E2 E4.Manue GttschingManuel Göttschings Werk E2-E4 besticht weiterhin durch die nüchterne Linie

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir schrieben bereits: Ohne neuerlich eine hymnische Besprechung aufs Elektronische Genre und den zuweilen gepflegten Ernst dieser Klänge anstimmen zu wollen, kommt E2-E4 doch immer noch ziemlich klassisch daher. Es hebt sich damit von dem Gewummer des überwiegend gewordenen Techno wohltuend ab, dem die Eigenschaft der Komposition vielfach mangelt. Sofern an dieser Stelle eine bleibende Rücksicht dieser Art Beziehung überhaupt Voraussetzung sein sollte.



E2-E4 trat mit seinem 42sten Geburtstag am 12. 12. - diesen Jahres - erneut in den Focus, wobei 2016 in dieser Zeitung das hierzu schon vorliegende Stichja
hr gewesen ist.

Zunächst noch eine Ehrerbietung für die von Manuel Göttsching sukzessive vorgenommenen elektronischen Einbauten - es darf auch von gezielten Einsprengseln gesprochen werden - in sein Werk. Es waren die unverwechselbaren kreativen Elemente, die ihn ausgezeichnet haben. Manuel Göttsching war am 19.09.1952 geboren und ist am 04.12.2022 verstorben. 

Und weiter, was sein Werk ausgzeichnet hat:

Vom Nachleben der Sechziger und Siebziger

Als Besonderheit des in Rede stehenden Werks erweist sich, dass in E2-E4 die flirrenden 60er und 70er anklingen, also mit Flower-Power, San Francisco, „to put some flowers in your hair“. Derart gestimmt durchs besuchte Dorf zu gehen, war ehedem gewagt.

Auch die durchweg elektrisierenden Techno-Begleit-Klänge in einer vorjährigen Fernsehsendung unter dem Etikett ‚Techno-House Deutschland‘ werden ihre Faszination behalten.

Und weiter noch:

Plötzlich war die Wendung da

Es gibt die Wendungen in der Zeit. Jugendliche Wendungen gegen das Herkömmliche sind das Salz in der Suppe der alten Welt. Eine jede hat nur ihre Zeit. Aufarbeitungen und Rückbesinnungen sind immer angebracht. Worin liegen nun die Unterschiede eines tatsächlichen oder vermeintlichen Techno? E2-E4 besticht durch Konstruktion. Spannung wird sukzessive aufgebaut und auf eine Höhe gebracht. So wie eindringlich über lange nächtliche Stunden inszeniert auf der Frankfurter Zeil, als diese vor Jahren für die Jugend an Wochenenden für den Rave freigegeben wurde; erinnere mich in diesem Kontext noch an eine aktuelle AC/DC-Cover-Band im Eckbereich des Karstadt-Kaufhauseingangs, die ebenso noch auf Zuspruch rechnen durfte; bei vollem Haarschmuck all ihrer Band-Mitglieder, obgleich die Haare inzwischen schon kürzer geworden waren.


E2-E4 meint ohne Drang und Druck Spannung aufbauen. Nach einer halben Stunde geht es in die Wendung, die konsequent dem schlussendlich erlösenden Ruhepunkt zustrebt. Dies Nachzuvollziehende hat es in sich, denn es ist kein Mechanisches, sondern entwickelt sich aus der Werkarbeit des komponierenden musikalischen Subjekts. Der Oberbegriff des Genres lautet Elektronische Musik. Als Manuel Göttsching vor ein paar Jahren in Berlin auftrat, bekam ich nachher die Visitenkarte eines Vereins für Elektronische Musik zugesteckt. Es handelt sich dabei um eine übernationale Gemeinde, die weiß, worum es geht und ihr zu tun ist. Der Verein macht sich um die Entwicklung, Analyse und kommunizierende Verbreitung dieses Musikgenres verdient. Unabhängig von der professionellen Ebene. Er ist eine ernstzunehmende Fan-Angelegenheit. Im Übrigen sei noch angemerkt: Kraftwerk sind ein Seitenstück zu Manuel Göttschings Ashra. - Nur zur Orientierung.

fashionweek Bild Rückgebunden an die Sechziger Jahre

Die Elektronik nahm Fahrt auf. Jugend geht voraus, Kommerz läuft hinterher. Der ursprüngliche Impuls reicht noch bis ins Burg Herzberg Open Air und was in Fahrzeug-Reihen außerhalb des Geländes da gehört wird, reicht technoid bis ins Jahr 1967 zurück, das ein super/ober-produktives Jahr für die aufgekommenen Strömungen der faszinierend neuen Jugend-Musik war. Sie verästelte sich mehr und mehr, blieb aber auch ein gemeinsam in Szene gesetztes Handwerk. Die Sechziger waren mit einer optimistisch aufsteigenden Zeitenwende verbunden. Wer damals dabei war, darf sich als privilegiert betrachten.

Techno ist die Mimesis ans Entfremdete

Um es abgewandelt mit Adorno zu sagen. So wie einstmals zunächst unscheinbar hervorgetreten arbeitet noch jeder Techno. Techno ist keine Musik des Maschinenzeitalters. Er ist ein Phänomen der Ernüchterung im Verhältnis zu ‘67 und die Zeit davor. Adorno hätte das als Mimesis ans Verdinglichte bezeichnet. Aber leider war er am Schluss zu verbohrt, um sich vorurteilslos einem Neuen zu stellen, das jugend-geschichtlich notwendig seine Legitimität anmeldete. Notwendig, weil jede Jugend selbst ihr eigenes Zeitalter ist und dieses beansprucht. In Abgrenzung zur Erwachsenenwelt. Wie die Sechziger ohnedies ein neues Zeitalter anzustoßen trachteten. Der drachenhafte Begriff Geschichte sollte aber nicht überstrapaziert werden.

Die im ehemaligen Osten von Funktionären und Fesseln befreite junge Welt übernahm nach der Wende und bereits davor düstere Stätten, die als Fabriken und Lager fungierten. Das war in der Breite der Besitznahme und Übernahme eine hochgradig effektive Sache. Allein aus diesem speziellen Grund war der Ost-Techno die Gestehung einer immens breit gefächerten eigenen neuen jugendlichen Bewegung. Eine befreite junge Welt konnte sich endlich auf dem neuesten Stand kundtun und versammeln, nachdem die politische Polizei ausgemustert worden war. Jugend ist immer auch geschichtliche Bewegung, ähnlich dem jeglicher gesellschaftlicher Illusionen abgeneigten späteren Heavy Metal, aber der Geschichtsbegriff sollte, wie gesagt, nirgendwo überstrapaziert werden. In gewisser Weise sind Techno und Metal zweieiige Zwillinge. Die Metallisten sind weniger nüchtern, aber illusionslos auch.

Foto:
- Umschlagabbildung
- Ein Paar im Outfit von E2-E4   
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Info:
E2-E4, Manuel Göttsching, David Elliott, Sounds June 16 1984, GB
Website unter: © https://www.manuelgoettsching.com/