Der neue „Tannhäuser in Bayreuth“
Kirsten Liese
Bayreuth (Weltexpresso) - Ein Zwerg als Oskar Matzerath mit Blechtrommel, eine schwarze Drag Queen im Tutu, eine Grimmsche Märchenhütte mit Schneewittchens Zwergen und Frau Holle: Tobias Kratzer kreiert auf dem Grünen Hügel eine Comedy-Show mit Krimi - Einlagen auf Kinoleinwand.
Das neue Bayreuther Festspielpublikum, darunter nur noch wenige Connaisseure, amüsiert sich kichernd, dass man meinen könnte, gegeben werde eine Boulevardkomödie. Warum Tannhäuser mit Clownsperücke seinen ersten Auftritt hat- egal. Dass Elisabeth und Wolfram im dritten Akt in die Kiste springen und vögeln- cool wie das die Ouvertüre illustrierende Roadmovie durch den Thüringer Wald. Große Lacher ernten im Übrigen eine Videosequenz, in der die Transe mit einem Anflug von Süffisanz Christian Thielemann anflirtet oder sagen wir genauer sein Foto in der Dirigentengalerie des Festspielhauses, und eine inszenierte Momentaufnahme mit Katharina Wagner, die – als in ihrer Festspielhaus-Wartburg das Chaos ausbricht- die Polizei holt.
Noch Fragen? Man könnte jetzt endlos so weiter erzählen, welche Späßchen sich Kratzer noch so hat einfallen lassen, aber wir machen an dieser Stelle einen Punkt, ist dies doch schon zuviel Aufmerksamkeit für eine verkorkste Inszenierung.
Die Musik bleibt unter solcher Bilderlast unwillkürlich auf der Strecke, so dass es schon fast egal erscheint, dass hier die seltener gespielte Dresdener Fassung gegeben wurde. Aber zum Glück war nicht alles im Argen. Stephen Gould, als Bayreuther Dauergast-Oldtimer ein Phänomen wie der Tennisstar Roger Federer, singt nach gefühlten Jahrzehnten bewährt und stimmstark den Tannhäuser, und das nahezu konkurrenzlos neben dem ebenfalls sich schon im fortgeschrittenen Alter befindenden Peter Seiffert. Während so manche jüngere Wagner-Tenöre ihre Kräfte im ersten Aufzug gerne für die Romerzählung sparen, singt er von der ersten Note an mit großem Einsatz, intonationssicher, schlafwandlerisch sicher, und - souverän erhaben über Regie, hässliche Kostüme, Maske und Bühne (Rainer Sellmaier), zudem mit solider Stimmführung und ohne unschönes Tremolo, das sich bei Tenören jenseits der 50 gerne einschleicht. Besonders packend, weil spürbar von Abscheu durchdrungen, sein „Da ekelte mich der holde Sang“.
Lise Davidsen, der neue Shooting-Star aus Norwegen, verfügt zweifellos über großes Material, Talent und eine schöne Stimme, singt aber streckenweise ihre Elisabeth - und allen voran die wunderbare Arie „O holde Jungfrau hör mein Flehen“- mit dem falschen Ausdruck. Ein guter Regisseur und ein verantwortungsvoller Dirigent, die hier nun nicht am Platze waren, wären da gefragt gewesen. Statt zärtlicher, filigraner Piano- und Kopfstimmtöne, die dieses innigliche Gebet erfordert, singt Davidsen schlank, aber ungeachtet des Textes mit stählerner Stentorstimme wie Brünnhilde ihren Schlussgesang in der Götterdämmerung.
Ähnliches lässt sich über Elena Zhidkova sagen, deren Rollenporträt durch die zeitgeistschnittige Inszenierung am meisten litt. Über großes Volumen verfügt auch ihr Sopran, aber für betörende Verführung und Sinnlichkeit war kein Raum. Ein bisschen brutal, fast aggressiv wie eine Kampflesbe (hi, hi, hi) singt sie die Venus.
Die große sängerische Leistung konnte Markus Eiche als Wolfram aufbieten, ein Bariton, der sich auf die hohe, verloren gehende Kunst des Legatosingens versteht. „O du mein holder Abendstern“- lyrisch, schwebend, leise vorgetragen, pfleglich behandelt seitens schwieriger Vokale und Konsonanten- rührte stark an.
Unter allen übrigen Figuren gefiel vor allem der hübsche Sopran von Katharina Konradi, deren Hirten-Solo ohne Orchester zierlich, liebreich, intonationssicher und natürlich schön tönte.
Valery Gergiev, nach der Premiere viel gescholten für eine schlampige Einstudierung, hatte wohl vor dem von uns besuchten zweiten Abend zumindest noch etwas nachgeprobt. Fatale Wackler in den Pilgerchören (Einstudierung: Eberhard Friedrich) ließen sich jedenfalls nicht vernehmen, nur im dritten Akt kam es zu kleineren Ungenauigkeiten zwischen Bühne und Graben.
Enttäuschend wirkte das Dirigat des Russen dennoch, bewegte sich die Musik hier doch an der Oberfläche. Klangliche Subtilität Fehlanzeige. Es reicht eben nicht aus, nur laut und leise zu spielen.
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