Gustav Kuhn, deren spiritus rector „dankte“ ab. Der neue Künstlerischer Leiter bleibt Intendant der Frankfurter Oper
Claudia Schulmerich
Wien (Weltexpresso) – Das sind vielleicht Spielchen, die hinter und vor den Kulissen gespielt werden und die erst dann offiziell werden, wenn dann einer ans Mikrophon tritt und etwas öffentlich verkündet, wie gerade der Präsident der Festspiele Erl, Hans Peter Haselsteiner: Kuhn ins Kloster, Loebe nach Tirol, wie der Standard am 25./26. Oktober titelte.
In Österreich ist das natürlich ein viel größerer Skandal, was in Erl los war und ist, denn Deutschen und auch Schweizern muß man erst erklären, daß der kleine Ort Erl im letzten Zipfel Tirols nach Deutschland zu, also ganz nah an Kufstein, seit Jahrhunderten durch die Tradition der Erler Passionsspiele bekannt ist, die durch ein rasantes Festspielhaus aus den Fünfziger Jahren schon vor langem den lüsternen Blick des in Erl geborenen und einst in der Welt umherreisenden Dirigenten Gustav Kuhn fand, der sich dann künstlerisch und persönlich in Italien niederließ. Denn Passionsspiele und ihre Spielstätten haben für andere, die Aufführungen planen, einen bestimmten Vorteil: die finden in der Regel nicht jährlich statt. Die Passionsspiele Erl fanden sogar nur alle 6 Jahre statt. Was aber ist mit der Zeit dazwischen? Und dem in den Fünfziger Jahren so elegant an den Wald geschmiegten Festspielhaus?
Die Erler Festspiele, dann Tiroler Festspiele Erl, genannt, waren geboren. Und daß sie zu dem wurden, was sie heute in der Welt musikalisch bedeuten, hat alles mit dem ‚Urviech‘ Kuhn zu tun, der mit Leidenschaft und mit dem ihm eigenen Vermögen, zahlende Sponsoren dafür zu finden, dort Musik machte und machen ließ. Ein richtiges hochmusikalisches Festival aus dem Boden zu stampfen, das ist ihm gelungen. Und das ganze Unternehmen war von solchem Schwung getragen, daß inzwischen neben dem Passionsspielhaus ein eigenes Opernhaus daneben steht. Diese musikalischen Festspiele auf grünem Rasen werden für immer ein bewundernswertes Werk von Gustav Kuhn sein, der ohne sein Großkopfertum halt niemals die finanzielle Unterstützung seiner bisherigen und heutigen Sponsoren erhalten hätte. Skandale haben meist zwei Seiten und es kommt darauf an, beides im Blick zu behalten.
Da wir von Anfang an dabei waren und uns unser erster Artikel RICHARD WAGNER AUF DER KUHWEIDE, was als Festivallogo mit einer Kuh auf der Weide visualisiert wurde (und uns eine Einladung in die Blaue Quelle einbrachte, zwei Minuten vom Festspielhaus und für uns der ideale Übernachtungsort), waren wir nach den ersten Meldungen von sexuellem Mißbrauch, der Kuhn auf einmal und gleichzeitig massiv vorgeworfen wurde und wird, alarmiert.
Nein, keiner von dort kann behaupten, er hätte solche Möglichkeiten in Erl nicht mitbekommen. Daß der enthusiastische und enthusiasmierende Gustav Kuhn ein regelrechter Pascha war und ein Frauenheld dazu, das wußte jeder und bedauerte seine Frau und die Kinder. Aber sexueller Mißbrauch ist etwas anderes, wenngleich die Grenzen fließend sind. Das wird derzeit nach Anzeigen von Betroffenen gerichtlich geklärt und wir wollen dazu nur das eine sagen, daß wir in Zeiten leben, wo bestimmt Rituale mächtiger Männer einfach beendet sind und die Macht sich andere Wege suchen muß, sich auszutoben und von ihrer eigenen Bedeutung erfüllt zu sein. Das wird man beobachten müssen, welche Psychospiele nun Vorrang haben vor sexueller Gewalt, die endlich verpönt ist und wo das Widerwärtige eben daran auch war/ist, daß dann gesagt wurde, sie hätte ja nein sagen können. Und eine Ohrfeige geben, laut schreien oder sonstwas. Jeder weiß, wie in der Vergangenheit mit solchen Frauen und solchen Aussagen umgegangen wurde. Da hielten die Betroffenen eher den Mund. Und wer sich heute über die me too-Debatte aufregt, sollte das lieber in die Vergangenheit richten, warum es bis jetzt opportun schien, als von sexueller Gewalt Betroffene besser den Mund zu halten.
Zufällig sah ich das Interview mit Gustav Kuhn am Montagabend bei 3 SAT. Es tat einem selber körperlich weh, wie ein immer wieder stereotyp grinsender Gustav Kuhn alles in Abrede stellte, dann auch noch falsche Antworten gab, also gelogen hat, die vom nächsten Bericht im Interview dann widerlegt wurden. Das Ganze kam einem derartig als Kasperletheater vor, daß nämlich hier ein Abgang in seinen öffentlichen Schritten vorgemacht werden soll. Die Vorwürfe gehen ja über sexuelle Gewalt hinaus und betreffen die Geschäftsführung der Erler Festspiele, nämlich Vertragsgestaltungen, besser: fehlende Verträge und Schwarzarbeit. Das würde heutzutage einem Festivalchef sowieso zum Stolperstein werden, aber angesichts der massiven Vorwürfe von Sängerinnen, sind sie nur ein Klacks. Interessant aber, daß immerhin heute Machtmißbrauch, als der Versuch oder die Tat, Menschen sexuell für sich gefügig zu machen, als höheres Verbrechen gilt, denn Geldgemauschel und finanzieller Betrug. Ich persönlich finde das einen zivilisatorischen und kulturellen Fortschritt, daß Verbrechen an Menschen höher gewertet werden als Geldverbrechen.
Das nur nebenbei, denn die Nachricht aus Österreich hat ja mit dem Abgesang von Gustav Kuhn nur die eine Hälfte betroffen, die Voraussetzung der anderen Hälfte ist: nämlich die Einsetzung als neuer künstlerischer Festivalleiter durch den amtierenden Chef der Frankfurter Oper, Bernd Loebe. Nun muß man Musikkennern den Mann nicht weiter vorstellen, der gefühlt seit Jahrzehnten, real seit 2002 Intendant der Frankfurter Oper ist, dort nicht nur ein volles Haus vorzuweisen hat und eine veritable Opernschule aus dem Hut zauberte, sondern regelmäßig musikalische Lorbeeren einstreichen darf durch die wiederholten Auszeichnungen auf europäischer Ebene: Opernhaus des Jahres zu sein.
Er wird also zusätzlich zu seinem Frankfurter Amt bis 2023 auf fünf Jahre die künstlerische Leitung der TIROLER FESTSPIELE ERL übernehmen – und er hatte sich darum noch nicht einmal beworben, heißt es. Es gab immerhin 22 Bewerbungen. Bernd Loebe hatte seinen Urlaub auf der Turracher Höhe verbracht und wurde per Hubschrauber vom Präsidenten der Festspiele Erl besucht, der ihm die musikalische Ehe in Tirol anbot! Man kann sich schon vorstellen, daß auch ein allseits geschätzter Intendant, sich darob herausgehoben fühlt und allein schon vom Prozedere her gerne Ja sagt, zum 1. September 2019 die Künstlerische Leitung in Erl zu übernehmen. Bis dahin ist wohl schon alles festgezurrt!
Was die Frankfurter wissen, ist den Österreichern neu. Bernd Loebe ist ein Frankfurter Bub und kann dies auch sprachlich bei Bedarf beweisen. So eine wie ich kennt ihn noch aus dem Hessischen Rundfunk, daß er einmal Jura studiert hat, wußte ich nicht, aber seine Tätigkeit als Musikjournalist schon. Daß er dann in den Jahren, wo wiederum unsereins nach Brüssel zu pilgerte, wo doch die Frankfurter Bühne erst mal nach dem 10jährigen Wirken des musikalischen Heros Michael Gielen in tiefe Nacht und einen Opernbrand dazu fiel, nach Brüssel also zu Mortier und Cambreling - letzterer wurde dann ja Intendant in Frankfurt und Mortier u.a. Chef der Salzburger Festspiele, der Pariser Oper...- , wo Bernd Loebe längst im Hintergrund die Musik machte, bevor er dann nach Frankfurt kam.
Daß Bernd Loebe unter der Arbeitslast zusammenbricht, ist nicht zu befürchten. Er gehört zu den stabilen Menschen, die zudem mit anderen zusammenarbeiten können, wobei es Grenzen gibt. Für Erl hat er – und da wissen wir nicht, ob das jetzt schon seine eigenen Vorschläge sind, oder die angedachten Planungen – angekündigt, daß für ihn die szenischen Verwirklichungen der Opern besonderes Interesse finden, weil durch den knappen Bühnenraum in Erl besondere inszenatorische Lösungen nötig sind.
Foto:
Bernd Loebe bei der Überreichung des Opera Awards 2018
© Oper Frankfurt, Jim Winslet