Serie: Frankfurt liest ein Buch 2013, vom 15. bis 28. April: Siegfried Kracauer GINSTER (Suhrkamp), Teil 11

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Margit Neubauer, seit 1977 an der Frankfurter Oper und 1993 zu deren Kammersängerin ernannt, hatte schon am Eröffnungsabend den GINSTER mitgelesen und setzte nun in der Oper mit Rezitationen aus Kracauers Studie über Jacques Offenbach fort, wobei vier Mitglieder aus dem hauseigenen Opernstudio die Lesung zu einem musikalischen Fest machten.

 

Im Ernst, den Schwung des Abends nahm man in den nächsten Tag mit. Wie schade für Margaret Stuffmann, Ex-Leiterin der Graphischen Sammlung am Städel und ausgewiesene Liebhaberin Frankreichs und des Französischen. Die schwärmte nämlich von Kracauers „Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit“, das 1937 im Exil in Amsterdam erschien und derzeit nicht nur in der Kracauer Gesamtausgabe als Band 8, sondern auch als Taschenbuch verfügbar ist. Das berichtete sie, als wir von der ersten Pressekonferenz zu GINSTER ins Städel zur nächsten Ausstellungskonferenz eilten und dort vom gewaltigen Vorhaben dieser zwei GINSTERwochen Kunde gaben und so auch den Opernabend ankündigten. Leider verpaßt sie diesen Abend, wo Kracauers Worte zur Musik wurden.

 

Dafür waren die 150 Plätze im Holzfoyer nicht nur ausverkauft, sondern durch zusätzliche Stühle vermehrt worden. Leider hatte der Suhrkamp Verlag keine Rezensionsexemplare zur Verfügung gestellt, so daß die von Margit Neubauer mit sonorer Stimme vorgetragenen Passagen nur dem Inhalt nach grob wiedergegeben werden können. Gar zu gerne hätten wir zitiert, weil nicht der eigentliche Gehalt in dieser Schrift das Wesentliche ist, sondern die Art und Weise, wie subtil und hintergründig, wirklich mit Witz und eben Sprachwitz, Kracauer hier der Gesellschaft des 2. Kaiserreiches in Frankreich am Zeug flickt. Er hatte die Idee dazu im Pariser Exil und schrieb umgehend über den Aufstieg des Komponisten Offenbach eine Gesellschaftsbiographie, übrigens ganz und gar nicht mit der Zustimmung von Adorno, der sich mokierte über diese Anbiederung an den „Kitsch“ der Operette, die Kracauer in seiner Hommage an Offenbach nicht aufgedeckt habe.

 

Aber das wissen wir nur vom Hörensagen, weil auch der Briefwechsel zwischen Adorno und Kracauer nicht mehr zu Rezensionen zur Verfügung steht. So, als ob der Suhrkamp Verlag nicht wüßte, welche Reklame wir alle hier – noch dazu gerne – mit dem Zelebrieren der GINSTERwochen nicht nur für Kracauer, sondern auch für den Verlag machen. Aber das soll nicht abhalten, diesen hinreißenden Abend in der Oper zu würdigen. Es hieß in der Einladung SOIREE mit Texten von Siegfried Kracauer (1889-1966)/Musik von Jacques Offenbach (1819-1880)– und eingeladen fühlte man sich wie zu einem intimen Rendevouz, was daran lag, wie sowohl die Vortragende quasi für einen selbst den Text lebendig werden zu ließ, wie auch die jungen Sänger das Gefühl vermittelten, daß sie gerade jetzt auf die Idee kommen, einer kleinen Gesellschaft die schwelgerische, spöttische, wohllautend verströmende Musik Offenbach mit ihren eigenen Stimmen zu schenken. Fortsetzung folgt.

 

 Foto: Wolfgang Becker

INFO:

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Suhrkamp Verlag 2013

 

Siegfried Kracauer, GINSTER, Hörbuch, 4 CDs, Hörbuch Hamburg 2013

 

Wolfgang Schopf, BIN ICH IN FRANKFURT DER FLANEUR GEBLIEBEN...SIEGFRIED KRACAUER UND SEINE HEIMATSTADT, Suhrkamp Verlag 2013

 

Wolfgang Schopf (Hrsg.), DER RISS DER WELT GEHT AUCH DURCH MICH, Theodor W.Adorno – Siegfried Kracauer Briefwechsel 1923-1966, Suhrkamp Verlag 2008

 

Siegfried Kracauer, Werke in neun Bänden, hrsg. von Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke, ab 2004 ff, Suhrkamp Verlag

 

 

www.frankfurt-liest-ein-buch.de