walkureStefan Herheim versucht sich an der Deutschen Oper Berlin an der „Walküre“ als einem Lehrstück über Faschismus

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Ich war wohl naiv anzunehmen, dass die unfreiwillige Zwangspause, die für die meisten Künstler während und nach dem Lockdown entstand, etwas Positives nach sich ziehen würde. Dass vielleicht das Gewissen bei Opernregisseuren wieder Einzug halten - und sie sich in den Dienst der von ihnen inszenierten Werke stellen würden.

Die von Christof Loy minimalistische Inszenierung von Mozarts „Cosi fan tutte“ in Salzburg, die mit einer spartanischen Bühne auskam, aber die Figuren in ihren Beziehungen untereinander in großer Körperlichkeit aufzeigte, nährte diese Hoffnung. Oder auch der Opernerstling von Rossini, „La cambiale di Matrimonio“, mit dem das Pesaro Festival nach einer Serie von ernüchternden Neuproduktionen wieder eine optisch ansprechende Produktion mit barockem Charme auf die Beine stellte.

walkure1Die Deutsche Oper Berlin aber,  die nun die große Chance hatte, trotz Hygieneauflagen und Abstandsregeln sogar Richard Wagners „Walküre“ ungekürzt aufzuführen, macht weiter wie zuvor.   Will heißen, ein viel herumgereichter Regierabauke mit fragwürdigen Konzepten darf sich beliebig in wildesten Ideen austoben, ungeachtet dessen, dass dafür eine der besten, diesem Hause verbliebenen Produktionen abgesetzt wurde: der legendäre Zeittunnel-„Ring“ von Götz Friedrich, über 30 Jahre im Repertoire!

Die Aufführungen des Zeittunnel-„Rings“ waren im Übrigen als Dauerbrenner immer ausverkauft. Für die neue Walküre gab es trotz halbierter Anzahl von Sitzplätzen noch Karten. Auch die Politprominenz fand sich diesmal nicht ein,  was der Maskenzwang erklären mag, der nun an den Berliner Theatern für die gesamte Vorstellung von fünf Stunden (!) gilt, weil nur unter dieser Auflage knapp 50 Prozent der verfügbaren Plätze besetzt werden dürfen. Mag sich der eine oder andere Politheini früher bei einer langen Wagneroper schon gelangweilt haben, aber nun mit Maske - das ist den Herrschaften dann wohl doch zuviel.

Jedenfalls  muss ich gestehen: Wäre ich nicht Musikjournalistin, hätte ich mir das wohl auch nicht angetan. Trotz Richard Wagner. Erst Recht nicht – und damit kommen wir auch gleich zur Sache - wenn ich gewusst hätte, dass die Inszenierung von Stefan Herheim noch desaströser ausfallen würde als befürchtet.

Ich halte Stefan Herheim ohnehin für einen überschätzten Regisseur. Schon seine „Entführung“ in Salzburg im Mozartjahr war eine einzige krude Angelegenheit, bei der gleich sämtliche Figuren neu erfunden wurden. Sein hoch gerühmter „Parsifal“ in Bayreuth strotzte nur so vor psychoanalytischen Überinterpretationen, und sein „Lohengrin“ an der Berliner Staatsoper war einfach nur hässlich.

Nun also vergeht sich dieser Mann an der „Walküre“. Mit ziemlich ausgelutschten Regie-Ideen und schlechtem Geschmack. Das fängt schon damit an, dass er im gesamten  Wälsungen-Akt einen behinderten Gnom als stumme Figur dazu erfindet, der zunächst dazu dient, die Zwillinge Sieglinde und Siegmund in ihrer aufkeimenden Liebe zu stören, um sich später dann wie ein liebebedürftiges Kind an sie zu schmiegen und schließlich noch ein grausames Ende zu nehmen: Weil er dem inzestuösen Glück des Paars im Wege steht, wird er schließlich gar von Sieglinde ermordet.  Irgendwie erinnert mich der Kretin an Hans Neuenfels, der hat auch immer gerne zusätzliche Figuren kreiert, nur dass diese sich in den Kontext besser einfügten, denke ich etwa an seine Inszenierung von Strindbergs „Totentanz“ vor vielen Jahren am Berliner Ensemble.

Anders als Neuenfels, dem ich zumindest zugutehalten muss, dass er seine unheilvollen Stimmungen konsequent durchgehalten hat, missrät Herheim die eine oder andere Szene unfreiwillig (?) zur Persiflage, wenn sich Siegmund zum Ende des ersten Akts wie ein testosterongesteuerter Depp bis auf die Unterhose auszieht und sich im Feinripp auf seine Sieglinde stürzt.

Worauf soll das nun hinaus? Eine karikatureske Produktion a la Loriot oder doch ein ernstes Drama?

Und da wir eben schon mal bei den Anleihen an andere Regisseure waren: Den schwarzen Flügel, den Herheim in die Mitte der Bühne platziert, gleichermaßen als Ersatz für die Weltesche und den Walkürenfelsen, haben wir auch schon mehrfach gesehen, zuletzt in Barrie Koskys „Meistersingern“ in Bayreuth, wo die Figuren aus dem Resonanzkörpert des Instruments herauskrauchten wie jetzt auch hier.

Ansonsten präsentiert Herheim ein Assoziationstheater um den Komponisten Richard Wagner in seiner rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung im Dritten Reich. Und auch das hat freilich einen langen Bart. Nur sehen wir diesmal keine Fliegerangriffe zum Walkürenritt, wie anderswo schon vor vielen Jahren, sondern eine über und über mit alten Koffern voll gerümpelte Bühne, die für sich genommen anmutet wie eine Museums-Installation. Joseph Beuys hätte sie vielleicht sogar gefallen. Als Einheitsbild für drei Akte nutzt sich diese Optik allerdings schnell ab. Es sind, wohl bemerkt, keine heutigen Trollys, die Herheim hier dutzendfach über- und nebeneinander stapelt, vielmehr alte, halb verstaubte, grau-braune Klappverschluss-Koffer aus längst vergangenen Zeiten, und da sich im zweiten Akt noch viele Menschen um diese Koffer herumgruppieren, die ausschauen wie Flüchtlinge und Deportierte aus vergangenen Kriegstagen, erschließen sich Herheims Assoziationen recht schnell: Die Bilder von Deportierten, deren Koffer nach ihrer Ankunft in den Lagern auf den Gleisen zurückblieben, haben sich in unser Gedächtnis fest eingebrannt.

Richtig arg wird es, wenn sich Wotan, der zunächst ebenfalls in Unterhosen auftritt, im Laufe des zweiten Akts dem Mann optisch anverwandelt, den Wagners Enkel Wieland und Wolfgang „Onkel Wolf“ nannten. Wie Charlie Chaplin als großer Diktator baut er sich in strenger Miene vor uns auf. Die schwarzen Haare, der markante Seitenscheitel und der langen Führermantel lassen jedenfalls eine gewisse Ähnlichkeit nicht verkennen. Nur das Schnurrbärtchen scheint zu fehlen, aber ganz genau konnte ich das nicht erkennen. Ein dunkler Schatten legte sich über die Oberlippe.

Jedenfalls erscheint diese Mutation ungeheuerlich, und ich weiß derzeit noch nicht recht, worüber ich mich eigentlich mehr wundern soll: Darüber, dass Herheim vor Wotan als verkapptem Hitler nicht zurückschreckt oder darüber, dass außer mir kein Kritiker dieses aus meiner Sicht sehr entscheidende Detail bislang erwähnt hat. Habe ich mich am Ende vertan und sehe mehr als intendiert?

Eines ist natürlich klar: Die große Abschiedsszene zwischen dem „traurigen Gott“ und seinem „herrlichen kühnen Kind“  ist unter solchen Vorzeichen zum Scheitern verurteilt. Emotionale Rührung kann nicht aufkommen. Hier geht es ganz und gar um Tyrannei, das stellt  Herheim schon zum Walkürenritt klar, als er diabolische halbnackte Kerle einbringt, die die ungehorsamen Walküren vergewaltigen.

Das von Donald Runnicles geleitete Opernorchester hat diesem wüsten, entgleisten Szenario leider keine mitreißende Einstudierung entgegenzusetzen. Recht lasch wirkt der Spannungsaufbau im eigentlich doch so aufwühlenden Vorspiel zum ersten Akt, bei dem man sich besser nicht daran erinnert, wie es Herbert von Karajan oder zuletzt Christian Thielemann bei seinen Osterfestspielen in Salzburg dirigierte. Vielleicht passt es zur Maskenpflicht des Publikums und zur fehlenden Leidenschaft in der Szene, dass auch das Orchester wie mit Triebunterdrückung spielt. Was nicht bedeutet, dass es nicht oft laut wird an diesem Abend. Aber nur ein Fortissimo allein macht noch keine Gänsehaut. Am schönsten gelingen noch die lyrischen Momente dank der sehr sensitiv musizierenden Holzbläser.

Zum Glück konnten sich zumindest die Sängerinnen und Sänger hören lassen. Nina Stemme, eine der letzten Hochdramatischen, singt ihre Brünnhilde wie zuletzt auch unter Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper mit großer Stimme, strahlender Leuchtkraft und ebenmäßiger Stimmführung. Im altgermanischen klassischen Walküren-Outfit mit Brustpanzer und Flügelhelm ist ihr immerhin ein würdiger Auftritt zum „Hojotoho“ gegönnt.  Mit der Norwegerin Lise Davidsen wächst eine weitere vielversprechende Hochdramatische heran, die als Sieglinde, als die sie hier debütierte, weitaus überzeugender erscheint als in einer so lyrischen Partie wie der Tannhäuser-Elisabeth, als die sie sich 2019 in Bayreuth vorstellte. Groß wie einst der Sopran ihrer Landsfrau Kirsten Flagstad ist diese Stimme, auch ebenso höhensicher, nur in der Tongebung angesichts überdosierter Vibrati noch nicht ganz so schön.

Meine Hochachtung gilt insbesondere aber auch John Lundgren, der trotz der Zumutung, Wotan als barbarischen Diktator darstellen zu müssen, seinem Part wenig schuldig bleibt- außer dem zärtlichen Ausdruck für seine Wunschmaid im Moment des Lebewohls, was aber angesichts der falsch verordneten Rollengestaltung nicht verlangt werden kann. Ich war sehr gespannt, wie dieser Wotan sich von seiner Brünnhilde verabschieden würde, und jetzt, halten Sie sich fest: Er küsst sie, nachdem er eben noch ganz böse geguckt hat, aber ohne erkennbare Emotionen wie eine Geliebte auf den Mund. Wurde da aus Brünnhilde unversehens Eva Braun? Und vielleicht haben wir ja in dem echten Schäferhund, der zum Vorspiel durch Hundings Hütte irrte, auch Hitlers Hündin Blondi gesehen? Es gibt wohl nichts, was bei Herheim nicht denkbar erschiene.

Immerhin um einen Bilderbuch-Siegmund ist die Wagnerwelt dank Brandon Jovanovich reicher. An der einen oder anderen hohen Stelle würde man ihm zwar ein wenig mehr Belcanto und Geschmeidigkeit wünschen, aber immerhin hat er die große Stimme für die Partie und gibt zudem mit seiner schlanken, jugendlichen Erscheinung einen glaubwürdigen, begehrenswerten Zwillingsbruder. Mit ihrem nicht weniger profunden Mezzo beeindruckt Annika Schlicht als eine nicht nur hysterische keifende, sondern bemerkenswert unsympathische, böse Fricka. Andrew Harris gibt mit seinem kernigen Bassbariton einen strengen, aber nicht ganz so abgrundtief bösen Hunding.

Am Ende, wenn es auf der Bühne noch einmal ganz absurd wird und Herheim eine Wagner-Karikatur Geburtshilfe auf dem Flügel leisten- und  Sieglinde ihren Sohn Siegfried zur Welt bringen lässt, wächst das Bedauern, all diese guten Sänger nicht in einer konzertanten Aufführung erlebt zu haben. Allein schon eine so bedeutsame Szene wie Brünnhildes „Todesverkündigung“, die hier verpufft, weil sie das Orchester zu spannungslos einleitet und Brünnhilde schon lange zuvor ihren Aufritt hatt, wäre ganz anders zur Wirkung gekommen.

Wiewohl dankbar für eine Wagneroper in Corona-Zeiten machte das Berliner Premierenpublikum  seinem Frust über die verkorkste Inszenierung hörbar Luft. Verdiente Bravos gab es für die Sängerinnen und Sänger.

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