Serie: DIE ELBPHILHARMONIE IN HAMBURG, Teil 6

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Dieses Stück Wolfgang Rihms war interessant, vor allem in seinem Bezug auf Jahnn, der eine schwer greifbare und gar einzuordnende widersprüchliche Persönlichkeit war, die man letztlich am sichersten auf den Nenner der Kunst-, Menschen- und Tierliebe konzentrieren könnte.


Die Musik des Stückes selbst ist trocken; ein Tal mit leichten Erhebungen zwischen den eingängigeren Superlativen Wagner und Beethoven (1770 - 1827), dem, zusammen mit den Camerata-Musiken, ganz unstrittig die Krone des Abends gebührt.

Beethoven! Aber, daher ist das Ausrufungszeichen falsch, es fängt nicht mit einem Aplomb an. Überhaupt hat sich der Dirigent ausgedacht, Stück an Stück zu fügen, ohne Pausen, in denen sonst der gewöhnliche Applaus zu erwarten gewesen wäre, so dass die Stücke, zwar mit leichter, erkennbarer, nicht aber einladender Unterbrechung aneinandergereiht werden. So auch hier: Der 4. Satz der IX. Symphonie, D-moll, op. 125, von Ludwig van Beethoven schließt sich ohne Zäsur an das Rihmsche Auftragswerk an.

Und doch bleibt es ein herausragendes Ereignis. Endlich ein Stück, das die Sinne der Hörer nicht herausfordert, quält und strapaziert; herausfordert aber doch, indem Hengelbrock die überlieferte, virile Vortragsweise des großen Zuges und Grundzuges unterlässt – und stattdessen den Satz analytisch in seine Bestandteile zerlegt, vor unseren Ohren, die verschiedenen, sogar mitunter disparaten Teile präsentiert, die kaum noch durch ihr musikalischen Ineinandergreifen zusammengehalten werden, sondern fast nur noch dadurch, dass der Ablauf der Musik eben einfach vorwärts strebt.

So überraschend, beinahe befremdlich diese Aufführung zunächst anmutet, sie gewinnt; und nachträglich meint man, dass dieses Werk nur so und nicht anders richtig klingt! Die Nachwirkung, auch die Nachwirkung ist stark. Sonderbare Anteile hat Beethoven in diesen letzten Satz seiner letzten Symphonie eingewoben! Opernhaftes neben rezitativen Anteilen; Chor- und Sologesang; dabei ein Orchester in großer Besetzung. Schon allein die einzelnen Satzbezeichnungen des 4. Satzes lassen diesen Reichtum, diese Fülle erahnen: Finale: Presto – Allegro assai – Allegro assai vivace (alla marcia) – Andante maestoso – Adagio ma non troppo ma divoto – Allegro energico e sempre ben marcato – Allegro ma non tanto – Presto – Maestoso – Prestissimo (d-Moll / D-Dur).

Richard Wagner äußerte ganz begeistert: "(...) die Neunte sei Erlösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinen Kunst. Sie ist das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft." Jedenfalls seiner musikalischen Zukunft, der, von Beethoven kommend, seine Idee des Gesamtkunstwerks aus dem 4. Satz der IX. Symphonie entwickelte. Friedrich Schiller (1759 - 1805), dessen Gedicht-Ode "An die Freude" Beethoven verwendet hat, hat diese Symphonie dagegen nie hören können, - und spannend wäre natürlich zu erfahren, wie Schiller über den Schluss-Chor der IX. Symphonie geurteilt hätte -, denn sie wurde erst 1823/24 von Beethoven vollendet. Aber Schiller war zumindest seit 1793 darüber unterrichtet, dass Beethoven vorhatte, sein Gedicht zu vertonen, das Schiller im Sommer und Herbst 1785 für die Tafel der Dresdner Freimaurer-Loge "Zu den drei Schwertern" geschrieben hat.

In Dresden schrieb Schiller dieses Gedicht auch zuende, das er in Jena bereits unter der Obhut seines Freundes Christian Gottfried Körner (1756 – 1831) begonnen hatte. Es wurde dann zuerst in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Thalia" 1786 von Schiller veröffentlicht. Hier entdeckte es Beethoven. Der Jurist und Freund Schillers, Bartholomäus Ludwig Fischenich (1768 – 1831), berichtete im Januar 1793 an Schillers Frau, dass Beethoven ihm gegenüber geäußert habe, er wolle Schillers Gedicht Strophe für Strophe bearbeiten. Fischenich: "Ich erwarte etwas vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene." - Diese Prophezeihung traf ein.

Foto: (c) Wolfgang Mielke