Jacqueline Schwarz
Ravenna (Welexpresso) - Lampi! Tuoni! Gorghi! Turbi tempestosi e fulmini!(Blitze! Donner! Strudel! Heulen des Sturms und des Gewitters!): Aufgewühlt und furchterregt sorgt sich die Menge um Otellos sichere Ankunft. Es gewittert und stürmt. Und dann, nach dem erlösenden É salvo! (Gerettet!) erscheint Otello alias Mikheil Sheshaberidze und singt sein Dopo l’armi lo vinse l’uragano (Nach unseren Waffen besiegte sie noch der Sturm) mit staunenswerter Kraft. Schon da kündigt sich das sagenhafte Potenzial eines ganz Großen an, um den sich vermutlich bald alle großen Häuser reißen werden. Was für ein Auftakt!
Es sei daran erinnert, dass Cristina Mazzavillani Muti beim Herbstfestival traditionell alle drei Produktionen mit jüngeren Nachwuchskünstlern besetzt und in allen Produktionen selbst Regie führt. Ihr berühmter Ehemann Riccardo Muti hilft einigen Dirigenten bei den Vorbereitungen, ist aber anderweitig nicht künstlerisch beteiligt. Verständlicherweise will die Festivalleiterin, bei den Einheimischen in Ravenna sehr beliebt, nicht nur als Ehefrau von Riccardo angesehen werden. Auf ihre ganz eigene Art ist die mit blauen Haaren etwas exotisch anmutende Regisseurin ebenso eine starke Persönlichkeit.
Wer nicht zum ersten Mal zur Herbst-Trilogie in die für seine herrlichen Mosaike bekannte Stadt gekommen ist, weiß, dass man von Cristina Muti stets wunderbare Aufführungen erwarten kann. Mit dem diesjährigen Otello in einer szenischen Wiederaufnahme von 2013 glückt ihr aber schier eine Sensation. Dies dank der die Erwartungen übertreffenden, grandiosen Besetzung und großer szenischer Darstellungskunst.
Mit dem 35-jährigen Georgier Sheshaberidze ließ sich jedenfalls in der Titelpartie ein phänomenaler Tenor entdecken, der die emotionalen Erregungszustände des venezianischen Befehlshabers schon bei diesem Rollendebüt so stark durchlebt wie einst ein Jon Vickers in den unvergessenen Aufführungen Herbert von Karajans in den 1970er Jahren. Unweigerlich profitiert er dabei auch von einer Regie, die ihm – erhaben über das an außeritalienischen Bühnen verbreitete unsinnige Tabu des Black-Facing – die schwarze Erscheinung des Mohren zugesteht, die nun einmal für die Psychologie dieser Figur unverzichtbar ist.
Mit dem Italiener Luca Micheletti ließ sich noch ein weiterer grandioser Verdi-Interpret entdecken. Er beeindruckte mit einer machtvollen Stimme, noch dazu aber mit einer für einen 33-jährigen Rollendebütanten ungewöhnlichen Reife in der abgründigen Figur des Jago. Lange hat man keinen so gemeinen, mit allen Wassern gewaschenen Fiesling erlebt. Elisa Balbo sang ihre Desdemona zwar nicht durchweg mit engelsgleichen strahlenden Spitzentönen, aber höchst achtbar, vor allem ihre mit großer Zärtlichkeit vorgetragene Weide-Arie berührte sehr. Dazu musizierte das wunderbare, von Riccardo Muti gegründete Orchestra Giovanile Luigi Cherubini mit Nachwuchsmusikern bis zur Altersgrenze von 30 Jahren hoch emotional unter der Leitung von Nicola Paszkowski.
Als ein bemerkenswerter Tragöde empfiehlt sich auch der Rigoletto von Andrea Borghini, der seinen profunden Bariton sicher durch alle Lagen führt und in seiner gesamten Körpersprache die Seelenzustände seines Helden offenlegt. Verbittert und misstrauisch ob neuer Attacken und Intrigen seitens der Höflinge schlurft er dicht an der Rampe entlang, sobald ihn aber seine über alles geliebte Tochter Gilda umgibt, nimmt er sofort eine aufrechte Haltung ein. Musikalisch setzt vor allem die wunderbare Sopranistin Venera Protasova dem Rigoletto ein Glanzlicht auf: hell, strahlend klar, intonationssicher und mit schönem Timbre meistert sie ihre Gilda. Am Ende war diese Aufführung angesichts eines gesundheitlich schwer angeschlagenen, indisponierten Tenors, der seine berühmte Arie La donna mobile nur markierte, jedoch nur eine halbe.
Immerhin machte Dirigent Iraner Hossein Pishkar, ein Schüler Riccardo Mutis, das Beste aus dieser Situation, musizierte hoch motiviert und leidenschaftlich mit dem Orchester und besorgte die dramatische Spannung im Graben.
In szenischer Hinsicht geriet Cristina Muti der Nabucco am stärksten, vor allem auch deshalb, weil sie glücklicherweise nicht den schon mehrfach gescheiterten, waghalsigen Versuch unternimmt, die alttestamentarische Geschichte um den babylonischen König und die nach Freiheit strebenden Israeliten in die Gegenwart zu katapultieren, ebenso wenig setzt sie sich unter Einsatz altmodischer Dekorationen dem Vorwurf des Verstaubten aus. Vielmehr zaubert sie mittels Videoprojektionen symbolkräftige Bilder, in denen das Altertum nicht zu kurz kommt. Mal dominiert ein übergroßer siebenarmiger Kerzenleuchter die hauchfeine Gazeleinwand, mal sind es Ansichten des im Berliner Pergamonmuseum konservierten berühmten Ishtar-Tors. Und wenn Babylonierkönig Nabucco (eigentlich Nebukadnezar), am Ende des ersten Akts befiehlt, den Tempel der Israeliten niederzubrennen, bringt Muti eine gigantische Video-Installation, die an Arbeiten des genialen Video-Künstlers Bill Viola erinnert: ein gigantisches kaminrotes Feuer vereinnahmt da unter Rauchschwaden den Bühnenraum.
Wie im Otello lassen dazu großartige tiefe Männerstimmen aufhorchen: Der Rumäne Serban Vasile, der gerade erst im Sommer Gelegenheit hatte, mit Riccardo Muti in seiner Opernakademie in Ravenna an der Figur des Macbeth zu arbeiten, meistert mit seinem mächtigen Bariton und auch darstellerisch ergreifend, den größenwahnsinnigen Titelhelden, der erst durch die Bekehrung zu Gott sein Heil erlangt. Der als Hohepriester Zaccaria mit seinem riesengroßen kultivierten Bass in die Fußstapfen eines Nicolai Ghiaurov tretende Evgeny Stavinski ist ebenfalls eine Klasse für sich. Die streckenweise mit starkem Vibrato singende und sich durch ihre hohen Register etwas stemmende Alessandra Gioia fällt als Abigaille gegen dieses starke Duo deutlich ab, aber ihr Part hat es bekanntlich in sich. Musiziert wird unter der Leitung von Alessandro Benigni abermals vorzüglich, ein Sonderlob gilt dem Cellisten Matteo Bodini, der seine Soli in Nabucco und Otello, die man in vielen Aufführungen gar nicht so hervorstechend wahrnimmt, mit dem denkbar schönsten Ton spielt.
Der hohe künstlerische Gesamtanspruch Cristina Mutis manifestiert sich freilich auch in dem Anspruch, den drei Inszenierungen etwas Verbindendes zu geben. Das gelingt über einzelne Requisiten, die in allen dreien Verwendung finden und über ein akustisches Sounddesign (Alessandro Baldessari). Letzteres macht Sinn, wo es die stürmisch-gewittrige Stimmung naturalistisch unterstreicht wie im ersten Akt des Otello und im letzten von Rigoletto. Als weniger hilfreich erweist es sich dagegen, dass die Sänger zugleich akustisch verstärkt werden. Das bringt irritierende Halleffekte und störende technische Geräusche mit sich, und vor allem haben die überwiegend gut ausgebildeten, großartigen Sänger das nicht nötig, schon gar nicht an einem so kleinen Haus wie dem entzückenden Teatro Dante Alighieri. Gerade junge Sänger sollten an solche Unsitten erst gar nicht herangeführt werden.
Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Vergleichbar vorzügliche Verdi-Aufführungen gibt es derzeit kaum anderswo.
Foto:
Cristina Mazzavillani Muti © ravennafestival.org
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Info:
www.ravennafestival.org
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