Christian Thielemann mit den Berliner Philharmonikern in Berlin, 16., 17., 18.Januar

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Ein Dirigent werde an seinen Beethoven-Interpretationen gemessen, hat Christian Thielemann einmal gesagt und sich damit traditionsbewusst Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan angeschlossen, die ebenfalls ein epochales Werk wie die „Eroica“ für einen großen Prüfstein hielten.

 

Spätestens sein viel beachteter, genialer, auf DVD, dokumentierter Beethovenzyklus mit den Wiener Philharmonikern belegt, dass Thielemann das große Format der beiden Giganten besitzt, die hörbar auch zu seinen musikalischen Vorbildern zählen.

Wenn Thielemann nun mit den Berliner Philharmonikern erneut eine fulminante „Eroica“ gelang, ist das zweifellos von großem Gewicht, zumal in der heißen Phase, in der das Orchester für seinen noch amtierenden, 2018 scheidenden Chefdirigenten Simon Rattle einen Nachfolger finden muss. Traditionell wählt ihn das Orchester selbst. Im Mai muss eine Entscheidung her.

 

Thielemann gilt neben dem 72-jährigen Daniel Barenboim und dem jüngeren Andris Nelsons als Top-Favorit. Und so wie er, und nur er allein, imstande ist, an die vergangenen glorreichen Zeiten in der Geschichte dieses Orchesters anzuknüpfen, ist er der ideale Kandidat. Endlich käme das klassisch-romantische Kernrepertoire, das Rattle nicht optimal bedienen konnte, wieder zu seinem Recht. Aber in die Zwickmühle geriete Thielemann zweifellos auch. Der 55-Jährige führt seit 2012 eine glückliche Ehe mit der Sächsischen Staatskapelle.

 

Jedenfalls besitzt der Mann, wovon man sich nun wieder überzeugen konnte, das Gespür für das richtige Tempo, für atmosphärische Zäsuren, die eine Verlangsamung erfordern oder das spannungsreiche Innehalten auf einem Ton, und natürlich für die gesamte Architektur der Sinfonie.

 

Die Ecksätze der „Eroica“ wirkten wie eingepasst in eine zwingende Spannungsdramaturgie, der erste bestach mit dramatischer Wucht-, das Finale mit der dynamischen und farblichen Vielfalt des durchgeführten, variierten Themas. Besonders aber bewegte der mit gravitätischem Ernst anhebende zweite Satz, der Marcia funebre. Mit großer Empfindsamkeit und subtilsten Pianonuancen vorgetragen, verströmte er eine tiefe Melancholie. Nicht zu vergessen die exquisiten Hörner: Blitzsauber und ohne jedweden Kickser hoben sie zu ihrem Trio im Scherzo an, dass es eine reine Wonne war. So makellos hört man es selten, daran zeigte sich freilich auch die Extraklasse der philharmonischen Bläsersolisten!

 

Der „Eroica“ vorangestellt hatte Thielemann die symphonische Orpheus-Dichtung von Franz Liszt, eine schwelgerisch-poetische Impression mit magischen Harfenklängen, und Hans Werner Henzes „Sebastian im Traum“, eine neuromantische Nachtmusik, inspiriert durch den gleichnamigen Gedichtzyklus des Expressionisten Georg Trakl. Zwei reizvolle kürzere Werke, die sonst seltener zu hören sind, klangfarbenreich vorgetragen.

 

Es ist ein großer, in Jubel endender Abend. Entsprechend groß ist auch die Vorfreude auf Thielemanns nächste Auftritte mit den Berlinern: An drei Abenden dirigiert er am kommenden Wochenende das Requiem von Johannes Brahms.

Foto: (c) Matthias Creutziger