Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Als Droge und Narkotikum wird Wagners Musik oft beschrieben und empfunden. Mir geht das auch so, besonders beim „Tristan“.
Das hat natürlich schon mit der besonderen Handlung frei nach dem mittelalterlichen gleichnamigen Roman von Gottfried von Strassburg zu tun. Schließlich werden wir hier zu Komplizen einer verbotenen, heimlichen, außerehelichen Liebe. Tristan und Isolde werden zwar durch den Liebestrank, den sie zu sich nehmen, ohne seine Wirkung zu kennen, exkulpiert. Aber natürlich dient der Trank nur als ein Deckmäntelchen. Die von Erotik, Leidenschaft, Sehnsucht und Schmerz durchdrungene Musik spricht eine weitaus radikalere Sprache. Dass Moral für die Liebe Gift bedeutet, diese Erkenntnis zieht sich schon durch die „Walküre“, in der sich Fricka an der aufrichtigen, wahren Liebe des Wälsungenpaares stört, wie überhaupt am gesamten „Ring“, an dem sich zeigt, dass in einer von Gier und Machtstreben besessenen Welt die Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Nicht zufällig deuteten zahlreiche Regisseure das Ende der „Götterdämmerung“ als eine Aufforderung zur Neuschöpfung einer besseren Welt.
Im „Tristan“ bricht sich der Drang nach einer freien Liebe jenseits der ehelichen Institution noch stärker Bahn und kommt mit seiner Lösung - der Vereinigung der Liebenden im Tod - zu einem ähnlichen, wenn auch vielleicht pessimistischer anmutenden Ergebnis.
Jedenfalls geht von dieser Musik eine süchtig machende Sogkraft aus, die sich wohl in Worte nur schwer fassen lässt. Das beginnt schon mit dem berühmten Tristan-Akkord, über den so viel geschrieben wurde wie über keinen anderen. Aus nur vier verschiedenen Tönen setzt er sich zusammen, und doch lässt er sich nicht einfach nach Dur oder Moll auflösen. Er bleibt geheimnisvoll und rätselhaft.
Das Duett „O sink hiernieder, Nacht der Liebe“, Brangänes Warnruf und König Markes Monolog im zweiten Akt sowie das Vorspiel zum dritten Akt, Tristans großer Monolog und Isoldes Liebestod im dritten Akt sind für mich musikalisch die Passagen, bei denen sich Gänsehaut einstellt.
Unvergessen ist mir eine Aufführung – sie muss in den 1980er Jahren gewesen sein –, in denen der grandiose Jon Vickers den Tristan an der Deutschen Oper Berlin sang. So authentisch wie ihn sah man zuvor keinen sterben, man war zutiefst ergriffen. Aber plötzlich verstummte das Orchester und Vickers trat an die Rampe: „Es tut mir leid, ich kann nicht mehr singen“. Alles erstarrte, aber es war nicht peinlich, einfach nur traurig, zumal Vickers bis dahin hervorragend gesungen hatte, sich das Versagen der Stimme nicht anzukündigen schien und nur noch wenige Takte fehlten, die er nicht mehr bewältigen konnte. Es folgte eine kurze Pause, dann trat Intendant Götz Friedrich vor den Vorhang und verkündete, wir würden jetzt nur noch den Liebestod hören. Isolde in dieser Vorstellung war die Sopranistin Roberta Knie, die ich seltsamerweise nie wieder hörte. Sie sang diese Partie fulminant, speziell in dieser Vorstellung und schwierigen Situation, wurde am Ende vom damals sehr anspruchsvollen Publikum auch mit Ovationen gefeiert.
Die Inszenierung von Götz Friedrich, glücklicherweise auf Video mit Gwyneth Jones und René Kollo verewigt, zählt zu den schönsten, die ich in einer Tristan-Vorstellung sehen konnte. Da waltete insbesondere im zweiten Akt dank ausgeklügelter Lichtregie eine märchenhafte Poesie.
Flagstad, Mödl, Varnay, Nilsson, die großen Heroinen vergangener Jahrzehnte, hörte ich leider nur auf Platte. Meine Lieblingsisolde wurde die unvergessliche Catarina Ligendza, im Lyrischen ebenso grandios wie im Dramatischen. Dies nicht zuletzt auch seitens ihrer Erscheinung: Die Schwedin, die ihre Karriere leider viel zu früh überraschend beendete, war von großer, schlanker Statur, noch dazu blond und ein herrlicher mädchenhafter Typ.
Es gab in späteren Jahrzehnten eigentlich nur eine andere, die mich speziell in dieser Rolle ähnlich faszinierte: die ebenso strahlend schöne Waltraud Meier, die ich unzählige Male in den unterschiedlichsten Inszenierungen und zumeist in Einstudierungen von Daniel Barenboim erleben konnte. Noch in reiferem Alter war Meier eine Wucht. Davon konnte man sich in der Inszenierung von Patrice Chéreau an der Mailänder Scala und in der Vorstellung an der Berliner Lindenoper überzeugen, in der sie diese Rolle zum letzten Mal verkörperte. Man konnte es gar nicht fassen: Sie ist immer noch so strahlend schön, bewältigt die Partie unverändert mühelos und gibt sie ab? Aber eben damit zeigte Meier ihre Klugheit. So behalten wir sie – zumal in der bewährten Inszenierung mit dem gefallenen Engel von Harry Kupfer – in bester Erinnerung und denken nicht, so langsam wird es Zeit...
So sehr ich Waltraud Meier auch vermisse: Es gibt andere Wagnerpartien, die sich heute schwieriger besetzen lassen. Immerhin haben Nina Stemme und Petra Lang die Isolde in jüngerer Zeit noch höchst achtbar gesungen.
Als Tristan sind mir René Kollo – vor allem in der bezaubernden Inszenierung von Jean-Pierre Ponelle- und Spas Wenkoff sowie in jüngere Zeit Stephen Gould und Andreas Schager mit ihrer starken stimmlichen Präsenz in Erinnerung geblieben. Der beste Marke, den ich live hören konnte, war René Pape.
Ziemlich geschockt hat es mich in jüngerer Zeit, wie es möglich ist, ein so minimalistisches Stück szenisch zu entstellen und zu verhunzen. Eine Produktion wirkte – angefangen von Christoph Marthaler (Bayreuth) über Graham Vick (Deutsche Oper Berlin) bis hin zu Stefan Bachmann und Dmitri Tcherniakov (Berliner Staatsoper) - immer hässlicher als die nächste.
Meines Erachtens hat auch Katharina Wagner in ihrer Bayreuther Inszenierung über die Musik hinweginszeniert. Besonders schmerzte es mich, wie sie aus dem edlen König Marke einen grausamen Mann machte, der seinen Freund Tristan mit dem Messer bedroht und Isolde am Ende um ihren Liebestod bringt.
Immerhin hatte im Part des Orchesters lange niemand mehr eine derart knisternde Spannung aufgebaut wie der geniale Christian Thielemann in dieser Produktion.
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