Christian Thielemann mit „Capriccio“ bei den Dresdner Richard Strauss-Tagen

 

Kirsten Liese

 

Dresden (Weltexpresso) - Selbst so mancher Kenner wird wohl ins Grübeln kommen, wann und wo er „Capriccio“ zum letzten Mal gesehen hat, in szenischer Aufführung wohl bemerkt!

 

 

Denn schon seit geraumer Zeit fristet das zweieinhalbstündige, sublime Konversationsstück, das sich noch in den 1960er Jahren großer Beliebtheit erfreute, unverdient ein Schattendasein auf den Spielplänen der großen aber auch kleineren Bühnen.

 

An der Musik liegt das ganz gewiss nicht, kommt doch die Partitur ebenso zärtlich, schwelgerisch und silbrig daher wie der ungleich beliebtere „Rosenkavalier“.

Spröder wirkt das sublime Kammerspiel, zu dem der Komponist selbst zusammen mit Clemens Krauss das Libretto schrieb, durch eine fehlende Handlung. „Capriccio“ ist ein unspektakulärer Diskurs um das Primat der Musik über das Wort, ein Stück, in dem nicht viel geschieht, dafür aber geistreich über die Künste philosophiert wird und Sätze aufblitzen, die zeitlos aktuell anmuten („Auf die Sänger nimm’ Rücksicht – nicht zu laut das Orchester!“)

 

Capriccio“ ist aber auch eine Oper, die mit überwiegend sehr filigranen Gesängen nach besonderen Sängertypen verlangt, derer es derzeit nicht allzu viele gibt. Das betrifft allen voran die Partie der gleich von zwei Männern umschwärmten Gräfin Madeleine, mit der man immer noch vorzugsweise die genialen Strauss-Interpretinnen Elisabeth Schwarzkopf, Lisa Della Casa und Kiri Te Kanawa identifiziert, denen diese Figur einst dank ihrem aristokratischen Wesen wie auf den Leib geschrieben schien.

 

Heute ist die Amerikanerin Renée Flemming, in Timbre und Diktion der Schwarzkopf immer ähnlicher, die letzte Grande Dame, auf die diese vornehme, kluge Aristokratin wie zugeschnitten wirkt. Eine lange bewährte Zusammenarbeit mit Christian Thielemann, unter dem sie schon die Marschallin im „Rosenkavalier“, die „Arabella“, die „Ariadne“ und zahlreiche Orchesterlieder sang, führte die Sopranistin einmal mehr nach Dresden. Wie erwartet wurde es abermals ein Auftritt der Extraklasse, bestimmt von herrlichen Pianotönen, lyrischer Zartheit und Noblesse.

 

Und auch um sie herum versammelte sich mit Adrian Eröd (Olivier, der Dichter), Steve Davislim (Flamand, ein Musiker), Dietrich Henschel (der Graf), Daniela Sindram (die Schauspielerin Clairon) und Georg Zeppenfeld (La Roche, der Theaterdirektor) ein der Wiener Staatsoper würdiges, treffliches Ensemble.

Zu Sternstunden wurden freilich auch das zarte, wie von Goldfäden durchwirkte Orchestervorspiel und das finale magische Mondschein-Intermezzo – beseelt, verträumt, leise und andachtsvoll schön!

 

Doch nicht nur musikalisch lohnte dieser großartige, von Christian Thielemann einstudierte Abend, vielmehr bescherte er auch den seltenen Glücksfall einer schon älteren, ästhetisch ansprechenden Inszenierung (Marc Arturo Marelli), bei der eine lichte Raumarchitektur und prächtige Rokoko-Kostümen in keinem Widerspruch stehen.

 

So vorzüglich wird man wohl „Capriccio“ sobald nicht wieder erleben. Und doch bleibt zu hoffen, dass die rundum großartige, bejubelte Dresdner Aufführung andere Bühnen dazu inspirieren mag, sich für dieses vernachlässigte Stück zu interessieren.

 

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Foto © Matthias Creutziger, von l. nach rechts: Adrian Eröd als Dichter Olivier, Renée Flemming als Gräfin und Steve Davislim als Musiker Flamand