Emmanuelle Haïm leitete die Berliner Philharmoniker

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - 29., 30. und 31. Oktober: Die Französin Emmanuelle Haïm ist in zweifacher Hinsicht ein besonderer Gast bei den Berliner Philharmonikern: Sie zählt zu den führenden Interpretinnen der Alten Musik und zu den wenigen Frauen, die schon mehrfach ans Dirigierpult der Berliner Philharmoniker treten durfte.

 

Bei dem jüngsten Konzert stand das kaum bekannte „Oratorium zur Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus“ von Händel auf dem Programm. Es reicht zwar nicht an den berühmten „Messias“ heran, empfiehlt sich aber allemal dank reizvoller Arien und Duette als kostbare Entdeckung.

 

Händel, der sich als barocker Oratorienmeister vor allem in seiner Londoner Zeit einen Namen machte, schuf dieses Werk während seiner jungen Jahre in Italien. Dabei erstaunt es, dass der überzeugte Protestant im Heimatland der Päpste mit Anfang Zwanzig zum gefragten Komponisten höchster römisch-katholischer Kreise werden konnte.

 

Den Text schrieb der römische Gelehrte Carlo Sigismondo Capece in freier Nachdichtung der vier Evangelien. Er schildert die Auferstehung aus Sicht dreier biblischer Akteure, dem Evangelisten Johannes, Maria Magdalena und der anderen Maria, der Frau des Kleophas. Ihre Dialoge umrahmt ein wortgewaltiger Prinzipienstreit zwischen einem Engel und dem Teufel Luzifer.

 

In Berlin gelang eine achtbare, in vieler Hinsicht sehr gelungene, aber auch denkwürdige Aufführung, bei der einem Vieles durch den Kopf ging. Unlängst hatten Nikolaus Harnoncourt, sein Kollege und ehemaliger Schüler Ivan Fischer und eine kleine Gruppe von Berliner Journalisten in einem Pressegespräch kontrovers über die wandelnden Ideale und Ansprüche in der Alten Musik diskutiert. Bei Harnoncourt war eine gewisse Distanz zu der Originalklangbewegung nicht zu überhören. Das Wort „Originalklang“ erklärte er regelrecht für Unfug, ließe sich doch „nicht nachweisen, wie die Barockmusik tatsächlich geklungen hat.“ Den Berliner Philharmonikern attestierte er, dass sie trotz modernen Instrumenten überzeugend Alte Musik spielen.

 

Im Hinblick auf den Abend mit Emmanuelle Haim mag man da mit Einschränkungen zustimmen. Keine Frage, musiziert wird allemal stilsicher mit einem Bewusstsein für die barocke Verzierungspraxis. Und doch tat sich klanglich unüberhörbar eine Kluft auf zwischen den als Gäste verpflichteten Musikern des barocken Spezialensembles „Le Concert d’Astreé“ und den Philharmonikern. Das betraf besonders die Gruppe der Holzbläser: Zum warmen Wohllaut zweier Blockflöten will der etwas metallischere Klang der modernen Silberflöte nicht passen. Die drei Flöten kommen allesamt in exponierten Soli zum Zuge, bilden aber kein homogenes Ganzes. Man wundert sich, warum Emannuelle Haïm auf eine barocke Traversiere verzichtet hat, damit hätte sich einer so auffallend klanglichen Unausgewogenheit vorbeugen lassen.

 

Und noch einmal bei der Sopranarie „Jesus hatte keine Furcht, für mich zu sterben“ zeigt sich auffällig die Überlegenheit eines historischen Instruments gegenüber einem modernen, wenn nacheinander Gambe und Solovioline mit demselben Motiv einsetzen. Auf der Gambe klingt es lebendiger und wärmer, auf der modernen Violine virtuos aber ein bisschen steif.

 

Bei den Vokalstimmen ergab sich ein ähnliches Bild wie auf vielen Gesangswettbewerben: An hervorragenden Frauenstimmen mangelt es nicht, an guten Männerstimmen allerdings sehr wohl.

 

Hier betörten allen voran die wunderbare Christiane Karg mit ihrem luziden, strahlenden Sopran und Sonia Prina mit ihrem sonoren, großen Alt. Camilla Tilling, dem Berliner Publikum mit ihrem schlanken Sopran noch aus den Bachschen Passionen unter Simon Rattle in bester Erinnerung, sang ihrer Engelpartie ebenfalls weitgehend kultiviert und sanft, stieß nur in ihrer ersten Arie „Öffnet euch, Pforten der Hölle! einige hohe Töne mit unschöner Schärfe heraus. Der finnische Tenor Toni Lehtipuu und der britische Bass Christopher Purves sangen ihre Partien zwar ausdrucksstark aber ohne Geschmeidigkeit und Schmelz in den höheren Registern.

 

Dass gleichwohl insgesamt eine aufwühlende, packende Wiedergabe gelang, war weitgehend das Verdienst der Interpretinnen dieses Abends. Stets souverän zwischen Cembalo und Dirigierpult wechselnd, ließ es die Französin Haïm an Verve, Präzision und Leidenschaft nicht fehlen.

 

Foto: Marianne Rosenstiel