Wer falsche Fragen zulässt, erhält die Standardantworten des Kapitalismus
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Schweizer lehnten im Referendum am 5. Juni ein bedingungsloses Grundeinkommen mit Zwei-Drittel-Mehrheit ab. Die Befürworter, die sich aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammensetzen, lagen noch unterhalb von 25 Prozent Zustimmung.
Diese sehr schroffe Ablehnung erfolgte zum einen, weil die Gegenfinanzierung nicht gesichert erscheint. Und weil eine respektable Mehrheit der Schweizer möglicherweise von den Träumen des Individuum auf die Begehrlichkeiten der Allgemeinheit schließt: Nämlich auf den Abmarsch weiter Teile der Bevölkerung in eine Faultiermentalität. Das missbräuchlich verwendete Schlagwort „Freibier für alle“ verdeutlicht diese Einschätzung. Aber auch nationalistische und rassistische Ressentiments vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdebatte, an die vor allem von der Schweizerischen Volkspartei appelliert wurde, diskreditierten die Idee von vornherein.
In Deutschland hingegen würden laut einer EMNID-Umfrage 40 Prozent für ein solches Grundeinkommen votieren, 53 Prozent wären dagegen. Den Befürwortern erscheinen 1.000 Euro monatlich als angemessen.
Dennoch: Ein bedingungsloses Grundeinkommen zählt zu den Versuchen, den Kapitalismus zu retten, ohne ihm dabei besonders weh zu tun. Der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwege hat jüngst in der FR darauf hingewiesen, dass ein solches Einkommen die Deregulierungsabsichten der Neoliberalen entscheidend fördern könnten. Denn dadurch wären auf einen Schlag sämtliche Schutzvorschriften des Sozialstaats Makulatur. Die Habenichtse erhielten ihr Grundeinkommen und hätten keine weiteren Forderungen zu stellen. Die Gutverdienenden, Wohlhabenden und Reichen hingegen erhielten auf das längst nicht immer redlich verdiente Einkommen noch ein Sahnehäubchen. Die Gerechtigkeit, die das bekundete Ziel eines bedingungslosen Grundeinkommens sein soll, bliebe endgültig auf der Strecke.
Einige, aber längst nicht alle Befürworter erkennen zweifellos die objektiven Widersprüche des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Und sie machen sich keine Illusionen darüber, dass mit den bislang bekannten und angewandten Instrumenten kein Ausweg aus der sozialen Dauerkrise möglich sein wird. Denn der Mensch wird immer mehr selbst zur Ware im System Marktwirtschaft. Seine Halbwertzeit ist bald kürzer als die mancher langlebiger Wirtschaftsgüter. Im Lebensalter zwischen 25 und 45 wird er nachgefragt. Zwei Jahrzehnte vor der vorgesehenen Außerdienststellung (Rente) aber immer häufiger zum Schrott erklärt. Das schafft auf Dauer exakt die gesellschaftlichen Voraussetzungen für jenen Wandel, von dem Karl Marx träumte: „Die Menschen arbeiten entsprechend ihren Fähigkeiten und die Gesellschaft teilt ihnen zu entsprechend ihren Bedürfnissen“. Jedoch dachte der Utopist Marx nicht an eines vermeintlichen Schlaraffenlands auf der Basis des Kapitalismus. Vielmehr entwarf er Grundzüge eines neuen gesellschaftlichen Systems.
Bei objektiver Betrachtung könnte ein garantiertes Grundeinkommen eine bedürfnisgerechte Zuteilung garantieren. Aber es würde die angesichts allen Wirtschaftens und aller Herrschaftsstrukturen notwendige grundsätzliche Systemfrage ausklammern. Also die nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln und die daraus entstehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Statt eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre es endlich an der Zeit, ein bedingungsloses Recht auf Arbeit durchzusetzen. Letzeres wäre vermutlich nur durch ein anderes Steuersystem zu realisieren. Hierbei käme der Umsatzsteuer eine Schlüsselrolle zu (z.B. durch extrem hohe Sätze auf Produkte, die objektiv keiner benötigt, die die Umwelt zerstören oder auf solche, die in Billiglohnländern gefertigt wurden). Auch eine Steuer auf hohe Vermögen, auf Immobilienveräußerungen und Börsenspekulationen erscheinen mir als weitere Mittel der Wahl.
Ein garantiertes und bedingungsloses Grundeinkommen könnte den Tod des Kapitalismus möglicherweise verzögern, es wird ihn aber nicht verhindern können.
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Der erwähnte Artikel von Prof. Christoph Butterwegge erschien am 31.05.2016 in der Frankfurter Rundschau unter dem Titel „Ungerechte Gleichheit“.