Die Musikwelt trauert um einen, der unermüdlich Europas Musik diente

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten keine Nachrichten gehört, aber bekommen am Rechner eine Email nach der anderen von bedeutenden Musikeinrichtungen wie Teatro Real in Madrid oder der Ruhrtriennale, die den Tod ihres heutigen oder gewesenen Intendanten und Künstlerischen Leiters mitteilen.

 

Nur 70 Jahre ist der Opern- und Festivalintendant, studierter Jurist, geworden, seit Mitte 2013 wurde sein Krebsleiden bekannt, an dem er nun am 8. März starb. Bauchspeicheldrüsenkrebs ist einer der gefährlichsten, weil kaum heilbaren Krebsleiden. Wenn das Teatro Real nun veröffentlicht: „Teatro Real wants to express its deep sorrow and consternation because of the passing of Gerard Mortier, befallen yesterday night, 8th March, in his residence in Brussels. The death of Gerard Mortier is a great loss for the Teatro Real. He carried out exceptionally his work as Advisor and Artistic Director since January 2010, contributing to impulse significantly the operatic and cultural panorama of Spain, and placing the Teatro Real as one of the reference lyric theaters in the international context.“, dann verbirgt sich dahinter schon eine gewisse Perfidie.

 

Denn es waren die dortigen Geschäftsleute, die mit seiner Krankheit gleich im September 2013 die sofortige Aufhebung des Vertrages begründeten, gegen den Willen von Mortier, der in Madrid wie überall immer die Musik und die Künstler in den Vordergrund stellte und weder auf Druck reagierte, noch sich unterkriegen ließ im Ziel, den heutigen Zuhörern jede Musik, auch alte Musik auf unsere Zeit bezogen hören und auf der Bühne sehen zu lassen und den ausführenden Künstlern einen sicheren Rahmen zu bieten und die Möglichkeit zu Experimenten. Das hat er in allen Positionen, die ihn wie keinen sonst, an Europas Bühnen brachten, bewiesen: in Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Paris und vor allem Brüssel. Dort war er erstmals in der ersten Linie und machte zehn Jahre lang zusammen mit dem Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling Brüssel zu einer Bühne, zu der man von weit her anreiste, weil die Oper La Monnaie damals gewissermaßen den Staffelstab übernahm, den in Frankfurt Michael Gielen und Klaus Zehelein von 1977 bis 1987 mit Regisseuren wie Ruth Berghaus u.a. gehalten hatten.

 

Cambreling wurde dann Intendant in Frankfurt und wurde auch beim SWF-Sinfonieorchester Baden-Baden Nachfolger von Michael Gielen. Auch der heutige Intendant in Frankfurt, der Frankfurter Bernd Loebe war damals an der Oper in Brüssel und viele der jüngeren Mitarbeiter von Mortier wurden an europäischen Opernhäuser das führende Personal. Mortier wurde dann zehn Jahre lang Leiter der Salzburger Festspiele und vermochte, das dortige Publikum auch auf Opern des 20. Jahrhunderts neugierig zu machen. Er richtete die ersten Ruhrtriennalen aus, ging dann nach Paris und hatte große Presse, als er zusammen mit Nike Wagner sich um die Leitung der Bayreuther Festspiele bewarb, aber nicht gegen den von den Verantwortlichen bevorzugten Wolfgang-Wagner-Clan in Personen dessen beider Töchter, Katharina und Eva unterlag.

 

Nach New York zur New City Opera ging er dann nicht, wo er für die Intendanz ausgewählt worden war, weil diese Oper 2007 eine Finanzkrise hatte, und er mit dem, was übrig blieb, sein Programm nicht durchführen konnte. Als er 2010 nach Madrid ging, hatte er einen Vertrag bis 2016, den wie oben ausgeführt, das Teatro Real mit seiner Krankheit beendete, dann aber trotzdem ihn zumindest weiterbeschäftigen mußte als denjenigen, der die angefangenen Projekte zu Ende bringen soll. Das müssen nun andere tun. Und es ist mehr als recht und billig, daß die heutige Vorstellung der ALCESTE von Gluck in Madrid ihm gewidmet wird, eine Schweigeminute ihn ehrt und als Zeichen der Trauer auch die Fahnen an der Plaza de Oriente auf Halbmast stehen.

 

 

Ruhrtriennale trauert um Gerard Mortier

 

Die Ruhrtriennale trauert um ihren Gründungsintendanten Gerard Mortier. Von 2002-2004 leitete Mortier den ersten Zyklus der Ruhrtriennale und setzte international Maßstäbe. Mit seinem zukunftsweisenden Konzept und einem herausragenden Programm etablierte er das Festival in den "Kathedralen des Industriezeitalters" und gab der Ruhrtriennale ihr unverwechselbares Gesicht.

 

Gerard Mortier stellte in den "Montagehallen für die Kunst" im Ruhrgebiet Kreationen ins Zentrum – Produktionen, die spartenübergreifend den Dialog mit ihren Aufführungsorten suchen: Schauspiel, Oper und Tanz verbanden sich mit innovativen Entwicklungen der bildenden Kunst, der Pop- und Konzertmusik. Beispielhaft standen dafür gefeierte Aufführungen wie Sentimenti, Saint Francois d’Assise, La Damnation de Faust, Wolf oder die Reihe Century of Songs.

 

Als prägender Erneuerer der europäischen Opern- und Konzertlandschaft arbeitete er u.a. in Brüssel, Salzburg, Paris und zuletzt in Madrid. Die Ruhrtriennale verliert mit seinem Tod einen ihrer größten Förderer, der ihr bis zuletzt eng verbunden blieb.

 

Der künstlerische Leiter der Ruhrtriennale Heiner Goebbels: 'Gerard Mortier hat es mit den künstlerischen Impulsen, die von seiner Arbeit als Kurator und Intendant ausgingen, wie kaum ein anderer möglich gemacht, die Gattung Oper anders zu denken, als man sie zu kennen glaubt. Er hat das Musiktheater nicht nur mit neuen Konstellationen und den bildenden Künsten konfrontiert, sondern auch den Inszenierungen des Opern-Repertoires zur Zeitgenossenschaft und damit zu einer Zukunft verholfen. Gerne habe ich an viele seiner Initiativen angeknüpft, mit denen er die Ruhrtriennale aufgebaut hat. Ich freue mich sehr, daß ich in den letzten Jahren die Gelegenheit hatte, ihn auch persönlich kennenzulernen. Sein großes Interesse an unseren Produktionen und vor allem seine spontane Bereitschaft, als Schirmherr das No Education Programm zu unterstützen, war für unsere Arbeit sehr wichtig. Auch dafür danken wir ihm.'

 

Gerard Mortier, der Gründungsintendant der Ruhrtriennale, ist am Samstag, dem 8. März 2014 im Alter von 70 Jahren gestorben.“

 

Auch Paris trauert

Die Bastille Oper Paris teilt mit, daß sie die Aufführung von TRISTAN UND ISOLDE am 8. April dem Andenken Mortiers widmet. Sie macht auch darauf aufmerksam, daß die Pariser mit Mortier zahlreiche internationale Künstler kennenlernten, die wegen Mortier nach Paris kamen. Regisseure wie Michael Haneke, Peter Sellars, Krzysztof Warlikowski oder Christoph Marthaler und als Bühnenbildner beispielsweise Bill Viola oder Anselm Kiefer und Komponisten wie Kaija Saariaho oder Philippe Boesmans.


 

Foto: Javier del Real/Teatro Real