o tristan„Tristan und Isolde“ an der Berliner Staatsoper

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Er hat den „Tristan“ schon unzählige Male dirigiert, in Inszenierungen von großen Könnern wie Patrice Chéreau, Götz Friedrich oder Harry Kupfer. Zum Glück hat sich Daniel Barenboim aber nicht darauf verlassen, ihn routiniert aus dem Ärmel zu schütteln, sondern spürbar intensiv mit seiner Staatskapelle gearbeitet, so dass sich das Gefühl einstellt, hier entdeckt ein Altmeister eines seiner Lieblingswerke nochmal neu.

Zärtlich leise setzt er ein, instinktsicher im idealen Tempo, in dem sich jedes noch so kleine schwermütige Motiv wunderbar entfalten kann. Und da, wo von der Partitur gefordert, lässt er die Musik sehnsuchtsvoll leidenschaftlich aufschäumen. Die Qualen und Schmerzen, die Tristan und Isolde im Fortlauf der Handlung durchleben, gehen in aufgewühlter Emotionalität derart an die Nieren, dass einem schwindelt, und wenn es ganz, ganz leise wird, fühlt man sich in transzendente Sphären enthoben.

Nur die Hörner hatten in der von uns besuchten zweiten Aufführung keinen guten Tag, ihnen gelang vor allem im dritten Akt nur selten ein sauberer, guter Ansatz. Aber dafür ertönte das elegische Englischhornsolo im dritten Akt, von dem Musiker exponiert auf der Bühne vorgetragen, im denkbar schönsten Ton.

Die große Ernüchterung stellt sich freilich ein, wenn sich der Vorhang zum ersten Akt öffnet und den Blick auf eine Szene freigibt, die ästhetisch so gar nicht zu Wagners Musik, seinen Figuren, ihrer Sprache und den beseelten Klängen aus dem Graben passen will. Wiewohl Isolde und Brangäne diesen Akt mit einem Dialog eröffnen, rückt der für Regie und Bühnenbild verantwortliche Dmitri Tcherniakov Tristan mit seinen Kumpels szenisch ins Zentrum. Die jungen Männer lümmeln sich auf Stühlen im Inneren eines holzgetäfelten Luxusliners herum und haben – den vielen Schnaps- und Whiskyflaschen vor ihnen auf dem Tisch nach zu urteilen- schon Einiges getrunken. An der Wand findet sich ein Monitor mit digitaler Uhranzeige und Navigationssystem.

Ein übermütiger, unreifer junger Typ von heute tritt einem hier als Tristan gegenüber, dem man nicht zutraut, dass er die tiefen Gefühle aufbringen kann, die der Komponist ihm in den Mund gelegt hat. Denn mehr Coolness als Empfindsamkeit oder gar leidenschaftliches Begehren gehen von ihm aus, wenn er sich zur verabredeten Liebesnacht hüpfend mit Sektflasche und Gläsern bei Isolde einfindet.

Eine ungleich bessere Figur macht Andreas Schager als Sänger. Gewohnt mit großer Stimme und einem Wagnerwürdigen Timbre, das angelegentlich an den unvergessenen Wolfgang Windgassen erinnert, singt sich der gefragte Österreicher souverän und mit nur gelegentlichen Intonationstrübungen durch seine Partie. Allein sein Pianosingen im Lyrischen ist noch ausbaufähig.

Die von Anja Kampe verkörperte Isolde wirkt als Figur rundum überzeugender und reifer, auch wenn sie, im Liebesakt lange Zeit kontemplativ in sich auf einem Stuhl versunken, ebenso den Eindruck erweckt, ihre Liebe sei eine rein platonische.

Von der enormen stimmlichen Entwicklung der Sopranistin konnte man sich schon bei den vergangenen Osterfestspielen Salzburg in der „Walküre“ überzeugen, wo sie ihr höchst achtbares Debüt als Brünnhilde gab. Als Isolde nun bewältigt sie ihren ersten kräftezehrenden Aufzug am trefflichsten, wo sie über lange Strecken in der Mittellage gefordert ist, die bei ihr am schönsten klingt. Noch dazu gelangt sie mit ihrem großen Sopran ohne starkes Forcieren noch an den lautesten Stellen über das Orchester. Solche Kaliber, noch dazu schlank und jugendlich im Äußeren, gibt es derzeit nicht allzu viele. Nur die lyrischen und leisen Stellen in ihrer Partie, insbesondere der finale Liebestod, tönen weniger schön, weil Kampe von ihrer Kopfstimme zu wenig Gebrauch macht, die es in der Höhe braucht. Etwas angestrengt stemmt sie sich mit machtvollem Brustton in die Höhe.

Aus dem übrigen exzellenten Ensemble sei besonders Ekaterina Gubanova hervorgehoben, mit ihrem glühenden großen Mezzo eine Brangäne der Extraklasse.

Das Berliner Publikum weiß diese musikalischen Leistungen zu schätzen, es feiert allen voran Daniel Barenboim, der sich diesmal auch alleine vor dem Vorhang zeigt, mit stehenden Ovationen. Wegen vermeintlich „zerdehnter Tempi“ haben sich zur Premiere eher keine Buhrufe in den Beifall für ihn gemischt, wie in einigen Rezensionen behauptet, der Missmut galt wohl eher Barenboims Einverständnis mit der Regie. Dieses Kapitel ist freilich eine Tragödie. Schon zum zweiten Mal bleibt dem großen Wagnerdirigenten ein adäquater Partner für eine Tristan-Neuproduktion versagt. Das erste Mal liegt schon Jahre zurück, damals betrieb Stefan Bachmann viel technischen Aufwand mit der Bühne und versagte mit einer wirren Konzeption derart, dass Barenboim nach wenigen Aufführungen zu der Vorgänger-Inszenierung von Harry Kupfer zurückkehrte. Inzwischen wurde es wirklich Zeit für eine neue Optik, und dennoch wünscht man sich auch jetzt die alte Produktion mit einem dominierenden gefallenen Engel im Zentrum der Bühne zurück.


Foto:
Ekaterina Gubanova (Brangäne), Anja Kampe (Isolde)
© Monika Rittershaus