Rosa von Praunheim neuester Film über schwule Opernenthusiasten am Sonntag, 19. April 2020, ARTE 23.05 Uhr
Kirsten Liese
Manchmal weiß man nicht, wozu etwas gut ist. Ursprünglich hat der Regisseur Rosa von Praunheim seinen jüngsten Film „Operndiven- Operntunten“ über schwule Opernenthusiasten ins Kino bringen wollen. Aber weil sich bislang noch nicht das geeignete Festival oder der passende Verleih fand, kommt er jetzt erstmal „nur“ ins Fernsehen. In Corona- Zeiten erscheint das als ein Segen, so können wir ihn wenigstens sehen, die Kinos sind ja bis auf weiteres geschlossen, und wer weiß, wann sie wieder aufmachen?
Ich wurde auf den Film schon vor längerer Zeit aufmerksam, da mein Kollege und Freund Tilman Krause, Feuilletonredakteur bei der „Welt“, als einer der Protagonisten hervortritt und mit von den Dreharbeiten berichtete. Wir kennen uns, seit der Zufall uns 1990 als Referendare an einem Charlottenburger Gymnasium in Berlin zusammenführte.
Und soviel noch vorab: Dem Filmemacher und Opernregisseur Werner Schroeter, von dem Praunheims Film inspiriert ist, bin ich auch einmal persönlich begegnet. Wie viele Schwule schwärmte er für Maria Callas. Zu einem Interview trafen wir uns anlässlich seines letzten Films „ Nuit Du Chien – Diese Nacht“. Darin geht es um einen Exilanten, der in seiner Heimat, in die er zurückkehrt, in chaotische, bürgerkriegsähnliche, von Verhaftungen geprägte Zustände gerät.
Unser damaliges Interview wird mir in mehrfacher Hinsicht unvergessen bleiben. Das fängt schon damit an, dass Schroeter ein echtes Original war, eine eigenwillige Künstlertype, und man durchaus kontrovers mit ihm diskutieren konnte. Unser Gespräch gestaltete sich eben auch deshalb so ungewöhnlich und spannend, weil wir uns über einige Themen wie Opernregie durchaus uneins waren.
Besonders gefiel mir sein Film „Der Rosenkönig“ und was er zum Einsatz der Musik in seinem Film „Diese Nacht“ sagte: Dass die so schöne Musik, die dem brutalen Geschehen als Soundtrack diametral entgegensteht, sich wie eine Schutzhülle um seine Figuren lege.
Leider hatte er jedoch sein Handy, das ich ihn gebeten hatte auszuschalten, nur in Vibrationsmodus gebracht, so dass eingehende Rufsignale als morsezeichenähnliche Störtöne Spuren auf meiner Aufnahme hinterließen. Für das Radio konnte ich es folglich nur eingeschränkt auswerten. Es ließ sich leider nicht wiederholen, und bald darauf starb Schroeter.
Sein Jugendfreund Rosa von Praunheim hatte bislang keine Ahnung von Oper. Umso anerkennenswerter erscheint es mir, wie sehr sich der 77 Jahre alte Filmemacher in diese Kunstform hineingekniet hat, ich muss gestehen, das hätte ich ihm nicht unbedingt zugetraut. Kurzum, die Qualitäten der Dokumentation liegen in dem künstlerischen Feingespür, das sich daran zeigt, wie Praunheim die Aussagen seiner Protagonisten zu passenden Opernszenen in Beziehung setzt. In dem Film gibt es viel herrliche Musik, und es dreht sich dabei keineswegs alles um die Callas. Vielmehr versammelt Praunheim insbesondere mit Tilman und dem Musikwissenschaftler Kevin Clarke Protagonisten mit etwas ausgefalleneren Vorlieben vor der Kamera. Sie bekunden ihre Faszination für so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Régine Crespin, Elisabeth Schwarzkopf, Kiri Te Kanawa, Ljuba Welitsch, Nadine Secunde oder Edda Moser, die etwa auch mit einem weniger bekannten Stück von Hans-Werner Henze, ebenfalls schwul, präsentiert wird.
Dass es sich mithin um ausnahmslos weibliche Stimmen handelt, hat viel mit Erotik zu tun. Denn darauf läuft der Film in seiner Bilanz hinaus: Oper und Sex gehört für Schwule untrennbar zusammen. Das freilich musste den auch als Autor und Aktivisten tätigen Praunheim interessieren, war Sex doch stets sein Hauptthema.
In dem Kontext konnte ich noch ein paar interessante Details dazulernen. Über Bayreuth zum Beispiel, und das obwohl ich über 20 Jahre jeden Sommer dort war. Ich meinte eigentlich, im äußeren Gelände jeden Winkel zu kennen: das Steigenberger vis- a-vis vom Festspielhaus, die Kneipe am Fuße in der Tristanstraße, wo mir einmal – kurz nachdem ich sie in dem Film „Black Box BRD“ gesehen hatte- sogar Traudl Herrhausen, Witwe des von der RAF ermordeten Bankiers Alfred Herrhausen, an einem Tisch gegenüber saß; das Kneipbad am oberen Hügel und das Restaurant „Bürgerreuth“ oberhalb des Parkplatzes. Aber nun erfahre ich, dass es früher auch noch eine spezielle öffentliche Toilette für Schwule gegeben haben soll, wo sie sich nach einer Vorstellung trafen, um das von der Musik angefachte Begehren auszuleben. „Siegfried-Wagner-Gedächtnisklappe“ soll die in Erinnerung an Wagners homosexuellen Sohn Siegfried geheißen haben. Und da ging, so sagt es Kevin, „die Post ab“.
Und nicht nur da. Auch im unmittelbaren Umfeld der Deutschen Oper Berlin, also dem Haus, wo ich als Kind drei bis vier Abende in der Woche verbrachte, soll es so eine Klappe gegeben haben, wo sich Männer nach Vorstellungsende trafen und Sex hatten. „Cruising“ nannte man das. Ob das nach Corona nochmal so werden kann, wo wir nun doch alle darauf bedacht sind, uns voneinander fernzuhalten?
Und wie wird sich Oper generell nach der Krise verändern? Ob wir dann den „Tristan“ nur noch so zu sehen bekommen, wie ihn beispielsweise Heiner Müller in Bayreuth inszenierte, der die Liebenden in ihren glühenden Gesängen zwischen Ritterrüstungen an beiden Enden der Bühne weit entfernt voneinander postierte?
Es sind, um zum Film zurückzukommen, immer wieder Kevin und Tilman, die interessante Dinge erzählen und denen man gerne noch viel länger zuhören würde, weil sie Essenzielles zu sagen haben. Aber leider verschenkt der Film das Potential dieser Helden und der Sängerinnen (Edda Moser, Sophie Koch, Nadine Secunde), die sie in inszenierten Begegnungen treffen. Sie kommen allesamt viel zu kurz zu Wort, weil Praunheim zu viele sprechende Köpfe einbringt. Unweigerlich führt das zu einer gewissen Oberflächlichkeit. Angesichts entbehrlicher Statements hat man den Eindruck, dass einige Mitwirkende ihrer Prominenz wegen unbedingt noch in den Film hineingequetscht werden mussten. Das trifft auf die Geschwister Pfister ebenso zu wie auf die Schauspielerin Dagmar Manzel.
Und gerne hätte Praunheim, wenn es nach mir- der „scharfzüngigsten Musikkritikerin Deutschlands“, wie Tilman mich nennt - gegangen wäre, auch auf den Intendanten und Regisseur Barrie Kosky verzichten dürfen. Etwas affektiert stellt der sich als „jüdisches schwules Känguru“ vor und kokettiert mit Äußerungen zu seiner Wagner-Hassliebe, die er ohnehin schon anlässlich seines Bayreuth- Debüts nervtötend öffentlich machte. Zumal so manche spannende Fragen gar nicht berührt werden, allen voran die nach der Bedeutung männlicher Opernhelden und Sänger für Schwule. Mir ist schon klar, Primadonnen wie Maria Callas, die selbst an einer großen unerfüllten Leidenschaft litt und in Arien wie „Casta Diva“ oder „Vissi d‘arte“ Schmerz in Schönheit verwandelte, boten Schwulen insbesondere in Zeiten, als Homosexualität verboten und tabuisiert war, eine Projektionsfläche.
Männliche Helden erscheinen dagegen mehrheitlich empathieloser, unzulänglicher und gemeiner. Sie werben zwar hier und da um Frauen, betrügen diese aber auch oder behandeln sie schlecht, schmieden finstere Pläne und werden aus niederen Gründen zu Mördern. Aber es gibt auch positive Charaktere wie Hans Sachs, Färber Barack, Tristan, Kurwenal oder Cavaradossi.
Und welche Vorlieben haben homosexuelle Frauen? Bei ihnen scheint die Opernbegeisterung etwas weniger ausgeprägt zu sein, ich kenne jedenfalls nur wenige und habe mich schon oft gefragt, warum das so ist. Meinen Beobachtungen nach sind Lesben, überhaupt Frauen, viel schlechter vernetzt. Ich erlebe sie immer noch überwiegend als Einzelkämpferinnen, nicht selten leider auch als Konkurrentinnen.
Oder liegt es doch an den meist in der Oper tradierten überkommenen Rollenbildern von der sich für den Mann aufopfernden Frau, zu dem Lesben auf Abstand gehen? Im Film beobachtet Kevin, dass sie sich jedenfalls in der Oper von einem anderen Frauentyp angesprochen fühlen, von Sängerinnen in Hosenrollen. Aber auch das ist ein Klischee. Eine Sängerin wie Brigitte Fassbaender, die aus ihrer eigenen sexuellen Vorliebe für Frauen nie einen Hehl machte, hat eben nicht nur androgyne, maskuline Figuren verkörpert, sondern eben auch Fricka, Klytämnestra, Carmen, Eboli, Amneris oder die Charlotte in Massenets „Werther“. Ihre lesbischen Fans, die bisweilen auch aufdringlich werden konnten, ließen sich diese Vorstellungen nicht entgehen. Und zugleich konnten sich auch manche heterosexuelle Sängerinnen kaum vor lesbischen Fans retten. Elisabeth Schwarzkopf hatte da so manches zu erzählen...
Aber soweit hätte Praunheim in seiner knapp 90-minütigen Doku kaum ausholen können. Das Thema Lesben und Oper verdient eigentlich einen ganz eigenen, weiteren Film. Um nicht das Wichtigste zu vergessen: „Operndiven – Operntunten“ strahlt arte am Sonntag, 19. April 2020, um 23 Uhr aus. Einen Tag zuvor gibt es den Film auch als Stream auf der arte-Webseite.