Sommer-Reihe 2022:20220804 205102 Jan Gabarek Group featuring Trilok Gurtu im Bad Nauheimer Kurpark

Eva Mittmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Letztes Jahr Claus Doldinger, dieses Jahr Jan Gabarek – und im nächsten Jahr? Na, wenn Miles Davis noch leben würde...“ So werden humorvoll-schelmisch die hochkarätigen Musiker einer der besten Jazzformationen des 21. Jahrhunderts im Bad Nauheimer Sprudelhof angekündigt, nämlich Jan Gabarek (sax), Trilok Gurtu (dr), Rainer Brüninghaus (p) und Juri Daniel (b).

20220804 202237Zu den ersten Schallplattenaufnahmen Jan Gabareks aus dem Jahr 1988 wird anschließend ein direkter Bogen in die Vergangenheit geschlagen zu einer Aufnahme, die damals schon in Zusammenarbeit mit Rainer Brüninghaus am Piano und Eberhard Weber am Bass eingespielt wurde. Auch in Kooperation mit Sängerin Annie Lennox und Gitarrist Pat Metheny hatte Gabarek damals schon mit diesen Musikern zusammengearbeitet – und nun, nach dem Schlaganfall Webers, musste letztlich ein neuer Bassist gefunden werden: Juri Daniel, der allerdings die Band vorzüglich ergänzt.

Das Konzert beginnt mit einem sanftem Flächenklang am Keyboard einfühlsam zart gespielt; eine flüsternde Saxophonstimme kommt hinzu. Beide Musiker spielen unisono melodisch und sensibel mit - perkussiv ergänzt von Trilok Gurtu. Als ein Schwarm Nilgänse plötzlich kreischend den Sprudelhof überquert und das Publikum aufschrecken lässt, beginnt Trilok Gurtu sein erstes Solo an den Tablas. Der Rhythmus wird vom perkussiv gespielten Bass unterstützt, während im Hintergrund das Piano mit dezent monotonen Flächensounds das perfekt rhythmisch-musikalische Klangbild untermalt. Auf eine fröhlich erklingende, kinderliedähnliche Melodie folgt ein nächstes perkussives Solo an den Tablas.

20220804 202516Trilok Gurtu gilt nicht umsonst als einer der besten Schlagzeuger der Welt, wenn nicht als der beste überhaupt. Das zeigt er an der Cajon (Kistentrommel), die er mit indischer Rhythmussprache, der sogenannten „Konnakol“ stimmlich begleitet als wolle er die Trommel sozusagen 'besprechen'. Man fühlt sich erinnert an Reinhard Flatischler und sein TaKeTiNa-Konzept der Rhythmustherapie. Anschließend tritt Gabarek kurz in den Hintergrund und gibt die Bühne frei für Rainer Brüninghaus, um gleich darauf wieder unisono Melodien von Piano und Saxophon bzw. ein Duo von Cajon und Saxophon erklingen ertönen zu lassen.


20220804 210038Man hat den Eindruck, die Musiker spielten schon ihr ganzes Leben zusammen – und das stimmt ja sogar gewissermaßen. Immer wieder tauchen neue kinderliedgleiche Melodien auf, die allmählich und mit Leichtigkeit komplexe, polyrhythmische Strukturen entwickeln. Es folgt ein fantastisches Bass-Solo von Juri Daniel, beginnend mit einer singend-orientalischen Melodie, vollendet mit akkordisch gezupften Patterns.

Um dies noch zu toppen, spielt Juri Daniel einen Loop ein, zu dem er ein weiteres grandioses Bass-Solo erklingen lässt: Unfassbar schnell geschlagene „slaps“ (bei denen der Daumen seitlich auf die Saiten trommelt). Zweifelsfrei lässt sich daran erkennen, dass auch der Bassist  ein wahrhafter Großmeister an seinem Instrument ist: Bass und Cajon bilden eine rhythmischen Einheit – das E-Piano jagt in treibenden Arpeggios hinterher. Die Musiker sind allesamt gleichwertige Solisten und verschmelzen zu einem großartigen homogenen Ganzen.
Wirbel – wieder ein Solo an der Cajon in unfassbarer Geschwindigkeit. Dazu das bezaubernd romantische Bild eines Abendhimmels, das nach einem Saxophonsolo verlangt – diesmal am Sopransaxophon. Anschließend immer wieder Passagen, in denen Piano und Saxophon unisono spielen, sich dann wechselseitig voneinander lösen, um sich abermals erneut zusammenzufinden – wie eben in einer gut funktionierenden Partnerschaft.

Danach wechselt Rainer Brüninghaus vom E-Piano zum Flügel, um solistisch zu brillieren: Er führt uns nämlich allmählich an die „Naturgewalten“ des Flügels heran: Zunächst beginnt er mit einem beschwingten „Boogie“, der jedoch abrupt abbricht und sich in donnerndes Gewittergrollen auf den Tasten verwandelt – immer schneller, immer lauter - als sei er Ausdruck des Gefühlsspektrums eines wild bewegten Lebens. Nach diesem hervorragenden Solo am Piano kommen wieder alle Musiker auf die Bühne zurück und Jan Gabarek lässt seine altbekannten 'Möwenschreie' am Saxophon erklingen, denen er anschließend in schwindelerregenden Arpeggios nachzujagen scheint. Im Anschluss verlassen Pianist und Bassist die Bühne, um ein rasendes Duo ins Rampenlicht zu rücken: Saxophon gegen Schlagwerk. Das kreischende Saxophon scheint im Duell gegen nicht enden wollende, in immer schnellere Tempi sich steigernden Polyrhythmen des Schlagwerks gefangen. Es löst sich schließlich auf in einem abermals genialen Schlagzeugsolo mit beruhigendem indisch-rhythmischen Gesang.

Hier erfolgt nun der Einsatz von so genannten „Boomwhakers“ (*bunte Plastikröhren unterschiedlicher Größe und Tonhöhe), die als „singende Drumsticks“ verwendet werden. Dazu meisterlich Mehrstimmiges an den Tablas – sprechende Trommeln im Dialog, rasselnd-grollende Becken mit Boomwhakers angeschlagen. Trilok singt dazu mystisch als spräche er direkt mit den Elementen, spielt erfinderisch mit dem Gong, dessen Klang er verändert, indem er ihn ins Wasser eintaucht. Der Meister ist lebendiger, personifizierter Rhythmus. Es ist die Performance eines Jahrhundert-Trommlers! Anschließend spielen sie noch einmal gemeinsam – in unfassbarem Tempo. Erst unisono alle zusammen und dann wieder einzeln, um sich wechselseitig Raum für musikalisch Eigenes zu geben, als ob jeder Einzelne die Musik seines Lebens erschaffe: Ein kraftvolles, temporeiches Finale! Zum guten Schluss bleibt es nur noch einige wenige jedoch durchaus treffende Worte des Meisters zu zitieren, die nach diesem Konzert denkbar glaubhaft und stimmig erscheinen:

„ ...wenn du dich mit indischer Rhythmik beschäftigst,
wird alles andere plötzlich ganz einfach.“ (Trilok Gurtu)


Fotos:
© Michael Dellermann

Info:
am 4.08.2022 im Sprudelhof Bad Nauheim