Ungewohnte Einsichten in eine Alltagstechnik



Harald Lutz



Frankfurt am Main / Berlin (Weltexpresso) – Wissenschaftler nahmen die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgewirkungen der Waschmaschine unter die Lupe.


Für die Wäsche ihrer fleckigen und verschwitzten Textilien verbrauchen die Bundesbürger etwa 26 Kilo Wasch- und Reinigungsmittel pro Kopf und Jahr. 500 Millionen Kubikmeter Trinkwasser werden jährlich über die Waschmaschine in Abwasser verwandelt. Und zu den Spitzenwaschzeiten montags vormittags, die mit dem Beginn der Arbeitswoche zusammenfallen, wird das Stromnetz strapaziert. Am Beispiel der maschinellen Wäsche, wie sie heute fast in jedem Haushalt anfällt, wurden am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgewirkungen von Alltagstechnik unter die Lupe genommen.

 

Arbeitsersparnis durch die Waschmaschine ist längst wieder wettgemacht

Als Ergebnis wird festgehalten: Die gestiegenen Ansprüche an die Kleidung haben die Arbeitsersparnis, die die Waschmaschine einst bedeutete, längst wieder wettgemacht. Früher dauerte die große Wäsche zwar länger, heute muss dafür aber die doppelte Menge bewältigt werden. Dies lässt sich – so die Berliner Wissenschaftlerinnen und Forscher – besonders gut am Trend in puncto Damenunterwäsche aufzeigen: In den Nachkriegsjahren wechselten nur 27 Prozent aller weiblichen Wesen täglich Höschen und BH. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts waren schon 78 Prozent der Frauen dafür. Etwa ein gleich großer Anteil Jugendlicher hält den täglichen Unterhosenwechsel für selbstverständlich. Die Tendenz ist weiter steigend.



Die Ästhetik hat schon bald die Hygiene beim Wäschewechsel übertrumpft

Die massenhafte Verbreitung von Haushaltsgeräten in West-Europa ab den 1960er Jahren ermöglichte es breiten Bevölkerungskreisen erstmals, in die Hygienekultur besser gestellter Kreise vorzustoßen. Zusammen mit der Verbreitung der Kunstfaser schufen die scheinbar unbegrenzten Waschkapazitäten zeit- wie kostenökonomischen Spielraum für Mode aller Art. Und in dem Maße, wie die Ansprüche wuchsen, sich modisch zu kleiden, wurde auch die Wäsche häufiger gewaschen. Kleidung wurde bereits gewechselt, wenn sie noch gar nicht schmutzig war. Die Ästhetik begann, die Hygiene beim Wäschewechsel zu übertrumpfen.

 

Wer hat schon Lust, sich in die schmutzige Wäsche blicken zu lassen?

Wie weit ästhetische und hygienische Argumente inzwischen auseinanderfallen, beweisen die Herren der Schöpfung: Weiße Oberhemden werden nur einmal getragen; pastellfarbene Shirts wandern nach zwei Tagen in die Wäsche. Und bunte Hemden, bei denen der Schmutz nicht gleich ins Auge springt, werden drei oder mehr Verschmutzungstagen ausgesetzt.

Obwohl Technik „härtester Sorte“, konnte der Waschvollautomat nicht ohne weiteres alle Hausfrauen-Skepsis überwinden. Insbesondere Waschsalons und Gemeinschaftswaschküchen hatten es anfangs schwer: Wer hat schon Lust, sich in die schmutzige Wäsche gucken zu lassen? Wohl wissend, welchem missgünstigen, prüfenden oder lüsternen Blick die Flecken auf der weißen Weste in der Nachbarschaft auslösen können. Heute sind Gemeinschaftswaschküchen besonders in Schweden, Waschsalons in den USA weit verbreitet.

 

Die Waschmaschine – auf den ersten Blick ein Haushaltsgerät ohne jeglichen Charme

Wie weit die Schmutz-Wäsche ihre Kreise ziehen kann, wird an der Diskussion um den Phosphatersatzstoff Nitriloessigsäure (NTA) deutlich: Trotz bester Waschergebnisse steht er in Verdacht, die Bakterienkulturen in den biologischen Klärwerken zu schädigen. Und wenn NTA in die Flüsse und Seen gelangt – so wird am WZB-Berlin befürchtet – löst die Säure Schwermetalle aus den Flussablagerungen, wodurch jahrzehntelange Umweltsünden noch erheblich verschlimmert werden.

Die Waschmaschine erscheint auf den ersten Blick als ein Haushaltsgerät ohne jeglichen Charme. Im Vergleich zum Fernseher, der HiFi-Anlage oder dem Kühlschrank, der in seiner Schlichtheit noch ein wenig Eleganz ausstrahlt, haftet ihr scheinbar nichts Denk-, Frag- und Entdeckungswürdiges, eben nur Selbstverständliches an. Die WZB-Forschungen zeigen durch genaues Hinsehen durchaus ungewohnte Einsichten in eine alltägliche Technik auf.



Nützliche Links:

www.wzb.eu

www.pixelio.de

 

Foto: Cleanicum/Pixelio:

 

 

Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.