berliner philarmoniker.dePetrenko und die Berliner Philharmoniker

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Die Berliner Philharmonie bietet einen traurigen Anblick an diesem Vormittag. Garderoben und Foyer-Buffets sind geschlossen, die Stimmung im Saal, in dem rund 600 Zuschauer nur die Hälfte der verfügbaren Sitzplätze einnehmen, wirkt gedrückt. Jeder weiß, dieses Konzert könnte nicht nur bis Ende November, sondern auf unabsehbare Zeit das letzte sein. Mit den Berliner Philharmonikern und überhaupt.

Aber kaum sind die Musikerinnen und Musiker und ihre Chefdirigent Kirill Petrenko der Reihe nach aufgetreten, hellt sich der graue, verregnete Mittag schon deutlich auf. Mit dem für ihn typischen verschmitzten Lächeln und erkennbar in freudiger Erwartung auf das Programm besteigt Petrenko das Podium.

31. Oktober 11 Uhr
Berliner Philharmoniker
Leitung: Kirill Petrenko

Ganz, ganz leise wie aus dem Nichts entspinnt sich Andrew Normans „Sabina“, Bearbeitung eines ursprünglich für Streichtrio komponierten, knapp zehnminütigen Stücks. Der Komponist, von dem das Orchester eigentlich auf seiner abgesagten USA-Tournee ein groß besetztes Werk spielen wollte, ließ sich dazu bei einer Frühmesse in der römischen Kirche Santa Sabina inspirieren, als er sah, wie das Licht durch die Glasfenster schien. Und genauso licht klingt diese Musik, die mit hauchfeinen Flageoletten und Tremoli beginnt. Fast jeder Spieler ist hier ein Solist, jeder und jede spielt weite Strecken einen eigenen Part. Fast ein bisschen arabisch tönt die einprägsame Folge von wenigen Tönen, die sich zu einem immer größeren Cluster crescendierend aufbaut und danach wieder allmählich verebbt. Und zugleich liegt eine meditative Kraft in diesem sinnlich schönen Stück Musik.

Es passt sehr gut zu den folgenden „Metamorphosen“ von Richard Strauss, mit dem der Komponist im April 1945 seiner Trauer über den Kulturverlust angesichts des „totalen Krieges“ Ausdruck gab. Die Berliner Philharmoniker spielen es unter Petrenko mit einer selten gehörten schmerzlichen Schönheit und zugleich ohne Anflüge von Pathos oder Larmoyanz. Sie geben dieser schwermütigen Musik für 23 Solostreicher vielmehr  Leichtigkeit und Elastizität. Auch hier wie überhaupt in dem gesamten Konzert sind die Berliner sehr stark solistisch gefordert und stellen ihre besondere Klasse unter Beweis. Hier, in den „Metamorphosen“ sind es allen voran Konzertmeister Kashimoto sowie der Erste Solo-Cellist Ludwig Quandt und Solobratscherin Naoko Shimizu.

Den krönenden Abschluss bildete Schostakowitschs Neunte Sinfonie, die – sowie sie unheroisch und quirlig daher kommt – zur Uraufführung ganz und gar nicht den Erwartungen des sozialistischen Sowjetregimes entsprach, das als Kriegsgewinner eine monumentale Siegessinfonie erwartete. Im Gegenteil: Mit vielen kecken und grotesken Motiven und einem leichtfüßigen Grundton à la Joseph Haydn scheint sich Schostakowitsch über die Machthaber fast ein wenig zu mokieren. Großartig, wie die Berliner das mit Petrenko musizieren, dem – sah man die Konzertübertragung am Abend nochmal in Fernsehen – das schelmische Lausbubenhafte im Gesicht geschrieben steht.

Beim Schostakowitsch erreicht das Konzert die große Stunde der Bläser. Im Virtuosen empfehlen sie sich allesamt ebenso wie im Schelmenhaften. Besonders im Fokus stehen das Solo-Fagott im Largo, das nahezu wie ein kleines Fagott-Konzert anmutet. Wenn ich richtig hingeschaut habe, war der vorzügliche Spieler Stefan Schweigert. Im Programmheft wurde er leider nicht namentlich erwähnt. Aber auch Andreas Ottensamer (Klarinette) und Egor Egorkin (Piccoloflöte) musizierten ihre humorvoll-virtuosen Einlagen unübertrefflich toll.

Im zweiten Satz, Moderato-Adagio, haben die Posaunen einen starken Auftritt. Ihr Motiv fängt an wie ein berühmtes Leitmotiv in Wagners „Walküre“, entwickelt sich aber anders weiter. Ob wohl Schostakowitsch ganz bewusst eine Anspielung darauf im Sinn hatte?

Jedenfalls hatte ich das Gefühl,  das beste Konzert Petrenkos mit den Philharmonikern überhaupt erlebt zu haben. Einen vergleichbar starken Eindruck hatte der Russe bei mir zuvor noch nicht hinterlassen.  Viel, viel sensitiver dynamisierte er diesmal als noch in seinen Anfängen, sein Erleben der Musik war deutlich zu spüren, sowohl im Schmerz als auch in der spöttischen Groteske. Insofern ist es freilich besonders schade, dass ausgerechnet jetzt, wo Petrenko auf sinfonischem Gebiet zur Hochform aufläuft und so wunderbar mit den Berlinern zusammenmusiziert, die nächste Zwangspause eintritt.

Der kecke, lustige Finalsatz bescherte immerhin einen fröhlichen Kehraus. Ich musste seitens der Wirkung an den Schlusschor in Mozarts „Zauberflöte“ denken: „Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“. Und:  „Alles scheint dieser Abend wider besseres Wissen zu sagen, wird gut“, schrieb  mein Kollege im „Tagesspiegel“. Geben wir der Zuversicht Raum und hoffen das Beste!

Foto:
Petrenko
©berliner-philharmoniker.de