
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Es gibt nur wenige Sänger, die im Alter von 76 Jahren noch so gut bei Stimme sind, dass sie noch konzertieren können. Und wenn sie es noch vermögen, dann doch oftmals derart medioker mit dickem Tremolo, dass man sich wünschte, sie hätten zeitiger den Absprung gefunden. Die Sopranistin Montserrat Caballé ist so ein Fall.
Ihr Landsmann Placido Domingo ist ein anderes Kaliber, einer, der tatsächlich im fortgeschrittenen Alter von 76 Jahren noch kultiviert zu singen vermag, wenn auch nicht mehr in den Spitzenregistern des Tenors. Das hohe C ist längst Vergangenheit, aber für manche Bariton-Partie, die er in den vergangenen Jahren auch szenisch an der Berliner Staatsoper verkörperte, hat er durchaus noch die erforderliche Kraft und Stimme.
Nun wurde es also Zeit für das 50-jährige Bühnenjubiläum in Berlin, das Domingo mit einem Galakonzert in der Berliner Staatsoper unter Daniel Barenboim feierte.

Der Beifall, den er dafür erhielt, war allerdings nochmal doppelt so lang wie heute bei einem Jonas Kaufmann, das Publikum wollte ihn am Ende nie gehen lassen.
Heute nun wagt sich der Ausnahmesänger Domingo nur noch selten in den Olymp der Tenöre, aber ein kleiner Ausflug in dieses Fach sollte es denn bei der Gala doch noch sein. Dafür ausgewählt hatte er den Schluss aus Wagners „Parsifal“ - „Nur eine Waffe taugt“. Da geht es mitunter auch noch etwas höher hinauf, was Domingo mitnichten in Schwierigkeiten bringt.
Natürlich tönt das jetzt nicht mehr so juvenil wie einst, so doch aber immer noch sehr kultiviert.
Ganz ähnlich der Eindruck bei der Wolfram-Arie „Oh du, mein holder Abendstern“ aus dem dritten Akt des „Tannhäusers“. In einer szenischen Aufführung wäre es sicherlich etwas problematisch, ihn als alten Mann in dieser Partie zu besetzen, aber rein musikalisch in einem Konzert hat seine Wiedergabe Qualitäten.
Auf Wagner und Verdi, diese beiden großen Komponisten, die neben Puccini für seine lange außergewöhnliche Karriere so prägend waren, konzentrierte sich der Gala-Abend, wobei Barenboim mit seiner Staatskapelle zwischen den Arien und (Ensemble)szenen wunderbare Überleitungen schuf. Majestätisch erstrahlte das Vorspiel zu den „Meistersingern“, knisternd, wie aus dem Nichts entsponnen sich Vorspiel und „Liebestod“ zum „Tristan“.
In seinem ersten Verdi-Block präsentierte sich Domingo in Duetten mit drei anderen Zugpferden aus dem Ensemble der Staatsoper: Die Sopranistin Elsa Dreisig, die 2016 den von Domingo gegründeten Wettbewerb „Operalia“ gewann und hier einen hellen, schön timbrierten Sopran hören ließ, stimmte an seiner Seite das Duett zwischen Violetta und Giorgio Germont aus dem zweiten Akt an. Es ist dies zwar nicht die vorteilhafteste Partie für Domingo, der sich für den Abend wegen einer Indisposition entschuldigen ließ, die aber gar nicht ins Gewicht fiel, sondern vielmehr, weil ihm hier die dunkle Erdung ins Bassbaritonale fehlt. Hat man Fischer-Dieskau oder Thomas Hampson mit dieser Rolle im Ohr, dann fehlen da klangliche Dimensionen.
Die Partien, die Domingo zuletzt an der Staatsoper auf der Bühne verkörperte, sind auch immer noch seine stärksten: Es sind dies der „Macbeth“, aus dem er jetzt an der Seite der furiosen Marina Prudenskaya das Duett „Sappia la sposa mia- Fatal mia donna!“ sang, und der Simon Boccanegra, aus dem er zusammen mit dem famosen, seinen Bass mächtig erhebenden René Pape das Duett zwischen Boccanegra und Fiesco aus dem dritten Akt anstimmte.
Ob der Spanier seine Karriere tatsächlich noch fortsetzen wird? Eine Weisheit sagt, man solle aufhören, wenn es am Schönsten ist, und dazu hätte der Berliner Abend eine gute Gelegenheit geboten. Aber davon war nicht die Rede. In den herzlichen Beifall des Publikums hinein ernannten Barenboim und Staatsopernintendant Flimm den Sänger lediglich zum Ehrenmitglied.
Fotos: (c) Thomas Bartilla