Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schnörkellos und unter Aufzählung der szenisch aufgesagten Namen der Ermordeten hat der Sintesische Komponist Roger Moreno-Rathgeb in erprobter Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Riccardo M Sahiti das „Requiem für Auschwitz“ zur Erinnerung an die Deportation von 119 Wiesbadener Roma und Sinti nach Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren im Staatstheater Wiesbaden zur Aufführung gebracht. In tonaler Tonsprache.
Ein Musikwerk – entstanden über Jahre des Ringens um seine Entstehung und Vollendung
Die Aufführung steht mit den Tagen der Wiesbadener Kulturwochen gegen die Ablehnung und Diskriminierung des Volkes der Roma und Sinti in enger Beziehung. Die Idee der Aufführung musste erst in genügendem Umfang Sponsoren vereinen, um das Konzert zu ermöglichen. Denn eine Aufführung, die ein verstreut lebendes Orchester zusammenholt, ist eine aufwendige Sache. Die Musikerinnen und Musiker der Roma und Sinti Philharmoniker Frankfurt am Main e. V. sind hauptberuflich in Sinfonie- und Opernorchestern Europas engagiert. Es wurde zum besonderen Erlebnis, als die Aufführenden und die, die die Aufführung möglich machten, am letzten Dienstagabend am selben Strang zogen, wobei auch Proben vorausgingen.
Auschwitz – „für mich ein Heiliger Ort“
Hinzu kamen Gegenstände des täglichen Gebrauchs der Gemordeten wie Koffern, noch beschriftet mit ihren Namen und Geburtsdaten, auch die Koffer von Waisenkindern sowie die Vitrinen mit Menschenhaar bis an die Decke, neben Teilen wie Bürsten und den Dosen mit Zyklon-B. Auf einer Zeichnung der damaligen Zeit sieht man, wie ein Mensch von einem erhobenen Bein in die Grube gestoßen wird. Menschen, die Auschwitz erlitten, die dort ihre Angehörigen verloren, aber auch jene, die es später wiederaufsuchten, nochmal naherlebten oder im Nachhinein ersterlebten, werden immer wieder von Alpträumen geplagt, wachen mitten in der Nacht schreiend auf; aber ausgerechnet die, die zum Teil des Systems, dem sie direkt ausgeliefert waren, wurden – haben nachher nichts erzählt.
„Und da wuchs in mir die Idee, eine Art musikalisches Monument zu errichten; zur Erinnerung an all jene Menschen, welche leiden und sterben mussten; so dass dieses Gedenken am Leben erhalten wird“. Hochtonpassagen, in die der Chor und alle Instrumentengruppen sich im Requiem erheben, vereinen erneut das letzte Schreien der Opfer, stets begleitet von Galerien von Fotos der vom rassistischen Wahn Getöteten.
Der Abend der Aufführung wurde mit Ansprachen, respektive durch Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, Albert Mangelsdorf und Volker Bouffier eingeleitet. Der Musiker Emil Mangelsdorf, ein unfreiwilliger Zeitgenosse der Nazis, erinnert sich mit Wehmut an den Wohnwagen, aus dem ein kleines Mädchen entstieg; es war nett, er verliebte sich in dieses, aber auf einmal war der Wohnwagen nicht mehr da. Er rätselt bis heute, wie wohl das Leben des Mädchens verlief. Ministerpräsident Volker Bouffier kommt umgehend auf Gaulands Fliegenschiss, der die NS-Zeit vergleichsweise gewesen sein soll, zu sprechen, entgegnet dem Altersumnachteten: es war der Tiefpunkt der Zivilisation. Das Requiem sei Weisung in die Zukunft, was es aufgreife, stehe für eine Minderheit und den Umgang mit einer Minderheit, repräsentativ für eine Geschichte, die ohne Vergleich ist. Zum Konzert ist auch eine Überlebende von Ausschwitz gekommen.
Heinrich Himmler hatte mit dem Runderlass von 1938 die sogenannte Endlösung der Zigeunerfrage mit dem verbrecherischen Plan, „die Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff zu nehmen“, eingeleitet. Verwiesen sei auf den Artikel des Magazins Der Spiegel vom 24. April 1963 ‚So arisch...‘ (17/1963). Hessen hat einen Staatsvertrag mit dem Landesverband der Sinti und Roma geschlossen und inzwischen viele Gedenktafeln aufzuweisen. Bouffier betont, der Abend sei nicht als Schuldzuweisung gedacht, sondern ein Gedenken in Verantwortung für die Gegenwart, in der erneut ein Nationalismus sich entwickle, der sich auf völkisches Denken gründe, der schon einmal Deutschland und Europa in den Abgrund gerissen habe (und dies nach 70 Jahren Wohlstand und Frieden).
Verdis Requiem stand strukturell Pate für das Requiem
Selbst das Requiem führt doch immer eine Leichtigkeit mit sich, die eine Versöhnlichkeit unter Vorbehalt miteinschließt. Den schwersten Part hatten vier junge Frauen der Oranien- und Humboldtschule, die in vier Einschüben zwischen Sätzen die Namen der 119 Deportierten Sinti und Roma aus Wiesbaden verlasen, die in Reichsbahnwaggons in den organisierten Tod verfrachtet wurden. Das Publikum vermochte das feine Zittern in den Stimmen der Lesenden wahrzunehmen; das sich einstellt, wenn von einem Unfassbaren Protokoll ergeht. Frau Lampert; Frau Lehmann; Wilhelm, Tod mit 17; Todeszeitpunkte fallen in kurzer Folge: 1 Jahr, 3 Monate, 19 Jahre, 12, 20, 6, 44 Jahre, dieses Protokoll-Lesen lässt den sinnlosen Tod, untermalt von den an die Bühnenrückwand projizierten Fotos, meist Portraits, Fotos mit Schwestern, Freundinnen, Familien umso unbegreiflicher erscheinen.
Der Werkaufbau des Requiems für Auschwitz hält sich an die Struktur von Verdis ‚Messa da Requiem‘, die der Form nach der Liturgie des röm./kath.Totengottesdienstes entspricht, mit: Präludium (Introitus); Requiem und Kyrie; Dies irae; Domine Jesu (Offertorium); Sanctus en Benedictus; Agnus Dei; Lux aeterna; Libera me, Domine und Amen.
In jeder Stadt führt ein lokaler Chor die Gesangspartitur auf. In Wiesbaden war es die Frankfurter Singakademie.
Das Präludium vermittelt unmittelbar ein Charakteristikum, das aber nur verhalten durchklingt. Es gründet in der Zigeunertonleiter. Verhaltene Schärfe und Glockenspiel deuten ein kommend Wechselhaftes an: mörderisches Geschehen, aber auch Andacht, Beruhigung. Naturale Impressionen, Fläche des Getragenen und Schrille, der Schrei der Roma im Lager, Pauke und Becken kommen brachial. Die Alt-Stimme trägt das kommentierende Wort, erklärt. Der Chor koppelt die Perioden. Das geschallte Kyrie (Herr Erbarme Dich) landet auf der Wiese mit den zwei Mädchen, vor Bäumen. Bedenke: immer sind es die Fotos, die begleiten.
Die musikalische Linie kommt immer wieder zurück auf die Fahrt mit den schreiend Transportierten. Melismen fügen sich dazwischen, dann aber wieder die ausbrechende Steigerung bis zum Höhepunkt mit ‚Alle‘, im Moment; es wogt, wiegt, schmilzt ab. ‚Das Tragische‘ ist Bestätigung, Rechtfertigung der Seelen, Apotheose, Erhebung - das hebt hinan; auf Melismen folgen Aufstiege und Wiederabschmelzen (gleich der fallenden Feder).
Das Publikum erhob sich mit langanhaltendem Applaus von allen Sitzen
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