Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - In Fuldas langer Nacht der Museen, hatte sich das ausverkaufte Schlosstheater in eine Mischung aus Konzertsaal und Kino verwandelt. Auf der riesigen Leinwand ist das Bild eines Canyons in grauen, weißen und bläulichen Farben zu sehen. Die Musiker kommen, lassen sanftes Grollen und tiefe Molltöne erklingen.
Bläser suggerieren Morgenstimmung. Langsam entwickelt sich musikalisch ein Tag: Wir sind in den Bergen von Graubünden. Eine Moderatorin begrüßt dann das Publikum mit den unverständlichen Worten. „Jeu sun ledia da veser vus oz“, was in einem Dialekt auf Rätoromanisch heißt: „Ich freue mich, euch heute zu sehen!“ In den Pausen preist sie Graubünden, in dem man diese Sprache beherrscht: „Es ist ein sehr, sehr schöner Fleck Erde“, sagt sie und spielt Meinungen von dort wohnenden Leuten ein. Es folgen zwei weitere Stücke lokaler Komponisten, das Bild der Felsschlucht im Hintergrund ändert sich nur sehr behutsam. Fast unmerklich. Das gut vierzigköpfige Sinfonieensemble wechselt zwischen dramatischen und sanften, jedoch immer recht traditionellen Klängen.
Das Bühnenbild im Hintergrund ist zurückhaltend, schafft lediglich eine Atmosphäre für die musikalische Landschaftsmalerei des Orchesters. Jedoch eine stärkere oder farbenkräftigere Illustration hätte zu den braven Stücken von Stephan Jaeggi (1903 - 1957) und Joseph Lauber (1864 - 1952) nicht gepasst, das wäre Werbefernsehen geworden. In der Pause gibt es Wein und Käse aus Graubünden. Doch einige Besucher sind enttäuscht, sie hätten sich „mehr Farbe in den Bildern“ oder „stärkere Bildwechsel“ erwartet. So wäre die Aufführung ja fast ein klassisches Symphoniekonzert.
Das Orchester stimmt die ersten Töne von Gion Antoni Derungs (1935 - 2012) an, seine sechste Sinfonie wird nicht umsonst „Die Romantische“ genannt. Jedoch romantisch ist im ursprünglichen Sinn gemeint, ist moderne Musik, wenn auch in der Tradition verankert.
Sphärische Harmonien wechseln mit dynamischen oder schrillen, schmerzhaften Tönen. Die Klänge gehen auch ins Atonale, erreichen die Grenze der Hörgewohnheiten. Aber sie nerven nicht, denn jetzt bewegt Fotokünstler Gutsche seine Bilder etwas schneller. Er projiziert sie von hinten auf die Leinwand, verschiebt oder vergrößert sie ganz langsam, so dass die Dynamik einer Kamera entsteht. Es sind immer die mystischen Aufnahmen aus seinem blauen Zyklus „Viamala“, die er oft auch anhält oder überblendet.
Sie illustrieren nicht die Töne. Genauso wie Derungs‘ neoromantische Musik erzeugen auch Gutsches raue Kompositionen eher vage Stimmungen, rufen Gefühle hervor, entführen in andere unbekannte Welten. Klänge und Bilder irritieren möglicherweise, aber sie verknüpfen sich in den Köpfen des Publikums zu Synästhesien. So wird langsam eine außerordentliche Spannung aufgebaut - die sich in tosendem Beifall entlädt. Die „Welturaufführung“ des Lichtbildners ist gelungen, seine zwischen Wiedergabe und Abstraktion changierenden Fotos eröffnen auch einen Zugang zu moderner Tonkunst.
Service:
Die großformatigen fotografischen Arbeiten aus Gutsches „Viamala“ sind derzeit in der Fuldaer Galerie Fuchs zu sehen.
Foto:
© Hanswerner Kruse