m anna nebrbb24Anna Netrebko in einer konzertanten Aufführung von Cileas „Adriana Lecouvreur“ in der Deutschen Oper Berlin

Kirsten Liese

Berlin im September (Weltexpresso) - In Bayreuth und Salzburg hatte sie unlängst Auftritte abgesagt, um auf Anraten ihres Arztes eine Pause einzulegen und ihre Stimme zu schonen. Bis zuletzt war man nun gespannt, ob Anna Netrebko in den geplanten Aufführungen als Adriana Lecouvreur in der Deutschen Oper Berlin auftreten- oder ihre künstlerische Pause verlängern würde.

Tatsächlich kam sie. Und dank ihrer sagenhaften Bühnenpräsenz – um das gleich einmal vorab zu sagen- und den majestätischen, glitzernden wechselnden Roben in Grün, Rot und Schwarz, in denen sie sich präsentierte, die eigentlich schon wie Kostüme anmuteten, wirkte die als konzertant angekündigte Aufführung packender als so manche spartanische, zeitgeistschnittige Inszenierung und eigentlich gar nicht konzertant. Vielmehr konnten, dank Verzicht auf einen Regisseur, der womöglich wie so oft mit wenig ansprechender Ästhetik und abwegigen Zutaten nur gestört hätte, Netrebko und ihr Ehemann Yusuf Eyvazov in der Rolle ihres Bühnenliebhabers Maurizio die  großen Gefühle auch darstellerisch bewegend rüber bringen.

Meiner Ansicht nach ehrt es die Russin, dass sie für miserable Regiearbeiten, in denen Stücke denunziert und verhunzt werden, nicht zu haben ist und auch schon einmal eine unzumutbare Inszenierung mit Hans Neuenfels platzen ließ. Insofern hat sich das Ausweichen auf die „konzertante“ Form, die gutem Geschmack weit mehr Raum lässt, bewährt.

Aber kommen wir zum Eigentlichen, den musikalischen Leistungen dieses Abends: Ihre erste berühmte Arie „Io son l‘umile ancella?“ („Ich bin nur die Magd“) singt die Titelheldin ja schon bei ihrem ersten Auftritt.   Ich gebe zu, ausgerechnet mit dieser Darbietung hat mich Netrebko noch nicht restlos betört. Zwar kam schon hier ihr Sopran in der Mittellage und in der Tiefe gewohnt golden, groß und strahlend zum Leuchten, dagegen ließen es aber doch einige Spitzentöne unter Einsatz eines etwas engen Vibratos an Schönheit vermissen. Ein bisschen beschlich mich da die Sorge, ob die Stimme vielleicht tatsächlich - und immer noch ein bisschen angegriffen sein könnte. Aber je länger der Abend dauerte, desto mehr schwand sie, fand die Ausnahmesängerin zu ihrer gewohnten Klasse zurück. Auf einmal waren sie im Piano wieder da, die überirdisch schönen Kopftöne, die man von ihr gewohnt ist, und die sagenhafte dramatische Power, unter der die Schlankheit ihrer Stimme nichts einbüßt. Anna Netrebko spielte nicht, sie war in diesen Momenten die große Schauspielerin und unglücklich Liebende Adriana Lecouvreur, ganz und gar mit dieser historischen Gestalt des 18. Jahrhunderts verschmelzend.

Im Kern geht es in Cileas Oper um die Rivalität zweier Frauen, die denselben Mann begehren. Adrianas Nebenbuhlerin, die Fürstin von Bouillon, in der Deutschen Oper Berlin besetzt mit Olesya Petrova, verfügt ebenfalls über eine mächtige Stimme, singt in den Höhen aber doch mit so manchen Schärfen. Dagegen singt Yusuf Eyvazof seinen brennenden Liebhaber, der die starken Gefühle von Adrianas Rivalin mitnichten erwidert, mit herrlichem Schmelz. Werteten ihn vor wenigen Jahren bei seinen Auftritten an der Mailänder Scala in „Andrea Chenier“, wo sein Tenor noch weniger voll und schön tönte, einige Kritiker missmutig als Anhängsel seiner berühmten  Frau, so empfiehlt er sich mittlerweile als ein seiner Anna ebenbürtiger, auch im Ausdruck stark anrührender Partner.

Eine Klasse für sich war am ersten Abend in der restlos ausverkauften Deutschen Oper Berlin außerdem der Bariton Alessandro Corbelli. Herzzerreißend gab er den alten Regisseur Michonnet, der Adriana vergeblich liebt und sie am Ende, vergiftet von der Rivalin, sterbend verliert, ohne dass die Schöne ahnte, welches Herz sie brach.

Michelangelo Mazza, der das Orchester der Deutschen Oper Berlin farbenreich durch die Partitur leitete, tat sein Übriges, dem Haus seltene Sternstunden zu bescheren, die sich tief ins Gedächtnis einbrennen. 

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