Simon Natalis Enke restauriert wertvolle Instrumente und lebt in einem besonderen Haus in Frankfurt am Main

 

Anja Prechel

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In seinem Safe lagern wertvolle Saiteninstrumente, in seinem Haus lebten einst ein Maler und eine Pianistin: Simon Natalis Enke ist einer von zwei Geigenbauern Frankfurts. Sein Beruf brachte ihn bis nach New York, wo er Weltklassemusiker wie Itzhak Perlman, Pinchas Zukerman und Lynn Harrel kennenlernte.

 

Schuld ist die Klavierlehrerin seiner großen Schwester. Sie konnte dem Jungen die Schönheit, den Klang des Instruments partout nicht nahe bringen. Nicht mal mit Bonbons ließ er sich bestechen. „Stattdessen schlief ich beim Unterricht ein“, erinnert sich Simon Natalis Enke. „Das Klavier hatte mir zu viele Töne auf einmal.“ Seine Eltern ließen sich dennoch nicht erbarmen. Simon musste seine Schwester zum Klavierunterricht begleiten und bei den Übungsstunden zuhören. Bis Simon den Mann der Klavierlehrerin traf. „Er war Geiger und ich überredete ihn, auf seiner Geige spielen zu dürfen.“ Der Mann ließ den Jungen gewähren.

 

Nur zu Weihnachten – „ich war sicher, ich dürfte die Geige mit nach Hause nehmen, um meinen Eltern darauf vorzuspielen“ – gab der Mann sein Instrument nicht aus der Hand. Simon Natalis Enke, damals acht Jahre alt, wünschte sich eine eigene Geige. Bekommen hat er sie nicht. Stattdessen lernte er später am Lessing-Gymnasium das Cellospiel.

 

Seine Liebe gilt den Instrumenten

 

Heute ist Simon Natalis Enke 55 Jahre alt und einer von zwei Geigenbauern Frankfurts. In seiner Werkstatt im Stadtteil Eschersheim restauriert er überwiegend alte Instrumente – Geigen, Celli, Bratschen – die er entweder aufkauft, um sie zu bearbeiten und dann weiter zu verkaufen, oder von ihren Besitzern gebracht bekommt. „Meine Liebe gilt den wertvollen Instrumenten“, sagt er. Meistens sind es deren Decken, die nicht mehr intakt, stattdessen gewellt, verformt oder verzogen sind.

 

Mittels einer Gipsform, Schraubzwingen und Sandsäcken gibt der Geigenbauer den feinen Instrumenten ihre Form zurück. Warm ist es in seiner Werkstatt, feiner Holzstaub wirbelt durch die Luft, im obersten Boden eines wandfüllenden Bücherregals lagern Holzkeile, aus denen Geigendecke und -boden gestochen werden, Sägen und Feilen liegen auf der Werkbank. Durch die geöffnete Tür klingt Klavierspiel, summt der tiefe Ton eines Cellos.

 

 

Konzerte im Wohnzimmer

 

Simon Natalis Enke hat junge Musiker aus Paris zu Gast – das Trio Atanassov. „Sie nehmen in Frankfurt eine CD auf“, erklärt er. Auch in seinem Wohnzimmer haben sie schon ein Konzert gegeben. Der Eschersheimer hat nicht nur einen ungewöhnlichen Beruf, er und seine Familie leben auch in einem ungewöhnlichen Haus. „Der Maler Hanns Ludwig Katz hat es 1927 bauen lassen“, erklärt Enke. Katz‘ Frau Franziska Katz-Ehrenreich war Pianistin. Beide waren Freunde des Bauhaus-Stils, ließen sich in ihrem Haus je ein Atelier einrichten – sie musizierte im Erdgeschoss, er malte im ersten Stock. Viele Künstler gingen hier ein und aus, Franziska veranstaltete öffentliche Konzerte. 1928 übertrug der Frankfurter Rundfunk aus ihrem Atelier einen Musikabend. Familie Enke kam zufällig an das Haus: Es gehörte Bekannten, denen es zu groß geworden war. Heute ist das Katzsche Musikzimmer das Wohnzimmer der Enkes, im ehemaligen Maleratelier restauriert Enke seine Instrumente.

 

Der Vater war beim Rundfunk

 

Enkes Vater führte den Geigenbauer an die Musik heran: Er hatte Musik studiert, wurde Journalist. Irgendwann schrieb er einen Brief an den Hessischen Rundfunk mit der Frage, warum die moderne Musik keinen Platz im Radio finde? Die Antwort: „Wir haben niemanden dafür. Wenn Sie es machen wollen, haben wir einen Schreibtisch für Sie.“ Vater Enke ging zum HR und nahm seine drei Kinder fortan mit zu den Rundfunkkonzerten. „Die moderne Musik spielte er immer vor der Pause“, erinnert sich Enke und freut sich immer noch über diesen Kniff seines Vaters. „So konnte keiner weglaufen.“ Denn die moderne Musik führte damals zu Kontroversen: „Die einen haben empört den Saal verlassen, die anderen haben partizipiert“, erzählt er. Es gab Buhrufe, Pfiffe und begeisterten Applaus.

 

Goldschmied oder Geigenbauer?

 

Enkes Vater war nicht nur ein Musikliebhaber, er war auch ein talentierter Handwerker. „Und meine Mutter achtete stets darauf, dass wir zu allen Feier- und Geburtstagen etwas selbst bastelten.“ Nach dem Abitur am Lessinggymnasium wusste Enke: „Ich will etwas Praktisches machen.“ Goldschmied oder Geigenbauer standen zur Wahl. „Heute bin ich so froh, dass ich nicht Goldschmied geworden bin“, sagt Simon Natalis Enke. Die Musik würde ihm fehlen: „Ein Instrument ist schön, ästhetisch, es ruft große Emotionen hervor. Und es ist brauchbar.“

 

Sein Handwerk hat er in Mittenwald gelernt, an einer der berühmtesten Musikinstrumentenschulen der Welt. Danach ging er auf Wanderschaft – zuerst in die USA: „Ich habe mein Cello verkauft, um die Reise zu finanzieren.“ In New York arbeitete Enke in einer Werkstatt, in der Weltklassemusiker wie Itzhak Perlman, Pinchas Zukerman und Lynn Harrel ihre Instrumente reparieren ließen. Drei Jahre verbrachte er in Lyon bei Jean Schmitt. „Danach war ich mit allen Wassern gewaschen“, sagt der Geigenbauer.

 

Einmal habe eine Kundin eine überfahrene Cappa-Geige gebracht – sie hatte sie hinter ihr Auto gelegt und aus Versehen überrollt. Für einen Instrumentenbauer ist eine so verunfallte Geige eine echte Herausforderung – an einem frischen Schaden arbeitet man nicht alle Tage. „Meist sind es alte Reparaturen, die man aufarbeiten muss.“ Die überfahrene Geige konnte gerettet werden. „Weil die Brüche noch ganz frisch waren“, sagt Enke. Die Besitzerin sei überglücklich gewesen, die Geige klang nach dem Unfall so schön wie vorher.

 

Harte Probe für Musiker

 

Geigen, sagt Enke, kann man ein ganzes Leben lang spielen. „Klassische italienische Geigen zum Beispiel steigeren ihren Wert kontinuierlich, man rechnet mit mindestens vier bis sechs Prozent pro Jahr.“ Er erzählt von einem Cello , die in den 1950er Jahren 125 Pfund gekostet hat, und die heute 120.000 Euro wert ist. Eine der wertvollsten Stradivaris hat bei einer Versteigerung 16 Millionen Dollar gebracht. Enkes günstigste Instrumente beginnen bei 700 Euro, aber bei den erleseneren Instrumenten reicht die Preisskala bis 300 000 Euro. Er bewahrt sie in einem Safe auf. „Die richtige Geige zu finden, ist für jeden Musiker eine harte Probe“, sagt Simon Natalis Enke. Bei der Suche zu helfen – das ist ein großes Glück für ihn.