Serie: Die Bregenzer Festspiele 2013, Teil 4
Claudia Schulmerich
Bregenz (Weltexpresso) – David Pountneys Inszenierung läuft im technischen visuellen Sinn, also bildhaft, perfekt ab. Da seilen sich lauter Spidermänner über die Tierkörper nach unten ab, wieseln über den grünen Hügel oder durch den Urwald, die drei Damen mutieren zu Sitzpuppen auf farbenfrohen Riesenvögeln, die von drei Trägern durch Tiefen und Untiefen bewegt werden...
wobei man seinen eigenen Augen und Ohren nicht mehr traut, denn die Puppen öffnen bei der Musik ihre Münder und man hört den Gesang herausperlen. In Wirklichkeit befinden sich die drei Damen: Barbara Zechmeister, Sabrina Kögel und Bernadett Fodor beim Orchester, das verborgen im Festspielhaus hinter dem Publikum postiert. Derweil segeln die drei Knaben mit Riesen-Babyköpfen auf dem Rücken eines Wassertieres heran und umrunden mehrmals den Grünen Hügel, aber auch Hanna Herfurtner, Veronika Vetter und Viola Zimmermann sitzen oder stehen geschützt beim Orchester.
Auffällig, wie überhaupt alle Elemente zu Wasser, Luft und Grünem Hügel für die Bewegung genutzt werden. Auch Pamina (Gisela Stille) wird auf einem solchen Tierrücken im Wasser im gläsernen Kasten gefangengehalten, die Königin der Nacht (Ana Durlovski), die schon zuvor mit ihr bei der Ouvertüre auf einem Nachen vorüberrauschte, wird bei ihrer Hauptarie in Nachtblau hoch in den Nachthimmel erhoben,so daß die Spitzentöne ihrer ebenfalls perfekt gebotenen schwierigen Sangesrolle, direkt in den Himmel zu gelangen schienen. Ein bleibender Eindruck. Das Foto stellt die Situation dar, wo sie gegenüber Tamino noch sehr irdisch wirkt.
Mit einem Wort, es ist des Glanzes und der guten, immer stimmigen Einfälle kein Ende, so daß man eigentlich eine kunsthistorisch- ästhetische Betrachtung über die verwandten Bilder und Farben anstimmen müßte – interessanter aber ist, daß sich bei all dem Gewimmel und Farbfunkeln unter der Hand die Aussage der Oper wandelt, was man nicht sofort registriert, trotz oder wegen des ganzen bunten und lauten Aufwands. Aber da ist was und wie wir verstehen, durchaus mit Absicht. Denn aus dem oft hehren heldenhaften und männerbündischen Getue der Geheimgesellschaft um Sarastro (und seinem Licht!), der die Moral der ZAUBERFLÖTE gepachtet zu haben schien, wird auf einmal mehr als leise Kritik, die sogar Pamina erfaßt, wenn sie deutlich dem Sarastro zeigt, daß sie die Bestrafung des Monostatos (Martin Koch) durch den Oberherrscher für scheinheilig hält.
Scheinheilig? Sarastro? Doch, stärker als sonst wirkt der Mohr, der Sklave, der Pamina begehrt und schänden will, als der „Schatten“ des lichtvollen Sarastro, psychoanalytisch als sein verschleiertes Es. Das wird nicht explizit inszeniert, dennoch durch viele Kleinigkeiten als Interpretation sichtbar. Gleichzeitig nimmt man eine wärme Fürsprache wahr für die Muttergefühle der Königin der Nacht und auch eine für die von ihrem sterbenden Mann verletzte Ehefrau.
Diese Königin - die sonst macht- und mordlüsternd dargestellt wird, weil die Tochter die vom verstorbenen Vater dem Sarastro – und nicht ihr, der Königin der Nacht - zugedachte Sonnenscheibe zurückholen soll, auch mit Hilfe des Mordes an Sarastro - wird hier deutlich zu derjenigen, der von den Männern und ihren Bünden übel mitgespielt wird. Schließlich hat sich ja auch der künftige Schwiegersohn Tamino (Rainer Trost) , auf dem ihre Hoffnung ruhte und dem sie durch das Bildnis ihrer Tochter erst den Weg wies, von Sarastro zur blinden Gefolgschaft mit Schweigegelübde überreden lassen. Nichts mit echter Freimaurerei und Gedanken und Redefreiheit! So deutliche Kritik am ehrwürdigen Sarastro gibt es selten.
Erstaunlich ist darum keineswegs, daß nach der leicht gekürzten knapp zweieinhalbstündigen Aufführung einem zwar die bunten Bilder im Sinn und dem Gedächtnis bleiben, daß man sich aber erst nach dem Ende des äußeren Spektakels so richtig zu überlegen beginnt, inwiefern diese ZAUBERFLÖTE inmitten der hochtechnisch errichteten und für die ZAUBERFLÖTE angemessenen Märchenwelt einen ideologischen Umschwung hin zu den Frauen bedeutet. Nie fielen uns die frauenfeindlichen Textstellen so auf wie diesmal. Wir haben uns fest vorgenommen, dies beim nächsten Mal von Anfang an genau zu verfolgen. Denn diese Möglichkeit bietet Bregenz: übers Jahr wird DIE ZAUBERFLÖTE erneut gespielt, bevor 2015 die nächste Oper unter neuer Intendanz folgt.
P.S. Daß die Aussagen über die musikalische Seite der Aufführungen so gering ausfallen, ist das Schicksal des nicht sichtbaren Orchesters der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Patrick Summers und der gut präsentierten Stimmen aus dem Off. Das Orchester selbst ist nur auf Leinwänden sichtbar. Von den Interpreten redet man eigentlich nur, wenn etwas daneben geht, was nicht passierte, weil der musikalische Ablauf stimmte. Daß man sich oft wundert, wo die Stimme herkommt, die man gerade singen hört, hat ebenfalls mit der Perfektion der Aufführung zu tun.
Und auch, daß Papageno (Daniel Schmutzhard) gar nicht erwähnt wurde, obwohl er seine Sache gut gemacht hat und darum auch zu Recht seine Papagena (Susanne Grosssteiner) erhält. Wie viele Paminas zum Beispiel auf den Hängebrücken und dem dichten Urwaldhügel zu Gange waren, haben wir nicht mitgezählt, nur waren die Figuren oft so schnell woanders und sangen, daß das nicht mit normaler Geschwindigkeit zu erklären ist, wohl aber mit Statisten.
Bis 18. August. Da alle Zauberflötentermine schon ausverkauft sein sollen, sollte man sich frühzeitig um das nächste Jahr kümmern.
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