Christian Thielemann leitete die Premiere „Frau ohne Schatten“ zur 150-Jahrfeier der Wiener Staatsoper
Kirsten Liese
Wien (Weltexpresso) - Ein Intendant, der vor einem Dirigenten niederkniet: Das ereignet sich nicht alle Tage!
Umso bedeutsamer erschien diese Geste, die sich nach der mit großer Spannung erwarteten Premiere zur 150 Jahrfeier in der Wiener Staatsoper zutrug: der "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss.
Auf der Premierenfeier also, auf der sich die Bühne der Wiener Staatsoper eindrucksvoll in einen Bankettsaal verwandelte, brachte Dominique Meyer seine Dankbarkeit für ein Dirigat mit der denkbar größten Hochachtung zum Ausdruck, das es verdient, grandios genannt zu werden.
Freilich, wenn man über Thielemann - Abende ins Schwärmen kommt, neigt man dazu, sich in Rezensionen zu wiederholen, sind es doch stets dieselben Qualitäten, die sein Musizieren mit den Wiener Philharmonikern und der Sächsischen Staatskapelle Dresden auszeichnen: Ungemein subtil, farbenreich und emotional kommt die Musik einmal mehr zum Leuchten. Feine Streichergespinste, durchsetzt von zärtlichen Cello- Soli (Sonderlob für einen herzerwärmend schöner Ton: Solo-Cellist Tamás Varga) und filigrane zärtliche Soli der ersten Violine, bescherten da über weite Strecken ungemein sensitiv dargebotene Kammermusik. Aber selbstverständlich baute sich die Musik auch monumental auf in den Momenten der drohenden Versteinerung des Kaisers. und das markerschütternd mit Forteklängen von außergewöhnlicher Kompaktheit. Es ist zu spüren, dass Christian Thielemann und die Musiker diese Partitur, die am selben Ort vor 100 Jahren ihre Uraufführung erlebte, vom ersten bis zum letzten Takt lieben. Das drückt sich einmal mehr auch im seismografischen Reagieren auf die Sänger aus.
Wiewohl sich hier ein Ensemble mit prominenten Namen versammelte, konnten einige darunter darüber sehr froh sein. Allen voran Wolfgang Koch, unlängst noch ein achtbarer Sachs in Barenboims Berliner "Meistersingern", aber als Barak doch etwas klein und unscheinbar in der ungleich größeren Wiener Staatsoper.
Aber auch die von der Kritik stets sehr verwöhnte Camilla Nylund, die ihre Kaiserin allemal höhensicher und solide sang, aber bisweilen mit engem Vibrato, ließ einen Sopran hören, der bei einem weniger sensibel dynamisierenden Dirigenten in vollem Orchestertutti leicht hätte untergehen können.
Die Rezensentin bekennt sich dazu, hohe Maßstäbe anzulegen, aber zur Premiere einer derart historischen Premiere zur 150-Jahrfeier darf man vielleicht streng sein und den Vergleich suchen mit so unvergessenen Kräften wie Leonie Rysanek (Kaiserin) und Dietrich Fischer-Dieskau (Barak), an die in heutigen Zeiten leider eben doch niemand heranreicht.
Ebenso wird wohl Birgit Nilssons Färberin unerreicht bleiben, wenngleich Nina Stemme, 2018 verdient mit dem Birgit Nilsson Preis ausgezeichnet und mit einer herrlich großen Stimme gesegnet, eine Nilsson würdige, grandiose Vorstellung gab.
Als Brünnhilde, Isolde und Elektra hatte sich die Schwedin in den vergangenen Jahren schon als eine der letzten großen Hochdramatischen empfohlen - ein Potenzial, das sie mittlerweile noch weiter ausbauen konnte.
Glutvoll und warm tönt ihr Sopran in der Mittellage, souverän, leuchtend und unangestrengt in der Höhe. Das zickige Zetern im Ehekrach liegt ihr dabei nicht weniger als ihre leidenschaftliche Beteuerung, den Gatten nicht betrogen zu haben (" Ich habe es nicht getan".) Kaum zu glauben, dass es sich um ein Rollendebüt handelt, die Partie sitzt Stemme in Fleisch und Blut!
Immerhin gab es neben ihr mit Stephen Gould als Kaiser noch einen Sängerprotagonisten, der - gesegnet mit der gebotenen Durchschlagskraft –an die goldene Ära der frühen 1970er Jahre anknüpfen konnte.
Im Hinblick auf die Amme sprachen Dominique Meyer und Christian Thielemann auf der Premierenfeier augenzwinkernd von einer "schrägen Idee". Auch wenn sich, vor allem seitens der abgründigen Figur gut nachvollziehen lässt, dass ihre Wahl auf Evelyn Herlitzius gefallen ist, so wird man doch nicht restlos glücklich damit. Nicht zufällig schrieb eben Strauss die Rolle für eine tiefere Mezzostimme. Die Partie ist damit durchaus für Sängerinnen prädestiniert, die im fortgeschrittenen Alter mit bereits deutlich abgesenkter Stimme in das Charakterfach wechseln, denkt man an Martha Mödl, die allerdings ohnehin aus dem Mezzofach kam, oder Astrid Varnay. Herlitzius, die kraft ihrer szenischen Darstellungskunst starken Eindruck machte, wird sich in diese Riege eines Tages gewiss einreihen. Aktuell tönt ihr Sopran in der Tiefe allerdings noch zu dünn, in der Höhe leidet er unter so mancher Schärfen.
Einen Glücksfall bescherten die treffliche Regie von Vincent Huguet und die von Aurélie Maestre gestaltete Bühne, die mit einer imposanten Felsenlandschaft das Motiv der Versteinerung in den Vordergrund rückt. Ein solches Grau in Grau ließ manch einen vielleicht sehnsuchtsvoll an Thielemanns erste „Frau ohne Schatten“ in Berlin Anfang der 2000er Jahre zurückdenken, die Philippe Arlaud farbenprächtig und ungleich märchenhafter ausgestaltete.
Erinnert man sich dagegen an Thielemanns Salzburger „Frau ohne Schatten“ aus dem Jahr 2011, von Christof Loy statisch als Hörtheater in einem Studio angesiedelt, ist man über die Wiener Produktion regelrecht glücklich! Das sagt nicht nur die strenge Kritikerin dieses Artikels, sondern beispielsweise auch Christa Ludwig, ihrerzeit eine Färberin par excellence an der Wiener Staatsoper, und zur Premiere im Publikum. In der ersten Pause war es mir vergönnt, ein paar Gedanken auszutauschen.
Zudem harmoniert die Szene dieser jüngsten Produktion ideal mit der Handschrift eines Regisseurs, der sich unverkennbar als langjähriger Assistent des legendären Patrice Chéreau ausweist. Erinnern wir uns einen Moment an Chéreaus „Cosi fan tutte“ im Theater an der Wien von 2006: Ungeachtet lustiger, buffonesker Momente war die Geschichte um zwei Paare, die sich im Zuge heikler Treueproben verlieren und wieder zusammenfinden, damals von nie gesehener ernster, tragischer Seite zu erleben.
Ebenso verhält es sich mit dieser „Frau ohne Schatten“, deren Handlung der Regisseur keineswegs nur auf ihren Kern reduziert und damit auf zwei Ehepaare in der Krise, die erst wieder glücklich werden können, als die Frauen kraft ihrer tiefen Menschlichkeit und ihres Mitleids fruchtbar werden. Vielmehr bringt Huguet ebenso latent wie passend die Entstehungszeit der Oper, den Ersten Weltkrieg, in die Inszenierung ein: im zweiten Akt, wenn die Kaiserin, die Sorge um die drohende Versteinerung ihres Gatten auf der Seele, ihre Empathie für die Menschen entdeckt, umgeben sie zu den traurigen Klängen des Falken gefallene Soldaten und Kriegsverwundete. Einem dieser Verwundeten hilft die Kaiserin auf die Beine, hakt ihn unter, stützt ihn und führt ihn mit sich aus dem kurzzeitig zum Schlachtfeld gewordenen Steinbruch. Wenn dann kurz darauf der Kaiser nach der Gattin sucht, den „Menschendunst“ an ihr bemerkt und sogar erwägt, sie zu töten, ist der Kaiser eben nicht nur der Märchenkaiser, sondern ein das Kriegstreiben verantwortender Monarch.
Der größte Beifall im Publikum galt freilich Christian Thielemann und den Wiener Philharmonikern. So ein lang anhaltender Beifall ist wohl selbst am Haus am Ring keine Selbstverständlichkeit. Das Musizieren war wirklich zum Niederknien schön.
Fotos:
Nina Stemme, Evelyn Herlitzius
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