ma3MARTHA-ARGERICH – FESTIVAL. Die Symphoniker Hamburg spielen mit ihr beglückend auf, Teil 2/2

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - Das Konzert beginnt nun mit sensibel einführenden Worten des Intendanten Daniel Kühnel (*1973), der auch erklärt, dass die Reihenfolge des Programms auf Wunsch von Martha Argerich geändert wurde: Der Piazzolla kommt nach dem Tschaikowsky, ihrem Part. (Und sie spielt nicht, wie ich dann sehe, den Piazzolla, - schade, was mich sehr interessiert hätte, - aber vielleicht wird sie das ja beim nächsten Martha-Argerich-Festival unternehmen -, sondern eine Gruppe anderer Musiker.) ----  

Interessant an dem Konzert war erst einmal zu erfahren, dass Peter Tschaikowsky (1840 – 1893) überhaupt solch ein Werk geschrieben hat: Nämlich ein Portrait aller 12 Monate; ein Stück Programm-Musik also. Martha Argerich, so wird betont, habe dieses Werk extra neu für dieses Konzert einstudiert. Das soll als Lob gemeint sein; es könnte natürlich auch als Entschuldigung für eventuelle Fehler verstanden werden; oder auch im Umkehrschluss bedeuten, dass sie sonst nur schon jahrelang Praktiziertes wiedergebe; - das bleibt offen - und schließlich sollte beides selbstverständlich sein. -

ma4Martha Argerich spielt warm, etwas tastend noch; manches scheint mir sogar etwas spannungsarm. - Ich las nur die Monats-Namen. Nicht, dass in Klammern auch noch ein inhaltlicher Hinweis auf die jeweilige Musik gegeben wird. - Aber ich #hörte# diese Inhalte oft aus dem Spiel heraus. Und was könnte man Lobenderes sagen! --- Im Januar beispielsweise hörte ich keinen Schneesturm, sondern die behagliche Wärme und Ruhe am Kamin. Das sagt, wie ich jetzt sehe, auch der Untertitel: "Am Kamin". - Natürlich orientiert sich jeder Autor eines solchen Werkes sowohl an den Wetter-Erscheinungen wie auch an den Kult-Momenten der Menschen. Erich Kästner (1899 - 1974) macht das in seinen Monatsgedichten nicht anders. Im Februar wird also der "Karneval" hörbar. Ich habe notiert: #"Virtuos eingehauen. Karneval + Schlittenfahrt."# - März: #"Zurückgenommen."# - Das kommt natürlich auch noch hinzu: Der Komponist will nicht langweilen. #"Abwechslung ist die Seele des Lebens"#, soll Bismarck (1815 – 1898) gesagt haben.

Also folgt einem leisen, langsamen, nachdenklichen Stück möglichst etwas Bewegtes, Lauteres, Schnelleres usw. - Tschaikowsky hat 12 Stücke geschrieben. Martha Argerich macht zwischen den Stücken kurze Pausen. Allerdings nicht immer gleich deutlich. In der Zählung kam ich daher nur bis #'11'#. - Was ich im Frühjahr höre - war es April oder Mai? - ist das Bild einer frisch blühenden Wiese. Der April trägt den Untertitel: "Schneeglöckchen", - vielleicht wird hier sogar etwas wie ein Läute-Geräusch imitiert? -, der Mai den Untertitel: "Weiße Nächte". - Helle Sterne und blühende Frühlingsblumen - das ist so weit nicht voneinander entfernt. - Für Juni scheint, so notiere ich, Tschaikowsky noch eine traditionelle russische oder slawische Weise eingeflochten zu haben; Tänze, Paarungen. - Der Ablauf einer Zeit, des Jahres, wird hörbar. Manchmal wandern meine Gedanken allerdings weg; immer dann, wenn die Spannung nachlässt. - Martha Argerich ist noch nicht ganz textsicher; der Text noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Wie heißt es so schön bei Alfred Kerr (1867 - 1948): #"Stufungen erreicht sie, - die letzte nicht."# --- Zu Hause höre ich mir diese Klavierstücke noch einmal bei YouTube von Olga Scheps (*1986) an. Das ist ein interessanter Vergleich: Olga Scheps ist textsicherer als Martha Argerich, - aber ihren Anschlagsreichtum erreicht sie nicht.

Dann der zweite Teil. Piazzolla. Ein Trio. Bestehend aus Tedi Papavrami (Violine; *1971); Eugene Lifschitz (Cello; Solo-Cellist der Symphoniker Hamburg) und Alexander Gurning (Klavier; *1973). - Tschaikowsky hat die 12 Monate portraitiert - Astor Piazzolla (1921 - 1992) die 4 Jahreszeiten. - Natürlich denkt man bei der Erwähnung der 'vier Jahreszeiten' sofort an Antonio Vivaldi (1678 – 1741), der #seine# "Vier Jahreszeiten zwischen 1723 und 1725 schrieb und zusammen mit acht weiteren Kompositionen unter dem Titel: #"Il cimento dell'armonia e dell'inventione"# herausgab; zu deutsch etwa: #'Das Wagnis zwischen Harmonie und Erfindung'#. - Vivaldis "Vier Jahreszeiten" sind virtuose Violinen-Konzerte. Was fast immer aber fehlt in diesen Konzerten, - und das ist ein Mangel, der zu Lasten der Musik geht, die auf diese Weise in den einzelnen Stücken zu ähnlich wirkt, aus Wiederholungen zu bestehen scheint -, ist das jeweilige Sonett, das Vivaldi jeder jahreszeitlichen Betrachtung vorangestellt hat. Diese Sonette enthalten die Erwähnung von Natur- und Wettererscheinungen, von ländlichen Festen und anderen kultartigen menschlichen Unternehmungen wie Bauerntanz, Jagd, Schlittschuh-Laufen. Auf diese Weise ist Vivaldis Werk sozusagen eine 'doppelte Programm-Musik'. Bei allen Konzerten davon, die ich gehört habe, fehlte die textliche Hälfte. ---

Piazzolla schrieb als erstes sein Stück "Invierno Porteno" zunächst unabhängig von den anderen Jahreszeiten. "Invierno" bedeutet "Winter"; "Porteno" hängt wohl mit "Hafen" zusammen; es ist jedenfalls das Synonym für "Buenos Aires". - Dieses Stück gehört zu Piazzollas besten und berühmtesten Stücken; vielleicht ist es sogar sein bekanntestes. Und seine Melodie klingt auch nach dem Konzert noch lange nach. --- Piazzolla vervollständigte erst später dieses 'Anfangs-Stück' zu nun #seinen# "Vier Jahreszeiten" - und Vivaldi stand hier ausdrücklich Pate. Der Titel bei Piazzolla lautet: "Las Cuatro Estaciones Portenas" - "Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires". ---

Das Trio spielt gut zusammen; brauchbar; wenngleich nicht ganz homogen und reibungslos. - Den stärksten Eindruck hinterließ der Pianist. So startet er beispielsweise das zweite Stück, "Verano Porteno", den "Sommer, mit einem stark angeschlagenen Rhythmus sehr schön. Der wird allerdings nicht durchgehalten. Am Ende mit einem schwungvollen Runterbrausen über die Tasten. Das ist nicht ganz unproblematisch; denn so stark und logisch aus sich selbst erwachsen ist nicht. Nun ja: Es ist ja ein #Festival#. Und warum da nicht mal auch mit einem gewissen Spaß an der Freude, - ein Ausdruck, der hier passt -, spielen? - Natürlich: Wenn es Piazzolla selbst täte, wäre es eine humorvoll-übermütige Geste. Wenn es ein Fremder nachspielt ... Es schwebt ein bißchen #"quod licet Jovi, non licet bovi"# darüber. - Und manche Möglichkeiten, ja Qualitäten von Piazzollas Musik fallen unter den Tisch: So vor allem die fast provokant gesetzten (und also zu setzenden) Pausen, bis man als Hörer schon fast kribbelig wird; dass es einem fast kalt über den Rücken läuft: Sie werden allenfalls angedeutet und damit natürlich Dimensionen verschenkt. - Aber immerhin: Piazzollas Musik immer wieder zu beleben und wach zu erhalten, ist ein Verdienst. ------

Am Schluss verbeugt sich Martha Argerich übrigens ebenfalls noch einmal. Wer etwa geargwöhnt hätte, sie habe die Programmfolge geändert, um schneller zurück in ihr Hotel zu kommen, wird deutlich eines besseren belehrt - und bekommt ebenso deutlich das Engagement dieser Frau noch einmal vor Augen geführt.

Der Applaus muss, - schon nach ihrem Tschaikowsky – als "frenetisch" bezeichnet werden; vielleicht auch ein Ausgleich für die Beengung durch das Tragen der Maske.

Fotos:
© W.M.