwagenfahrer wegen Gefährdung der Verkehrssicherheit zu einem Umdenken bei Versandhändlern und Paketdiensten führen. Vielleicht ist das Errichten von Paketstationen einer der erwägenswerten Wege, die aus der Krise führen könnten; denn der Weg dorthin würde die gedankenlose Bequemlichkeit empfindlich treffen und wieder einen fairen Wettbewerb zwischen Online- und stationärem Handel ermöglichen.
Ein anderer Weg und der in den meisten Fällen optimalere wäre das Aufsuchen der Einzelhandelsgeschäfte. Die Buchhandlung meines Vertrauens liegt acht Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. Der Laden wird an jedem frühen Morgen von einem Bücherwagen angefahren, der die Bestellungen der Kundschaft anliefert. Vor allem in der Hochsaison für Bücher (allen voran die Weihnachtszeit) erspart das allein diesem überschaubaren Wohnviertel täglich die Zustellung von mindestens 200 Einzelpaketen an der Haustür. Die Sortimentsbuchhandlung gestattet ihren Kunden ebenfalls Recherche und Bestellung in einem Online-Katalog, der das gesamte deutschsprachige Schrifttum enthält. In den meisten Fällen liegt das Gewünschte am nächsten Tag zur Abholung bereit. Mein Buchhändler schafft zudem Arbeitsplätze und zahlt Steuern.
Ähnliches gilt auch für das Schuhgeschäft in der Nähe, ebenso für die bestens sortierte Elektrohandlung. Und vier Gehminuten plus drei Minuten U-Bahn-Fahrt entfernt befinden sich sämtliche angesagten Bekleidungsgeschäfte.
Kurzum: 98 Prozent meines üblichen Bedarfs (einschließlich Lebensmittel) kann ich im Umkreis von maximal 15 Geh- oder Fahrminuten decken. Es gibt mithin keinen Anlass, mich zum Konsumsklaven von Amazon & Co zu machen. Oder ein durch Umweltgifte verursachtes frühzeitiges Dahinscheiden heraufzubeschwören.
Das Internet nutze ich seit den Zeiten von BTX (also seit den frühen 80er Jahren) stattdessen für die kreativen Seiten des Lebens, u.a. für professionelle Informationsrecherchen (ohne Google, Facebook etc.), das Zeitungslesen und für WELTEXPRESSO.
Fotomontage:
Vorsicht! Online-Shopping!
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