Wagners Lohengrin in Dresden mit Anna Netrebkos Rollendebüt als Elsa
Kirsten Liese
Dresden (Weltexpresso) - „Trinkt o Augen, was die Wimper hält, vom goldenen Überfluss der Welt“: Die letzte Strophe aus Gottfried Kellers Abendlied geht einem eher selten in der Oper durch den Kopf, dafür aber umso eindrücklicher in dem von Christine Mielitz inszenierten, wilhelminischen „Lohengrin“ an der Dresdner Semperoper.
Die Produktion ist mittlerweile 33 Jahre alt, erlebte seine 112. Vorstellung und erweist sich mit prächtigen Dekorationen und Kostümen, die das mittelalterliche Kolorit und die Romantik von Libretto und Musik nicht verleugnen, geradezu als ideal für Anna Netrebkos Rollendebüt als Elsa, ihrer ersten Wagnerrolle überhaupt. Welch ein Anblick, wenn sie mit ihrem Schwanenritter zur Kirche schreitet, mit riesenlanger Schleppe und ganz in Gold wie eine Königin! Es ist zu spüren, dass Netrebko diese Partie und nicht etwa die Isolde oder Sieglinde ziel- und instinktsicher für sich und ihren Typ entdeckt hat. Golden, warm, vollmundig, fraulich schön und groß tönt ihr Sopran.
Ihr erstes Arioso „Einsam in trüben Tagen“, das sie als Unschuldige im schlichten weißen Kleid mit Ketten an den Händen anstimmt, singt sie im Bemühen um Textverständlichkeit noch etwas überdeutlich, laut und im Vergleich mit der als Elsa unübertroffenen Elisabeth Grümmer zu wenig träumerisch. Ab dem zweiten Akt aber harmoniert ihr sinnlicher Sopran mit dem Libretto und der Musik. Vor allem in den finalen Ensembles dieses Aufzugs mit ihrem Helden und dem hervorragend aufgelegten Sächsischen Staatsopernchor (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen) darf man staunen, wie mühelos und strahlkräftig ihre Stimme sich über das Orchester erhebt.
Über eine große Durchschlagskraft verfügt freilich auch Evelyn Herlitzius, in deren Ortrud sich allerdings einige schlechte Angewohnheiten eingeschlichen haben: Sie schleift hohe Töne an und schreit in den Spitzen wie einst Gwyneth Jones im fortgeschrittenen Alter. Das grelle Kreischen will zu Annas makelloser Lyrik nicht so recht passen, am wenigsten in dem Duett „Es gibt ein Glück, das ohne Reu“, einziger Schwachpunkt dieser ansonsten zu recht bejubelten, grandiosen Produktion.
Ein stimmigeres Amalgam bilden Netrebko und Pjotr Beczala. Für den Polen war es auch sein Rollendebüt als Titelheld, ebenfalls ansprechend gekleidet mit rotem Wams und silbernem Kettenhemd. Die beiden sangen nicht zum ersten Mal zusammen, sind vielmehr schon ein eingespieltes Team seit sie in Tschaikowskys Jolanthe in Baden-Baden vor einigen Jahren ein regelrechtes Traumpaar abgaben. Ganz so geschmeidig und sahnig wie damals nimmt sich Beczalas Tenor diesmal im ersten Akt noch nicht aus. Im Laufe des Abends aber klingt sein Tenor zunehmend größer und balsamischer. Die Gralserzählung singt er makellos durchgeformt, zum Höhepunkt wird das ungemein klangsinnlich gestaltete Duett im Brautgemach.
Der gewohnt großartige Georg Zeppenfeld als König Heinrich und der mit seinem profunden Bariton einen respektablen Telramund abgebende Tomasz Konieczny komplettieren das ansonsten rundum trefflich besetzte Ensemble.
Was aber wäre dieser Lohengrin ohne Christian Thielemann und seine Sächsische Staatskapelle? Beim Schwanen-Motiv gleicht sein zart bebender Taktstock dem Flügelschlag eines Schmetterlings, und so klingt es auch: geheimnisvoll leise, transzendent und überirdisch schön! Zugleich scheut sich der Maestro nicht, das Blech kriegerisch-grimmig schmettern zu lassen oder in feierlichen Aufzügen breit auszukosten. Und so entfaltet sich Wagners deutsche Seele, die manch andere Dirigenten bewusst seiner Musik auszutreiben versuchen, hier aufs Wundervollste!
Wird Anna Netrebko nach diesem Probelauf wie angedacht 2018 auch die Elsa in Bayreuth unter Thielemann singen? Noch scheint das ungewiss. Die Russin ist teuer und steht nicht für alle Unsinnigkeiten zur Verfügung, die Regisseure Sängern abverlangen. Einem Hans Neuenfels erteilte sie in München schon mal eine Absage. Für Bayreuth könnte das die Chance bedeuten, nach dem hässlichen Ratten-Lohengrin zu einer ansprechenden Ästhetik zurückzukehren. Christine Mielitz, von der man seltsam lange nichts mehr gehört hat, wäre vielleicht die richtige Kandidatin.