Die »lieben Berge« des Montafon; Teil 2/2
Thomas Adamczak
Schruns/Montafon (Weltexpresso) - Le Breton vergleicht in seinem grundlegenden Buch über das Wandern (»Lob des Gehens«) das Flanieren in der Stadt mit dem Wandern und schlussfolgert, dass sich die Haltungen von Flaneur und Wandersmann/-frau ähneln. Versuchen Sie mal, sich einen Autofahrer vorzustellen, der seinen Gedanken nachhängt.
Für Bruchteile von Sekunden mag das gehen, aber wehe, wenn es auf Kosten der erhöhten Aufmerksamkeit für den Verkehr geht. Vergleichbares gilt für das Mountainbiking in den Bergen. Wenn man auf einem E-Mountainbike sitzt, hat das einen eigenen, ganz speziellen Reiz, vorausgesetzt, es sind nicht zu viele Mountainbike-Fahrer zur gleichen Zeit auf der gleichen Strecke unterwegs.
Davon sind wir im Montafon mit seinen 262 km Mountainbikestrecken zum Glück noch weit entfernt. Staus auf Mountainbikestrecken in den Alpen: ein abschreckender Gedanke.
Meine abschließende Empfehlung: ausprobieren! Ausprobieren, ob das Mountainbike, dass E-Mountainbike etwas für Sie ist, ob Sie ihm so viel abgewinnen können, dass Sie sich ein schickes E-Mountainbike an einer der Verleihstationen im Montafon für ein paar Tage leihen und an der einen oder anderen geführten Tour teilnehmen. Wem es gefällt, der wird das E-Mountainbiking in sein Bedürfnisrepertoire aufnehmen. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass es im Montafon nicht an Verleihstationen mangelt und dass auch hinreichend viele Tausch-und Ladestationen zur Verfügung stehen.
Oder wäre eine geführte Blumen- und Kräuterwanderung eher etwas für Sie? Ich habe an einer Kräuterwanderung mit Imelda Dönz, einer gelernten Wanderführerin, teilgenommen. Wie viele Pflanzenarten, Blumen kennen Sie? Wie viele können Sie, ohne zu zögern, bestimmen? Würden Sie auch manchmal gern wissen, wie eine bestimmte Blume heißt, ob das eine essbare Pflanze, gar Heilpflanze ist? Es sollte mal empirisch ermittelt werden, wie groß die diesbezüglichen Grundkenntnisse sind und wie groß der Wunsch, sich in der Pflanzenwelt besser auszukennen.
Bei Imelda Dönz war es so, dass sie sich im Gauertal, wo die Pflanzenwanderung stattfand, alle paar Meter bückte und hier ein Blümchen brach, dort ein Blatt zupfte, hier eine Heilpflanze entdeckte und uns daran riechen ließ und gleich danach die nächste pflanzliche Besonderheit hervorhob. Eine Pflanze entdecken, sie pflücken, herumzeigen, mit Begeisterung zeigen, riechen lassen und das unentwegt und mit einem Lächeln im Gesicht, das die Freude verdeutlicht, die Schönheiten der Heimat anderen zeigen und erklären zu können. Zu jedem Heilkraut gibt es ein kleines Geschichtchen, einen Hinweis, eine Empfehlung in überaus lebendigem Erzählton. Denn, wie sagt ein Montafoner Spröchli: »Jed’s Erläbnis word amol zuanero Geschicht«. Oder: »Z:t vergo:t, Geschichta bliben«.
Sie wollen Beispiel der Alpenflora? Na bitte: Der Spitzwegerich hilft bei Insektenstichen. Unmittelbar nach einem Mückenstich den Saft eines Blattes des Spitzwegerich darauf träufeln und verreiben! Schwups, der Juckreiz lässt nach. Oder ist er schon ganz verschwunden? Der Breitwegerich hilft bei Ohrenschmerzen; Augentrost, wie der Name vermuten lässt, bei Augenschmerzen. Augentrost wird als Tee aufgebrüht und dann werden mit einem Wattebausch vorsichtig die Augen betupft. Wilder Thymian hilft gegen Husten. (Ach, das wussten Sie? Egal!). Johanniskraut ist gut gegen Gelenkbeschwerden und bei psychischer Unpässlichkeit, Holundersaft hilft bei Fieber. Der Gute Heinrich kann als Spinat zubereitet werden.
Du liebe Güte, so ging das in einem fort weiter. Wenn man sich‘s nur alles merken könnte und dann auch im Fall der Fälle all die Alpenpflanzen zur Hand hätte. Imelda Dans zeigte uns noch Sauerampfer, Löwenzahn, Giersch und Quendel, ließ bei der Brotzeit an einem idyllischen Ort selbst zubereiteten Kräuteraufstrich, Holundersaft und einen selbstgebrannten Schnaps probieren und versicherte am Ende der mehrstündigen Wanderung, da war es früher Nachmittag, sie könne ohne Unterbrechung bis zum Abend weiter die Vielfalt der Alpenflora zeigen und dazu Geschichten erzählen.
Solche Angebote hätte es während der Schulzeit geben sollen, schoss es mir durch den Kopf, aber vielleicht hätte ich das als Kind damals gar nicht hinreichend würdigen können. Oder doch?
Zu Gast bei Ulrike Bitschnau (Vandans), der Geschäftsführerin des Vorarlberger Landestrachtenverbandes. Jede Region, jedes Tal im Vorarlberg verfügt über eine eigene Trachtenkultur, es gibt also durchaus Unterschiede zwischen den Trachten im Bregenzerwald, im Großwalsertal, Klostertal oder Montafon. Die gegenwärtig getragenen Trachten gibt es seit etwa einhundert Jahren.
Man muss die Montafoner Trachten gesehen haben, um eine gewisse Vorstellung zu haben, was sich hinter rätselhaft wirkenden Bezeichnungen wie Glöggli-Tschopa, Schlutta, Mäßli, Sanderhut oder Schäppel verbirgt. Ulrike Bitschnau spricht gern und völlig offen über ihre grundsätzliche Haltung zur Heimat. Sie bejaht den Montafoner Dialekt, die heimatliche Tracht, den Volkstanz, generell die Pflege der Tradition im Tal. Das versteht sie als Gegenbewegung zu den vorherrschenden Globalisierungstendenzen und befürchteten Entwicklungen in der EU, die regionale Spezifika zurückzudrängen drohen.
Das bedeute aber im Montafon keineswegs, betont sie, dass man sich nach außen abschließe oder gar unter sich bleiben wolle bei dem Bemühen, das regionale Brauchtum zu bewahren. Als bemerkenswertes Beispiel führt sie einen Iraner an, den es vor einigen Jahren ins Montafon verschlagen hat. Dieser Iraner ist mittlerweile Mitglied im Trachtenverein, trägt die Montafoner Tracht ganz selbstverständlich und selbstbewusst und erklärt diese Entscheidung folgendermaßen: »Hier wohne ich, hier lebe ich, hier bleibe ich.« Ein Beispiel für eine hohe Integrationsbereitschaft auf beiden Seiten.
Ulrike Bitschnaus Eltern hatten beide keinen Sinn für Trachten. Im Alter von fünfzehn Jahren hat sie selber ihre Leidenschaft dafür entdeckt und seit diesem Zeitpunkt im Trachtenverein aktiv und engagiert mitgewirkt. Mit ihr zusammen präsentieren sich zwei Frauen in der außerordentlich beeindruckenden Festtagstracht – zusätzlich gibt es noch eine Alltagstracht - des Montafon.
Ich versuche im Gespräch mit diesen Frauen deren Motive zu erfahren, die sie die erheblichen Kosten und den Aufwand an Mühe, die Trachten herzurichten und zu pflegen, und die erforderliche Zeit bereitwillig, ja gern akzeptieren lassen. Es ist das Gefühl des Stolzes, sich, die eigene Schönheit und die Schönheit der Tracht ohne jegliche Scheu vorführen zu wollen. Der neugierige, ausdauernde Blick des Betrachters, selbstverständlich auch des männlichen Betrachters, ist willkommen. Diese Frauen lassen sich – zumindest in ihrer Tracht - gerne ansehen, und so blicken sie auch.
Der ansonsten möglicherweise aufdringlich wirkende Blick ist ihnen gerade recht, denn sie wollen ja, dass sie - in dieser Tracht - in Ruhe betrachtet werden, am liebsten mit Wohlgefallen, ein Gefallen, den ich ihnen gern tue. Die interessierten Leserinnen und Leser können sich Beispiele der Montafoner Tracht und der Trachten anderer Täler im Vorarlberg auf der Homepage des Trachtenverbandes (Vorarlberg) ansehen.
Fotos:
Titel : Alpines Campen© montafon tourismus
Kräuterwanderung© montafon tourismus
Gauertaler Alptour© montafon tourismus
Info:
Die Reise wurde unterstützt durch Montafon Tourismus GMBH; http://www.trachtenverband.at/trachten/montafon/festtagstracht.html; https://www.loewen-hotel.com/