hz Anne Frank Oper Gregori Frid opt 2017Aufführung der Monooper ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ in zwei Akten von Grigori Frid mit Shira Bitan (Sopran) und dem Mobile Beats Ensemble

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Vorabend des Anne-Frank-Tages (12. Juni) in einem tiefen Gewölbe des im Frankfurter Ostend gelegenen ehemaligen Lagers für Lebensmittel und Rohkorn eine Aufführung der zweiaktigen Monooper ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ von Grigori Frid (1915-2012) in so bestimmter, ungewöhnlicher Weise mitbeschreiten zu dürfen, ist schon etwas Besonderes.


Eine in Stationen bass entschlossen vorgehende Sängerin Shira Bitan


Aktiv begleitet und mitgelebt werden konnte die Oper, da Shira Bitan (Sopran), eine junge Sängerin von ungezähmt stimmlicher Kraft, die an Poulenc (1899-1963) sich schulte, das heruntergestiegene Publikum, etwa 80 Seelen an der Zahl, durch die Lagerraumanlage zog, um es in einem ringförmigen Gang von 21 Stationen im Keller der erlittenen Nöte, Drangsale und leidvollen Erfahrungen eines jungen Mädchens von lebenslustiger Natur – nämlich Anne Frank - teilhaftig werden zu lassen. Es begab sich also eine wandelnde Aufführung.

Die Sängerin musste sich immer wieder ihren Weg entlang symbolisch markierter Zustände, 21 an der Zahl, nur wenig unterstützt durch Geleitkräfte im förmlichen Livree, selbst bahnen, was ihrer Verve entsprach. Die Oper ging über eine Stunde, forderte nicht den langen Atem am ausgedehnt langen Melisma, sondern konzentrierte die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche der verzwickten und verzweifelten menschlichen Lage.

Sie bewegte sich, wie es die Geschichte vorgibt, zwischen elegisch-sprödem Sprechgesang und hellem und, wenn an der Zeit, auch schrill aufdrehenden Sopran. Eine gewisse Sprödigkeit und Abgetöntheit erwies sich hier als gut für den Gesang, wie es generell der Fall ist. Der einzige natürlich nachempfundene Raum war der Ort, in dem Anne Frank ihre Einsichten und Bekenntnisse niederschrieb, dort war auch Station.


Eine Musik, die das Paralleluniversum des Leidens abbildet

Die Oper arbeitet mit den Werkzeugen der zeitgenössischen avancierten Musik. Bei Grigori Frid stehen „serielle und tonale Verfahren nebeneinander, häufig kombiniert mit Leitmotiv- und Clustertechnik“ (nach Sikorski Internationale Musikverlage). Das ergibt die notwendige Voraussetzung, der Schwierigkeit eines einzigartigen Gegenstandes zu entsprechen und ihm gerecht zu werden. Die Technik Gregori Frids, die eine Musik wie aus einem parallelen Raum erstehen lässt, wird zur Sendbotin der Anne Frank in eigener Sache und diese unvermittelt auch zur Kämpferin für die Aufarbeitung der Geschichte der universalen Verfolgung.

Das Libretto basiert auf Auszügen des Tagebuchs von Anne Frank, die am 12. Jui  88 Jahre alt geworden wäre. Anne wurde durch die bestrickende Denk- und Schreibweise, die sie in ihrem Tagebuch ‚an den Tag legte‘, zur Berühmtheit nummero eins in Frankfurt. Über ihr steht keine einzige. Es wäre zu wünschen, dass die gestern in Frankfurt gestartete Oper von noch vielen weiteren neuerlich aufgestiegenen Sopranistinnen standardmäßig an Schulen der Republik aufgeführt würde. Musik erreicht mehr als alle gesellschaftspolitische Theorie.


Das Finale, das zerschmettert

Tief bewegte das Finale in dem letzten, langen Kellerraum mit den vielen, sorgsam nach und nach hingruppierten Lichtern der Erinnerung, des Gedenkens, des im Grunde namenlosen Leidens der Menschheit. Es ließ die Einsamkeit spüren am Ende der Tage, wenn nicht aller unserer Tage. Das Finale hebt an mit der Passacaglia, dem 21. ‚Monologue Interieur‘, mit der ‚Dunkelheit‘, die näher rückt, die verschlingen will. „Den Weg dorthin versperrt jedoch eine feste und undurchdringliche Mauer. Sie rückt immer näher als unüberwindliche Wand, um uns letzten Endes zu zermalmen“ (Libretto der Oper bzw. ‚Tagebuch der Anne Frank‘). Der Abschluss des Monologes lautet: „Und in mir lebt nichts übrig außer zu seufzen und zu beten: ‚Öffne dich, du enger Ring, mach uns Platz, lass uns hinaus in die Freiheit!‘“. Der Ring im Keller des Ostends wurde also richtig gewählt.

Zum Ende hin lehnt Anne den Kopf an die nahe Mauer. Da ist der blaue Himmel, das gute Wetter, der Lieblingsplatz, der kahle Kastanienbaum mit den glitzernden Tautropfen, die vortreffliche Erde und Natur, die vermag, Leiden zu lindern. Die Grausamkeiten sollten ein Ende haben, Ruhe und Frieden sollen wieder herrschen. Bis dahin müssen Ideale hochgehalten werden und es gilt, ja nicht den Mut zu verlieren. Sich aufzuopfern für die Zukunft sei sie bereit und wenn Gott sie am Leben lasse, wolle sie für die Menschen arbeiten.

Das war die Perspektive, die Anne noch, dramatisch intoniert, verfolgte. Doch die Stimme der Sopranistin, sie fiel unvermittelt Oktaven tiefer, ebbte ab, ein klagender, unbeschreiblicher Abgesang zog sich hin, aber er hob sich noch einmal und die Dramatik wendete sich in die Aufbewahrung, in einen Aufgesang; der Sopran drehte zum Ende hin nochmal auf; bald klang das Orchester ab, die Musiker verließen nach und nach mit den letzten ihrer zugeteilten Töne ihre Plätze, zogen aus.

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Info:

Erstveröffentlichung des Tagesbuchs erarbeitet und in der Geburtsstadt von Anne Frank aufgeführt. Aufführungsort wurde das eindrückliche Kellergewölbe des ATELIERFRANKFURT; Regie führte Teresa Reiber, die Ausstattung übernahm Mari-Liis Tigasson, die musikalische Leitung hatte Pablo Druker inne. Danach fand ein Gespräch mit den Musikern und dem stellvertretenden Direktor des Jüdischen Museums Fritz Backhaus statt, das der Chefdramaturg der Frankfurter Oper, Norbert Abels, moderierte.

Die Veranstaltungen sind eine Kooperation mit ATELIERFRANKFURT und dem Institut für zeitgenössische Musik der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und werden gefördert vom Kulturreferat der Stadt Frankfurt am Main sowie vom Freundeskreis der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums e.V.

Weitere Aufführungen sind am Dienstag, 13. Juni und Mittwoch 14. Juni im ATELIERFRANKFURT, Schwedlerstraße 1-5, 60314 Frankfurt am Main, jeweils um 19 Uhr. Näheres zu Karten, Vorverkauf und Abendkasse unter: 069 – 212 34856 oder: www.juedischesmuseum.de