Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt und des LOEWE-Zentrums SAFE äußern sich zum BREXIT

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das ist doch mal ein guter Gedanke, der zur Tat wurde. Namhafte Experten der Goethe-Universität äußerten sich direkt noch am Freitag zum Votum der Briten, die Europäische Union zu verlassen, was uns erst jetzt erreichte, aber Gültigkeit ab. Wir veröffentlichen diese Hochschulinformation.


Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen


„Die Brexit-Entscheidung ist für die Rest-EU ein Menetekel. Die EU ist nun gezwungen, sich neu zu definieren und neu zu positionieren, zum Beispiel im Rahmen eines Verfassungskonvents. Gesucht ist ein neuer „Bearing Point“, eine Vision, an der man sich auf dem Weg, etwa in eine immer engere Union, orientieren kann. Ein solcher Orientierungspunkt könnte ein „Avantgarde-Modell“ sein, bei dem sich eine Handvoll Staaten für einige ausgewählte Politikbereiche enger zusammenschließen, etwa im Rahmen eines klug konzipierten zwei-stufigen Bundesstaat-Modells mit einer demokratisch legitimierten Spitze, die jedoch stark eingeschränkte Handlungs- und Budgethoheit besitzt. Auch andere Modelle sind denkbar – wichtig ist, dass es einen ernsthaften Versuch gibt, ein neues gemeinsames Ziel festzulegen. Der Bereich der Finanzmärkte kann hier als Modell dienen, da ein „mehr Europa“ in der Bankenunion bereits angelegt ist. Kurzfristig werden wir an den Finanzmärkten eine enorme Instabilität erleben, bis sich alle wichtigen Institutionen neu positioniert haben. Der Brexit ist ein schwerwiegender Test der Bankenunion, dessen Höhepunkt wir vermutlich in der nächsten Woche erleben. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Finanzinstitute ebenso wie Zentralbanken und Aufsichtsbehörden Vorkehrungen getroffen haben, die es erlauben, den Schock gut zu verarbeiten.

Jan Pieter Krahnen ist Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt. Er ist Direktor des LOEWE-Zentrums SAFE und des Center for Financial Studies. Krahnen ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums der Finanzen und berät die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA.




Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Siekmann


„Das Ergebnis des Volksentscheids im Vereinigten Königreich ist ein Weckruf. Alle Entscheidungsträger der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten sind aufgerufen, grundlegende Reformen der Verfassung der (Rest-)Union unverzüglich in Angriff zu nehmen. Ein „weiter so wie bisher“ oder „noch mehr von demselben“ sind keine überzeugenden Strategien. Vor allem muss sofort der weit verbreitete Mechanismus beendet werden, dass Politiker auf europäischer Ebene Maßnahmen beschließen, für die dann die „bösen“ Bürokraten in Brüssel verantwortlich gemacht werden, wenn sie umgesetzt werden. Auch in den Medien wird gerne „Brüssel“ für alles Negative verantwortlich gemacht und mit der Lupe nach Fehlern und Defiziten gesucht, während die großen Leistungen der Europäischen Union kaum der Rede wert sind. Es ist jetzt angezeigt, offen und – notfalls kontrovers – zu diskutieren, wie ein künftiger Bundesstaat auf europäischer Ebene auszusehen hat. In jedem Fall sollte er über eine starke und handlungsfähige Spitze verfügen, bei möglichst weit gehender Autonomie der Länder und Regionen. Seine Einrichtungen und Organe müssen über unmittelbare demokratische Legitimation verfügen unter Einschluss von Elementen direktdemokratischer Mitbestimmung des Volkes in Sachfragen.

Helmut Siekmann hat die Stiftungsprofessur für Geld-, Währungs- und Notenbankrecht am Institute for Monetary and Financial Stability im House of Finance der Goethe-Universität inne. Er gehört zum engen Kreis der Forscher des SAFE Policy Centers. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind das Finanzrecht, das Finanzverfassungsrecht des Bundes und der Länder sowie das Geld- und Notenbankrecht.




Prof. Volker Wieland, Ph.D.


„Die Europäische Union ist ohne Großbritannien keine Europäische Union. Sie würde einen wichtigen Teil Europas verlieren und einen entscheidenden Eckpfeiler des europäischen Friedensprojekts nach dem zweiten Weltkrieg. Das knappe Brexit-Votum muss noch nicht das letzte Wort sein. Es gibt Zeit und Raum zum Überdenken. Es wäre ein großer Fehler, wenn die anderen EU-Mitglieder mit kindischer Enttäuschung reagieren nach dem Motto „Reisende soll man nicht aufhalten“. Wir müssen anerkennen, dass sich viele Bürger in Europa, nicht nur in Großbritannien, nationale Souveränität wünschen. Für den Ausdruck nationaler Identität und den Wunsch nach Selbstbestimmung reichen Fußballmeisterschaften nicht aus. Anstatt nach jeder Krise mechanisch nach „mehr Europa“ zu rufen, müssen wir sorgfältig darüber nachdenken, wie man die europäischen Institutionen so neu justieren kann, dass sich die richtige Balance aus supra-nationalen Befugnissen und nationaler Souveränität ergibt. Für die Eurozone heißt das zum Beispiel sicherzustellen, dass nationale fiskalische Unabhängigkeit und eine stabile Währungsunion koexistieren können.“

Volker Wieland ist Inhaber der Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie sowie Geschäftsführender Direktor am Institute for Monetary and Financial Stability sowie Principal Investigator am LOEWE-Zentrum SAFE. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums der Finanzen.




Das LOEWE-Zentrum SAFE – Sustainable Architecture for Finance in Europe – widmet sich der Analyse der europäischen Finanzmärkte und ihrer Regulierung. Mehr als 50 Professorinnen und Professoren und ebenso viele Nachwuchswissenschaftler/innen aus den Feldern Finanzökonomie, Makro- und Mikroökonomie, Rechtswissenschaft, Marketing, Soziologie und Finanzmathematik erforschen im Rahmen von SAFE die Anforderungen an einen optimalen Ordnungsrahmen für moderne und stabile europäische Finanzmärkte. Darüber hinaus bietet das SAFE Policy Center forschungsbasierte Politikberatung zu diesem Themenbereich an. SAFE ist eine Kooperation des Center for Financial Studies und der Goethe-Universität Frankfurt mit Sitz im House of Finance der Goethe-Universität und wird aus Mitteln der hessischen Landes-Offensive zur Förderung wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert.
 

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