Jürgen Flimms Zürcher Inszenierung von Händels Il trionfo del tempo e del Disinganno als Berliner Premiere an der Staatsoper im Schillertheater
Berlin (Weltexpresso) - Auch wenn das Staatstheater, seit es seine Linden verlor, nunmehr die im Schillertheater schon vorher begonnene Linie fortsetzt, für sogenannte Premieren ein <i>Haus des Gastspiels</i> zu werden, obwohl man eigentlich über ein mehr als nur famoses Ensemble verfügt und es außerdem in dieser Stadt nicht wenige Köpfe gibt, die große, dem Niveau der ehemaligen Lindenoper angemessene Inszenierungen auf die Bühne zu bringen vermöchten,
- weiters unerachtet des Umstands, daß sich Gastspiele so doch auch nennen ließen und gerne mehrfach wiederholt sein dürften, wofern die Qualität und/oder Besucherwünsche es erheischten, - mit einer eigenständigen Staatsoper hat das aber nichts mehr zu tun,
- ferner des Umstands unerachtet, daß nun ganz gewiß keine neun Jahre alte Inszenierung die Bezeichnung „Premiere“ mit Recht noch sollte tragen dürfen,
- sowie jenes, daß der Hausherr selbst ein Regisseur ist, für den es wunder nimmt, daß ihm Neues nicht mehr einzufallen scheint, wenn er doch solch ein Instrumentarium an die Hand bekommen hat, daß es manch anderen Regisseuren, weil sie vor Ideen platzen, vor Sehnsucht Tränen in die Augen treibt,
- also dieses alles beiseite, war<a href="http://www.staatsoper-berlin.org/de_DE/calendar/9201930" target="_blank"> >>>> das gestern abend</a> – ich besuchte die zweite Vorstellung – musikalisch einfach nur wunderbar. Welch eine Klarheit dieser <i>musiciens</i> und welch eine straffe und zugleich einfühlsame Führung, die auf den Stab verzichtet hat, des Dirigenten Schlagstock; statt dessen das tiefe Einvernehmen aller, man wolle innig musizieren... - Und welch ein Solistenquartett! Charles Workman, der die Zeit gab, gehört zu jenen Sängern, die betören, wie mir immer noch von Jeffrey Francis im Ohr - das war 1996, Händels Semele unter Jacobs -, weil ihr heller Schmelz völlig ohne Schmalz ist und schon gar nicht das zuckrige Knödeln kennt, das manchen Belcanto so dubiöst, und Workman hebt an und könnte sogar schmettern; sie legt sich einem aufs Herz, diese männliche Stimme, als wäre sie gehöhlte, schützende Hand.
Das gibt gerade dieser Partie etwas Mefistofe‘les, zumal Workmans Erscheinung auch körperlich sehnig und schlank ist, so daß hier eine Jugend hinzukommt, die seinerzeit schon Falk Struckmanns Wotan verführerisch machte; nix von altem Papa war da noch, als den die Rolle gern verunstaltet wird, wenn auch aus Mangel an jüngeren Sängern, die ihr gewachsen sind.
Und mehr noch, viel mehr! Oh, Delphine Galous eleganter, fast tänzerischer Disinganno, der die zu dekonstruierende Schönheit umstreift wie ein Wind, in dem die Erlenköniginnen singen, Schönklangssirenen, doch aber der Entsagung, weitest in den gewölbten Obertönen bei leicht tiefer Grundierung – und schließlich Sylvia Schwartz, die wirklich monroesche Schönheit des Abends, deren Sopran sich nur zu Anfang etwas mühte, aber schon nach kurzem strahlte, bis sich in ihrer Schlußaria, um sich von der Welt zu wenden, ein jeder Ton allein noch auf sich selbst gestellt, wie wenn er konzentriert an sich lausche.
Da hatte Inga Kalna es schwer, die das Vergnügen sang. Ihre Schuld war‘s aber nicht, denn sanglich stand sie gänzlich bei den anderen. Sondern der Regisseur hat es versäumt, dem Casting Paroli zu geben. Wenn so ein Vergnügen nämlich backen wird wie die Hausfrau montags am Herd, ist etwas tüchtig schiefgegangen. Gegen die Chameure hat eine solche keine Chance. So daß man schon verstehen kann, wenn die Monroe den Einflüsterungen der eleganten Versucher erliegt. Nur daß es so nicht inszeniert ist. Man hatte vielmehr den Eindruck, Jürgen Flimm habe sich, wie weiland Händel vor Clemens des IX., vor Benedikt des VI. Zensur in acht nehmen müssen. Jedenfalls hätte Josef Ratzinger an dieser Inszenierung eine solch betäubende Freude gehabt, daß es ziemlich wunder nimmt, weshalb die Staatsoper das Stück nicht bereits im vergangenen September gegeben. Als Anschluß an seine Rede vor dem Deutschen Bundestag hätte das prima gepaßt.
Zwar läßt Flimm im Programmheft vermerken, gegen die Entsagung der Schönheit zugunsten einer Nonnenkutte spreche deutlich die Musik. Und das ist wahr. Indes verfolgt er völlig katholisch den Oratoriumstext ganz wie ein Knecht – es gibt rein keine szenische Distanz. Nur die beiden Mefistofelchens geben dezent einen Hinweis. Das Stück ansonsten bleibt Erbauung ohne Unterleib.
Da hilft auch Erich Wonders prächtige Bühne nicht, in Sachen Art Deco aber ein Glanzstück. Nur daß die übrigen Akteure, die ja eigentlich anderes nicht zu agieren haben, als daß sie herumsitzen müssen – das eben tun: herumsitzen.
Die Szene ist ein Tableau, dessen Figuren aber nicht legieren. Fast hilflos wirkt‘s, wenn mal vier Leute aus dem Schnee die große Bar betreten, auch gehen sie wie Marionetten und gehen so rückwärts wieder hinaus. Das wiederholt sich. Und der schöne Einfall, den Tresen der Bar als Catwalk zu nutzen – von Schönheiten übrigens, die, wie insgesamt die Kostüme, des Hinblickens allemal wert sind -, - dieser Einfall geht in die Knie, weil die Damen einfach nicht gehen können. Aus jeder Modenshow würden sie, so, hinausgeworfen. Hinten und vorne stimmt nicht die Choreografie; und weil ich schon mal am Mäkeln bin: wer hinter die Bar tritt, ohne dafür ermächtigt zu sein, der gibt einen aus. Das ist die Regel. Flimm scheint sie nicht zu kennen. Denn ein paar kleinen Mädchen die Schwänzchen, des Haares, zu bürsten, hilft da als Ausrede nicht einmal dann, wenn uns allen<a href="http://www.canisius.de/" target="_blank"> >>>> Canisius</a> noch erinnerlich ist. Außerdem waren‘s da Jungs.
Bisweilen aber gibt es ein Bild, das nachgeht. Etwa der alte Mann, der, im zweiten Teil des Abends, eine Puppe in den Händen hält und sie zwanzig, dreißig Minuten lang ansieht, als säh er selbst sich als Baby und könnte das so wenig fassen, daß er erstarrt. Aber insgesamt erzählt uns der Regisseur einfach nicht, was denn an Wahrheit die Schönheit soll gesehen haben, daß es sie derart in die Kutte treibt. Die Bühnenbilder I und II sind rein identisch: da muß etwas Inneres sein, was diese junge Frau dazu bringt, ihre Jugend, weil sie doch eh vorübergehen wird, ungeduldig schon gleich jetzt zu enden - so wie einer, dem ein Infarkt prophezeit ist für in, sagen wir, achtundzwanzig Jahren, um dem zuvorzukommen, sich schon gleich jetzt, zum Beispiel elektrisch, totschlägt – kurz: so inszeniert, ist das Stück Ketzerei, nämlich gegen das Leben, und prüde bis zur Trockenheit.
Nimmt man Flimms Meinung von jener Händels ernst, er, Händel, habe die Aussage, nämlich die Botschaft seines Heils- und klösterlichen Erweckungssstücks musikalisch konterkariert, dann hat er, Jürgen Flimm, hier Händel gelästert, nämlich die Musik szenisch unterlaufen. Eine Audienz ist ihm, in Rom, nunmehr sicher. Doch auch<a href="http://www.watchtower.org/x/" target="_blank"> >>>> Der Wachturm</a> sei bereits für Schillers Glasfoyer um einen Standplatz eingekommen. Derweil hat Opus dei neue Libretti in Sichtung, die möchten bitte, wird inquisitorisch empfohlen, weltliche Texte künftig ersetzen, zum Beispiel den der Lulu von Berg.
Marc Mankowski mit den Musiciens du Louvre-Grenoble am 15./18. Januar 2011.
<b>Il trionfo del Tempo e del Disinganno
<sub>Oratorio von Georg Friedrich Händel</b></sub>
<sub>Inszenierung Jürgen Flimm, zusammen mit Gudrun Hartmann - Bühnenbild Erich Wonder
Kostüme Florence von Gerkan - Choreographie Catharina Lühr - Licht Martin Gebhardt
Dramaturgie Ronny Dietrich und Detlef Giese.</sub>
Sylvia Schwartz - Delphine Galou - Charles Workman - Inga Kalna
Les Musiciens du Louvre • Grenoble
Marc Minkowski
<sub><b>Die nächsten Vorstellungen:</b>
21 Jan 2012 | 19.30 Uhr Karten 84 | 72 | -- | 44 | -- EUR
24 Jan 2012 | 19.30 Uhr Karten 66 | 58 | 49 | -- | -- EUR
27 Jan 2012 | 19.30 Uhr Karten 84 | 72 | 57 | 44 | -- EUR
29 Jan 2012 | 15.00 Uhr Karten 66 | 58 | 49 | -- | -- EUR
<a href="http://www.schillertheater-berlin.de/de_DE/tickets/distribution/8567" target="_blank"><b> >>>> Karten</b></a>.</div>