Premiere Komische Oper Berlin: Leoš Janá?eks Zweiter Oktobertusch zur Spielzeiteröffnung 2011/12
Foto: © Monika Rittershaus
Text von Alban Nikolai Herbst
Berlin (Weltexpresso) Zuerst – prima la musica e poi le parole – zur Musik. Bei >>>> Alexander Vedernikov ist mir >>>> schon einmal aufgefallen, daß er wirklich zugreift (zugreifen läßt, nämlich seine Musiker), sich also nicht fein scheut, nicht zögerlich ist, sondern Expressives nimmt er hart ran und so auch den Schmelz. Gestern abend tat er‘s auf eine Weise, daß Janá?eks Musik so plötzlich - wie erst unmerklich - nach dem elegischen Tschaikowski eines Onegins klang, slawisch selbst durch das deutsche Textmelos hindurch.
Auf keiner meiner Aufnahmen ist das so zu hören, weder bei dem Janáček-Experten >>>> Mackerras noch bei Kent Nagano, ja sogar auf meiner tschechischen Schallplattenpressung unter Václav Neumann nicht. Dabei ist und bleibt es heikel, Opern in übersetzten Fassungen aufzuführen; in Naganos feinnerviger Einspielung etwa klingt Das schlaue Füchslein wie eine englische Oper aus den Jahren William Waltons, in manchen ariosen Wendungen bisweilen sogar nach Britten, während in Werner Hintzes neuer Textübersetzung, bzw. -fassung sich der Rosenkavalier Richard Straussens melodisch assoziiert, unter Vedernikovs Führung sehr deutlich beim das Stück fast beschließenden Sinnieren des Försters: „Wie doch die Zeit vergeht!“, besonders dann in der Zeile „...und nun sind wir schon froh, wenn wir hinterm Ofen sitzen und uns keiner stört“ - ein Eindruck, der sich beim Tschechischen auch nicht entfernt herstellt. Ganz sicher läßt sich‘s diskutieren, ob ein solches Phänomen Opern nicht sogar bereichert, die Differenz aber ist ohrenfällig. Wobei in diesem Fall noch eine textinterne Auseinandersetzung hinzukommt.
Es gibt nämlich bereits eine bekannte Übersetzung des Librettos, die seinerzeit kein geringerer als Max Brod, der Vertraute Kafkas, besorgt und die Janáček selbst nicht nur autorisiert hat, sondern des deutschen Sprachmelos halber hat er sein Stück zu Teilen dafür sogar umkomponiert. An der Komischen Oper wird aber die tschechische Kompositionsfassung gespielt, und der in dieser Hinsicht, muß man schon sagen, geniale Dramaturg Werner Hintze hat dafür abermals eine seiner bühnenpraktischen Eindeutschungen des Librettos geschaffen, die den übersetzten Text so gut wie möglich der Partitur anschmiegt: prima la musica eben. Freilich bleibt dabei ein wenig die poetische Dichte auf der Strecke; der einzelne Satz, für sich genommen, ist oft nicht ohne Holz. Doch Hofmannsthals, die auch in einem Libretto die ästhetische Würde ihrer Sprache erhalten, sind generell selten.
So ist das Hauptproblem von Hintzes Fassung ein anderes: sie betont nämlich die historische Herkunft der Oper, indes Homoki eine maskenspielhafte Allegorie, die überzeitlich sein muß, vor den Augen gehabt hat. Dieser Widerspruch wird immer dann besonders deutlich, wenn sich auch in der Musik das Bäuerische etwa der Tänze akzentuiert, etwas vergangen Burleskes, dem dann der Holzschnitt der Sprache entspricht. Einer Übersetzung ist ihre Vergängnis sowieso, als ein bereits Vergangenes, immer schon mit eingeschrieben. Das ist in den Originalsprachen grundsätzlich anders. Selbst alte Sprachen altern nicht; ihre Übersetzung eben aber sehr wohl.
Wenn Homokis Inszenierung ein Problem hat, dann eben dieses. Und gegen Ende wird ein bisserl dick aufgetragen, wenn das versöhnliche, den Tod in neues Leben nicht wendende, sondern ihn in ihm aufhebende Finale plötzlich ein >>>> Tutto è burla nel mondo werden soll, das aber nicht fugiert ist, sondern gestampft wird, was das dazuinszenierte Stammtischsgelächter noch vergröbert. Außerdem ist der Förster ganz sicher kein Falstaff; er wurde auch gar nicht gefoppt. So wird nun die erschütternde Strahlkraft der Bejahung niedergegrölt, die Janáčeks Partitur wie einen Sonnenaufgang feiert. Was als Hymnos gemeint ist, wird zu Lärm. Den hätte man da zurücknehmen müssen, es sei denn, Homoki hätte die Bejahung als verklärende Affirmation deuten wollen, was der übrigen Inszenierung aber massiv widerspräche.
Sie lebt vielmehr von einem staunenden Betrachten all dessen, in das wir selbst ganz eingebunden sind, zu dem wir selbst gehören, nicht nur des Lebens und Sterbens, sondern auch des Tötens und Getötetwerdens. Es ist wundervoll, wie Homoki dem die Balance hält. Er trifft Janáčeks Pantheismus, und ungemein zärtlich, genau, ohne daß dabei an Lust noch Leid der Protagonisten, die wir alle selbst sind, Abstriche gemacht würden. Es geht eben nicht um eine maue Einsicht, Ergebenheit oder gar Abkehr. Im Gegenteil. Leben ist: mitzuwirken. Mitzufeiern, mitzuleiden. Und Unrecht mitzutun. Dabei ist „das Leben ein Traum“, in den Homoki den Förster versetzt, nur das Modell, das ihm erlaubt, gleichzeitig sich zuzusehen, wobei es mehr als nur pfiffig ist, daß sich genau darin ein Teil der tatsächlichen Lebensgeschichte dieses Försters vollzieht, die hier zugleich die Lebensgeschichte auch anderer Arten sich nahe ineinander spiegeln läßt, sowohl der Tierwelt wie der Menschen.
Es sind, zugegeben, einfache Geschichten, aber in dieser Einfachheit verbürgt sich eine Konkretion, deren einzige Fragwürdigkeit in der Naivetät besteht. Die gefährdet das Spiel ein wenig, indem ein einziger Schritt zu grob die Fabel ins outrierende Volkstheater abrutschen ließe, das von Vergröberungen eben lebt. Janáček agitiert aber nicht, und auch Belehrung ist ihm fremd. Vielmehr steht - diese Inszenierung führt das großartig vor - die Füchsin zugleich für sich selbst wie für die menschliche Braut und überhaupt für erotische Lockung, sowie der Förster für den Bräutigam, wobei er sein Alter wechselt und diese Alter direkt aufeinandertreffen, indem der junge Fuchs zum Förster wird und schließlich, am Ende, die nunmehr erschossene Füchsin in einem ihrer Kinder deutlich wiederaufersteht und so von dem alten Förster auch erkannt wird.
Das hat nichts Burleskes, sondern ist eigentlich mystisch. Mag sein, daß Homoki davor ein wenig eine Angst gehabt hat, die einer durchaus nachvollziehbaren Angst vor dem Kitsch entspricht oder einer davor, schließlich doch noch kindlich zu werden – ein Inszenierungsansatz, der bei dieser Oper oft gewählt wird, weil man sich dabei auf die Sympathie von Eltern verlassen kann, die ihren Welpen zusehn, wenn die spielen. Eben das war zu vermeiden. Homoki hat es auch vermieden.
Dabei hilft ihm Christian Schmidts Bühnenbild enorm. Wir sehen den immergleichen, nicht aber selben Raum, der auf eine große Tanne hinausgeht, mit der ein Wald sich öffnet. Noch einmal, und mit Lust, ist hier das historische Kernstück der Komischen Oper inszeniert worden, ihre Drehbühne nämlich, die nach wie vor von dem Drehkranz eines alten Panzers aus dem Zweiten Weltkrieg bewegt wird – eine wirklich aparte Volte des Pazifismus, wenn man sich den reigenhaften Zyklus der Natur vergegenwärtigt, dem Janáček das Hohelied singt. Indem die identischen und doch differenten Räume sich ins Blickfeld bewegen, ist ein immer schneller werdendes und dabei zunehmend glaubhaftes Maskenspiel möglich, worin aus einer Schulklasse Mädchen unversehens ein Hühnerharem wird, aus dem Pfarrer ein pfründevoller Dachs und aus dem Schulmeister der Hahn – was angesichts der jungen Mädchen erotisch nicht gänzlich korrekt ist, aber mit einem Augenzwinkern vorgeführt wird, das jede Form kathedriger Moral gleichsam aus dem Handgelenk erledigt.
Schon können die Identitäten auch direkt vor den Augen des Publikums getauscht werden, so daß wir tatsächlich zugleich den Förster in dem jungen Fuchs und in diesem schon den alten Mann zu sehen fühlen, der dasselbe Geschehen am Schluß der Oper noch einmal erlebt, auch wenn einer der Protagonisten bereits ein Urenkel ist. Gleichzeitig drängt sich in den immergleichen Raum immer weiter der Wald vor, der bei Janáček Natur-insgesamt symbolisiert, den Wald also in uns oder, um es in meinen eigenen Worten zu sagen, das >>>> Bleibende Thier. Janáčeks wie Homokis Schlaues Füchslein gibt dem Wort vom Wunder des Lebens gegenüber einer, mit Adorno gesprochen, negativen Kritik neues Recht, gerade indem Unrecht und Grausamkeit nicht ausgeblendet, sondern jederzeit mit vergegenwärtigt werden.
Daß dies so selbstverständlich funktioniert, liegt ganz besonders an des Försters, Jens Larsens, Fähigkeit, immer aufs neue zu erstaunen, wenn er die Dinge sieht. Das ist unendlich anrührend vielleicht gerade, weil alle anderen Figuren, jedenfalls als Menschen, Typen bleiben, mit Ausnahme noch der Füchsin, Brigitte Gellers, die ganz ähnlich ambivalent gehalten ist: auch sie tötet, einmal sogar den halben Hühner/Mädchen-„Stall“, eine Szene allerdings, in der mir Homoki durchaus zu diskret ist - kann sein, einer generellen menschlichen Haltung wegen -, ebenso wie bei der Füchsin Erschießung, die nicht wenig von einer Exekution hat, also der Bestrafung jener, die sich an geforderte Verbindlichkeiten nicht halten, bzw. das vom Menschen gesetzte Recht übertreten. Wobei ein besonderer Dorn darin sticht: der Henker, ein Wilderer, tut es nämlich auch nicht. Er selbst, wie die Füchsin, ist Dieb. Und der Förster stellt zwischendurch seiner geliebten Füchsin tödliche Fallen. Denn das ist ein notwendiger Teil seines Hegens. Unvereinbar die menschliche Sozialität mit der Amoral der Natur. Und eben doch dies alles vereint im tätigen Anschaun. So lange die Erde sich dreht.
Spiellust und Melancholie, aber nicht eine burla - anders als Verdis Alterswerk ist Janáčeks Oper tief ungesellschaftlich; ich wollte unsozial schreiben, haftete dem nicht, unangemessen, Abwertung an. Deshalb ist das Stück auch weder humoristisch noch märchenhaft. Indem aber die, sagen wir, altböhmische Innenausstattung der Bühne sowie die Kostüme allzu sehr die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg konkretisieren, wird wider Homokis eigener Absicht das Allegorische wieder entschärft, das er mit großem inszenatorischen Recht hat loslassen wollen, und wird zur historisierenden Fabel. Vielleicht aber zeigt sich eben darin ein Etwas, das wir, als Städter, schon verloren haben und woran vielleicht auch gar nicht anders als historisierend erinnert werden kann. In jedem Fall ist diese Inszenierung eben nicht in einer „surrealen Welt“ angesiedelt, wie das Pressematerial nahlegen möchte, und kann sich deshalb wirklich nur noch in dem konkreten, ja naturalistischen Stammtischsgelächter aufheben, das durch den finalen überzeitlichen Hymnos grölt. Das ist ein wenig schade in dieser wirklich oft berührenden Inszenierung. Gesehen und gehört haben freilich sollten Sie sie. Also klicken Sie unten „Karten“ an.
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Leoš Janáček.
DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN.
Deutsche Textfassung von Werner Hintze.
Inszenierung - Andreas Homoki. Bühnenbild und Kostüme - Christian Schmidt.
Dramaturgie - Werner Hintze. Chöre - André Kellinghaus. Licht - Rosalia Amato.
Musikalische Leitung - Alexander Vedernikov.
Füchsin Spitzohr - Brigitte Geller. Der Förster - Jens Larsen. Die Försterin/Die Eule - Caren van Oijen. Der Schulmeister/Der Hahn - Andreas Conrad. Der Pfarrer/Der Dachs - Frank van Hove. Harašta - Carsten Sabrowski. Der Fuchs - Karolina Gumos. Der Dackel - Katarina Morfa. Die Wirtin - Ariana Strahl.
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.
Weitere Vorstellungen:
02., 07., 11., 15., 23. Okt. 2011,
09., 26. Nov. 2011,
04., 16. Dez. 2011,
07. Juli 2012