pluharDas Glück der Konzerte: DAS SCHLESWIG-HOLSTEIN MUSIK FESTIVAL (SHMF)  während des Wahlsommers 2021, Teil 4

Wolfgang Mielke

Hamburg (Weltexpresso) - VII. Die Konzerte am 18.7.2021 finden in Rendsburg statt, genauer in Büdelsdorf bei Rendsburg, in einer Halle der NordArt – Kunstausstellung, die auf diese Weise besonders belebt wird (- auch die Halle). - Die Konzerte, die hier geboten werden, stehen unter dem Motto: "The Big Vienna". - Es geht also um #Wien#.

Der erste Programm-Teil (um 14 Uhr) gehört daher Erika Pluhar (*1939), der bekannten, in Österreich berühmten Burg- und Film-Schauspielerin. Ihr Programm heißt: "Wiener Blut / Autobiographische Wiener Geschichten und eigene Lieder von und mit Erika Pluhar sowie Wiener Walzer". ---- Die Musiker sind Teil des Schleswig-Holstein Festival Orchesters. -- Natürlich denkt man bei "Wiener Blut" an den "Walzerkönig" Johann Strauss (1825 – 1899); die Musik stammt aber, - so die Ansage -, aus der '2. Wiener Schule', bei der Arnold Schönberg (1874 - 1951) eine wesentliche Rolle spielte, Anton Webern (1883 – 1945) und Alban Berg (1885 – 1935). Bezüge zur '1. Wiener Schule' des 18. und 19. Jahrhunderts bestehen aber durchaus, insofern Werke aus dieser Zeit durch Komponisten der '2. Wiener Schule' bearbeitet wurden. So kommt es zu einer interessanten und hörenswerten Überschneidung. --------

Das Orchester ist passabel, vielmehr nicht, leicht etwas hölzern. Esprit oder gar Witz fehlen weitestgehend. - Musik und Texte von Erika Pluhar wechseln sich ab. --- Ihre Texte drehen sich vor allem um die Zeit ihrer Kindheit. Sie ist sozusagen ein 'Anschlusskind', ohne dass das besonders betont wird; und ihr Vater macht während des 3. Reiches, das in Österreich ja nicht 12 Jahre wie in Deutschland, sondern 7 Jahre gedauert hat, Karriere. - Erika Pluhars Vater hatte eine leitende Funktion im Generalgouvernement. Das war das von der deutschen Wehrmacht besetzte Polen, (sofern es sich nicht um Gebiete handelte, die dem deutschen Reich rück- oder neu-angegliedert worden waren). - Nach dem Krieg hat er seinen Preis dafür zu zahlen. Die Familie verliert ihre Wohnung in dem feinen, bürgerlichen Döbling – wird stattdessen in den Arbeiterbezirk Floridsdorf auf der anderen Donau-Seite verbannt. ----- Noch aber ist Krieg! --- Bis 1944 wurde Wien, wie man nachlesen kann, #neidisch "Reichsluftschutzkeller"# genannt, weil es außerhalb der Reichweite alliierter Bomber lag. ---- Doch bereits am 13.8.1943 wurden die Flugzeugwerke Wiener Neustadt, nur etwa 50 km südlich von Wien, die etwa 1/4 aller Messerschmitts Me 109 (nämlich 8.545 Stück), des deutschen Haupt-Jagdflugzeuges, bauten, - völlig überraschend bombardiert. - Anschließend verlor man sich aber nicht in spintisierender "Metaphysik", sondern baute, der 'Flut der Bomber' zu begegnen, sofort die Verteidigung aus. Und mit Erfolg. - Möglicherweise ist das der Grund, weshalb Wien erst ein halbes Jahr später, nämlich am 17.3.1944, von den alliierten Bombern angegriffen wurde. - Insgesamt wurden 52 Luftangriffe auf Wien geflogen. Der schwerste Angriff erfolgte am 12.3.1945 – nicht zufällig am 'Tag des Anschlusses'. - Dabei wurden, wie man bei Wikipedia nachlesen kann, #"etliche Gebäude und Kulturdenkmäler zerstört oder schwer beschädigt."# - Insgesamt wurden bei diesen Luftangriffen beinahe 9.000 Menschen getötet und etwa 37.000 Wohnungen zerstört. ---------

Die frühesten Erinnerungen #des Kindes Erika Pluhar# sind eng mit den Bombenangriffen verbunden. Kindergeschichten. Kinder-Erinnerungen. Hier ging für sie, bei der Angst im Bunker während der Bombardements - so jedenfalls ihre nachträgliche Erinnerung - ihr Vertrauen in die Welt verloren. --- Andere Geschichten handeln von einer Fahrt in der Straßenbahn zur Oma, die im 8. Bezirk, der Josefstadt, wohnte, vom Hunger und entsprechend ihrer großen Gier. --- Dort, wo die Oma wohnt, liegt auch ein düsteres Gefängnis, das ihr Angst einflößt. Später wird sie sich daran erinnern, als sie dort ihren Ex-Ehemann und Vater ihrer Tochter Anna (1961 - 1999), Udo Proksch (1934 – 2001), der wie ein Satyr aussah und wegen arglistigen Mordes in einem Schiffsladungs-Versicherungs-Betrug, bei dem die Hälfte der Besatzung umkam, verurteilt wurde, besucht. ---- Die vierte und letzte Geschichte spielt in Floridsdorf: Die Wohnung ist eng und sie liegt auch noch im russischen Sektor von Wien! Die Mutter fühlt sich unstandesgemäß herabgestuft. Arbeiter, Kommunisten, Russen! Hier hört Erika Pluhar zum ersten Mal die sozialistische Hymne "Brüder, zur Sonne zur Freiheit" auf einer Versammlung singen. Dieses Lied wurde 1895/96 von dem Revolutionär Radin (1860 – 1900) in einem Moskauer Gefängnis gedichtet und hieß ursprünglich: "Tapfer, Genossen, im Gleichschritt". - Der deutsche Dirigent Hermann Scherchen (1891 - 1966), der Ende der 1920er Jahre mit der Schauspielerin Carola Neher (1900 – 1942), die, emigriert in die UdSSR, nach der Denunziation durch Gustav v. Wangenheim (1895 - 1975) vom NKWD, dem russischen Geheimdienst, verhaftet wurde und dann im russischen GULAG umkam, liiert war, hatte das Lied 1917 in russischer Kriegsgefangenschaft kennengelernt und den deutschen Text dazu: "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" geschrieben. - Das Lied wurde sehr schnell berühmt; so berühmt, dass auch die Nationalsozialisten es sich – mit verändertem Text – aneigneten. - Die Originalfassung "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" wurde auch noch bei den Montags-Demonstrationen im Herbst 1989 gesungen. --- Für die Mutter von Erika Pluhar war es ein Greuel! #"Arg genug, dass wir im Russenbezirk leben müssen!"# - Und in der Umgebung leuchteten rote russische Sterne. Die Schauspielerin Gusti Wolf (1912 – 2007) hielt während eines winterlichen Gastspiels des Burgtheaters in Moskau diese roten Sterne für Weihnachtsbeleuchtung! -------- In Floridsdorf liegt aber auch der erste Schritt zur Schauspielerei hin von Erika Pluhar, indem sie ein forsches, neu in der Nachbarschaft aufgetauchtes Mädchen in einem Singwettbewerb mit den "Capri Fischern" selbstbewusst überbot! - Der entscheidende erste Schritt zur Theaterlegende hin ist genau hier genommen worden. - So jedenfalls in der rückblickenden, vielleicht verklärenden Darstellung. ------- Damit jedenfalls endet der erste Teil des Programms, und der Lesung folgen von Pluhar gesungene (moderne) Wienerlieder. Vieles davon ist etwas belehrende Weltverbessererpose und insofern langweilig. Nur #ein# Moment, #eine# Zeile lässt aufmerken: Die Äußerung, nichts auf der Welt sei zu schön oder zu schade, dass es nicht auch gut sterben könne! - Diese Zeile hängt mit dem Tod der Tochter zusammen: Erika Pluhar war von 1959 – 1999 Mitglied des Burgtheaters. Auffällig schön in ihrer Jugend und noch weit bis in ihr mittleres Alter, - anders ihre Tochter, die äußerlich Udo Proksch nachkam -, während die Rollen von Erika Pluhar meist aus dem Genre der 'Femme fatale' stammten, ist sie noch heute eine mehr als ansehnliche Frau, dazu eine bemerkenswerte Persönlichkeit. - Aber als sie 1999 ihr Engagement im Burgtheater aufgab, um fortan nur noch ihre eigenen Texte und Lieder zu bringen, starb ihre Tochter. Erstickte. Am Asthma. Man könnte an das berühmte Gedicht von Wilhelm Raabe (1831 – 1910) denken:

#Legt in die Hand das Schicksal dir ein Glück,
Musst du ein andres wieder fahren lassen;
Schmerz und Gewinn erhältst du Stück um Stück,
Und Tiefersehntes wirst du bitter hassen.

Des Menschen Hand ist eine Kinderhand
Und greift nur zu, um achtlos zu zerstören;
Mit Trümmern übersäet sie das Land,
Und was sie hält, wird ihr doch nie gehören.

Des Menschen Hand ist eine Kinderhand,
Sein Herz ein Kinderherz im heft'gen Trachten.
Greif zu und halt! ... Da liegt der bunte Tand,
Und klagen müssen nun, die eben lachten.

Legt in die Hand das Schicksal dir den Kranz,
So musst die schönste Pracht du selbst zerpflücken;
Zerstören wirst du selbst des Lebens Glanz
Und weinen über den zerstreuten Stücken.#

Der Refrain des Liedes, dass nichts zu schade für den Tod sei, es scheint, als sei das ihre Flucht nach vorne aus der Trauer heraus ...

Fortsetzung folgt

Foto:
Sie entdecken Erika Pluhar auf dem Foto ganz vorne links
©W.M.