38. Händelfestspiele in Karlsruhe mit RICCARDO PRIMO

 

Kirsten Liese

 

Karlsruhe (Weltexpresso) - Die 38. Händelfestspiele in Karlsruhe zeigten noch einmal „Riccardo Primo“ in der grandiosen Inszenierung von Benjamin Lazar.

 

Kann sich wer erinnern, eine Barockoper im stimmigen historischen Ambiente bei Kerzenschein gesehen zu haben? Noch dazu an einer deutschen Bühne? Vermutlich nicht allzu oft.

 

Aber tatsächlich gibt es eine Adresse für Musiktheater dieser feinen, exklusiven Art. Und ich schätze mich glücklich, sie nach 20 Jahren Musikjournalismus endlich entdeckt zu haben: die Händelfestspiele Karlsruhe.

 

Das 1727 in London uraufgeführte Musikdrama „Riccardo Primo“ um den ruhmreichen Britenkönig Richard Löwenherz, der auf einem seiner Kreuzzüge in Zypern strandet und seine Geliebte aus den Klauen eines hart gesottenen Tyrannen befreit, ist bereits die zweite Produktion mit dieser Ästhetik. Sie hatte im vergangenen Jahr Premiere, wurde in der jüngsten 38. Festivalausgabe ebenso erfolgreich wieder aufgenommen und zählt zum Besten, was mir im Bereich Barockoper untergekommen ist.

 

Jenseits der an den großen Häusern herumgereichten, üblichen Verdächtigen haben wir es hier mit einem Regisseur zu tun, der zunächst mit seinen Inszenierungen in barocker Aufführungspraxis in seiner französischen Heimat auf sich aufmerksam machte, regelrecht für Furore gesorgt hat. Benjamin Lazar tut etwas, was im sogenannten Regietheater verpönt ist: Er verordnet den Sängern keine Aktionen, sondern ausladende Gesten. Das hat den Vorteil, dass man vor abwegigen, vulgären oder absurden Interpretationsversuchen verschont bleibt und eine Ahnung davon bekommt, wie Barockoper in ihrer ursprünglichen Form einmal gewesen sein mag.

 

Adeline Caron hat die Bühne mit eindrucksvollen, zinnengekrönten, verschiebbaren Festungs- und Palastmauern dekoriert; zum starken Blickfang werden aber auch immer wieder die prächtigen, goldenen, reich verzierten und bestickten Kostüme (Alain Blanchot).

 

Die größte Besonderheit aber ist das schon angesprochene, auf elektrische Scheinwerfer verzichtende einmalige Lichtdesign von Christophe Naillet. Der pure Kerzenschein (zum Einsatz kamen mehrere hundert Kartuschen mit Lichtern aus Parafin) beschert faszinierende Schatteneffekte und trägt wohl am meisten dazu bei, dass man das Gefühl hat, sich auf einer Zeitreise im 17. Jahrhundert zu befinden.

 

Diesen Eindruck verstärken die unter Paul Goodwin stilsicher musizierenden, grandiosen Deutschen Händelsolisten, insbesondere das perfekt dargebotene, virtuose Solo der Piccoloblockflöte in einer Sopranarie um einen kleinen, in sein Nest zurückkehrenden Vogel klingt mir immer noch nach.

 

Riccardo Primo“ ist aber auch ein Abend der großen, herrlichen Stimmen. Dabei sticht der famose Counterstar Franco Fagioli in der Titelrolle keineswegs als einziges Glanzlicht hervor, auch wenn er alles einlöste, was ich zuvor über ihn gelesen habe: eine makellose Technik, einen sagenhaften Stimmumfang vom höchsten Falsett bis in baritonale Tiefen, Klangsinnlichkeit, Volumen und einen starken Ausdruckswillen, besonders dann, wenn er auf einem Ton über weite Strecken an- und wieder abschwillt.

 

Aber auch alle Übrigen ließen schlanke, schöne Stimmen hören.

 

Eine der Sopranistinnen, die Französin Claire Lefilliâtre, hat mich sogar noch stärker beeindruckt als vergleichsweise Cecilia Bartoli, weil sie ihre Stimme bis in höchste Register schlank zu führen versteht und nie einen Ton vergurgelt. Sie ist in diesem Drama Pulcheria, die edelmütige Tochter des tyrannischen Herrschers, die sich nach dem Willen ihres Vaters unter falscher Identität Riccardo als Gattin aufdrängen soll, aber beschämt den Betrug eingesteht, als er evident wird und reumütig auf die Seite der Guten schlägt.

 

Die von uns besuchte letzte Aufführung wird mir aber auch aus einem anderen Grund unvergessen bleiben. Just an diesem Nachmittag traten die Bühnenmitarbeiter in den Streik. Gerüchte gingen um, „Riccardo“ würde ausfallen, aber das Theater setzte alle Kräfte daran, den langen Nachmittag zu retten. Und am Ende klappte sogar alles wie am Schnürchen.

 

Auch daran zeigt sich die große Leidenschaft, mit der am Badischen Staatstheater gearbeitet wird. Wenn es doch überall so tolle, hilfreiche Geister gäbe.

Foto: Franco Fagioli als Riccardo I., © Falk von Traubenberg