DSC03560 bereinigtDer ‚Frankfurter Radentscheid hat seinen Entwurf ‚Frankfurt auf neuen Wegen‘ vorgestellt

Heinz Markert
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Frankfurt ist ein Moloch des motorisierten Individualverkehrs, weil die Verkehrspolitik ihres Parlaments von einem autofixierten Männlichkeitswahn eingenommen ist (dominiert von CDU und FDP), der Tag für Tag akustisch mit Röhren zu vernehmen ist, besonders an Ausfallstraßen oder wenn dem Fahrer in Nebenstraßen die Gäule durchgehen.
Skurrile Gestalten spicken die liberal-konservative Mehrheit in Sachen Verkehr, die sich ideologisch noch an die Vor-68-er Zeit zurückbindet und nicht bereit ist, irgendetwas dazuzulernen. Ein Problem ist auch – so wurde am Abend der Vorstellung festgestellt -, dass immer wieder Neulinge die Politik bestimmen, die noch nicht aus ihrer Sozialisation herausgewachsen sind und erhebliche Defizite auf Kosten der Allgemeinheit austragen. Das gilt übrigens für jegliche Ebenen der Politik.
 
Wir leben heute noch immer zu 99 Prozent so, wie Achtundsechzig schon vor 50 Jahren nicht mehr leben wollte. Fuzzy auf zwei oder vier Rädern ist der Dauerheld des Jahres im privaten Verkehr der Straße.
 

Der Radentscheid, der für seinen Entwurf einer vom Auto demilitarisierten Stadt einen überzeugenden Plan für den umfangreichen Aufbau einer Radinfrastruktur vorgelegt hat, der von der Wissenschaft für seine professionelle Ausführung gelobt wurde, stellte diesen im Studierendenhaus an der Mertonstraße vor. Insgesamt geht es um 500 km Straße mangelhafte Infrastruktur für Radfahrer- und Fußgänger*innen, auf denen ein geschlossenes Radwegenetz und eine bessere Laufwegeinfrastruktur von erster Güte angelegt werden muss. Wegen sehr großer Lücken sollen pro Jahr 15 km für einen demilitarisierten Verkehr - unsere Ausdrucksweise - gewonnen werden. Denn das Auto ist ein Kampfinstrument, was sich Tag für Tag nicht nur mit den SUVs offenbart. IHK und HWK, die eingeladen waren, glänzten zum Abend der Vorstellung des Plans durch Abwesenheit.

Letzten Sommer war Frankfurt am Main die wärmste Großstadt. Luftschadstoffe und Dieselabgase sind im Dauergespräch. An die Skeptiker und Verleugner gerichtet: Diesel kann man riechen, es riecht scharf. Ein wesentlicher Punkt wurde zuletzt, dass 2018 ein Negativrekord an toten Radfahrer*innen zu beklagen war, der hätte vermieden werden können. Der motorisierte Verkehr auf der Straße läuft aus dem Ruder. Mit wesentlich besserer Infrastruktur wären die Tragödien zu vermeiden gewesen. Gezeigt wurde einleitend das schmale Stück Straße am Dornbusch, das den nicht hochgerüsteten Verkehrsteilnehmer*innen nicht gerecht wird. An der im tödlichen Sinn betroffenen Kurt-Schumacher-Straße wurde nach dem Unfall gebessert.


Eine Neuausrichtung des Verkehrs wäre erhebend

Diese muss sich am kritischen Punkt ‚Dooring-Room‘ ausrichten. 4,5 Meter kommen dem Auto zu, 1,5 benötigt der Fahrradstreifen. Zwischen Auto und Fahrrad muss es eine Sicherheitszone geben, die in Funktion tritt, wenn der Autolenker doch unbeabsichtigt die Tür aufstoßen sollte, ohne auf das Fahrradgeschehen geachtet zu haben. In der oberen Eschersheimer Landstraße wurde dies beim neuerlichen Umbau umgesetzt und ein Dooring-Room implementiert. Diese auf die seitlich gelegenen Parkplätze bezogene Norm muss auf ganz Frankfurt ausgedehnt werden, auch auf Kosten des motorisierten Verkehrs auf vier Rädern.


Wolfgang Dunkelau vom BDA, der Kopenhagen zu Recht als leuchtendes Beispiel für einen entmilitarisierten Verkehr anführte – er war dabei als die Frankfurter Politik dort eine Visite abstattete und förmlich in den Bann geschlagen wurde - sprach an, dass der Deutsche sich stark am Auto orientiere; dieses stehe geradezu im Mittelpunkt seiner Existenz. In der 50ern und 60ern wurde immer nur dem Verkehr nachgebaut, womit er erst richtig in Fahrt kam. Letzteres bestreiten die Autoideologen noch immer, weisen es weit von sich. Für das, was Kopenhagen vorbildlich macht, bräuchten wir noch Jahre, so lautet sein trauriger Befund. Junge Leute neigen gegenwärtig dazu, dem Auto keinen hohen Rang einzuräumen.

15 - 45 Kilometer für die ersten drei Jahre


Der Radentscheid hat eine Dreijahresforderung für 15 -45 Kilometer eines auf den besten Stand gebrachten Radwegenetzes präsentiert. Diese betrifft vornehmlich die Friedberger und die Hanauer Landstraße. Die Forderung für 1-3 Jahre lautet: auf dem Weg für ein geschlossenes Netz, das bislang vielfach unterbrochen ist, ein in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung inklusive Nebenstraßen geschlossenes Netz an Friedberger und Hanauer voranbringen, was auch die Mörfelder Landstraße südlich des Mains betreffen müsste, denn auch sie hat einen schlimmen schmalen Abschnitt. Sollte der Radentscheid mit den 40 000 gesammelten Unterschriften für eine kommunal abgesicherte Umsteuerung in der Frankfurter Verkehrsinfrastruktur durchkommen, dann wäre damit eine erste, wegweisende Phase des Umbaus gesichert. Die Politik ist noch am Lavieren.

DSC03557 bereinigtEine vorgestellte Benotungsstruktur fundiert auf einer nach gelb, grün und rot unterschiedenen Bestandsaufnahme. Ältere Radwege, teils auf der Fahrbahn verlaufend, sind als gelbe Linien dargestellt; Parkanlagen und Feldwege, auch Inseln wie nördlicher und südlicher Mainfahrweg als grüne Linien; zu schmale, nah an Parkplätzen und knapp neben der Fahrbahn für Autos verlaufende Radwege sowie unzusammenhängende wie auch fehlende als rot. Werden Grün und Gelb zusammengefasst und grau dargestellt, so ergibt sich ein mittelmäßiger bis halbwegs guter Zustand, der aber in der Praxis sehr eingeschränkt bleibt. Wird Rot wieder hinzugefügt, kommt eine große Menge  hinzu, dann zeigt sich:

 "Das erst ist Netz“.

Die Eine-Spur-Reduzierung für Autos macht Frankfurt neu

Und sie würde es eleganter machen, wie filmische Vergleiche mit den 10er und 20er Jahren der Frankfurter Vergangenheit bezeugen, als noch nicht so viel Auto war. Die Stadt würde auch entspannter und lebenswerter mit Tempo 30! Gezeigt wurden für Phase 1 und 2 die Möglichkeiten anhand von Friedberger und Hanauer Landstraße.

An der mittleren unteren Friedberger Landstraße gibt es für Fußgänger*innen gar keine Wechselmöglichkeit. Ein Gebietswechsel ohne Gefahr ist ausgeschlossen. Auch gibt es hier keine sichere Fahrradspur. Der Entwurf für eine geänderte Struktur überzeugte das anwesende Fachpublikum. So manches Ah waren zu vernehmen. Er weist - so weit dies möglich ist - in beide Richtungen einen Fahrradweg und einen verbreiterten Fußgänger*innen-Weg mit schattenspendenden Bäumen als Ideallösung aus. Der motorisierte Weg hat in beiden Richtungen eine Autospur weniger. Es sind auch keine quer zur Straße parkenden Autos mehr zu sehen. Die Abbildung (wie on top) vermittelt einen Eindruck von gestiegener Aufenthaltsqualität und Möglichkeiten des entspannten Flanierens, was auch dem Einzelhandel und den Handwerksbetrieben guttäte.

Für die westliche Hanauer Landstraße wurde erkannt: Mit bis zu 1056 Fahrzeugen in der Spitzenstunde wäre eine Fahrspur eine angemessene Grundeinheit, ab 2600 braucht es 2 Spuren in jede Richtung, um Staus zu vermeiden. Der nicht auf ein kleines Maß beschränkte Fahrradweg wäre auch für die angesagten Lastfahrräder attraktiv, zunächst für die kürzeren Strecken, aber auch für die weit im Osten gelegene ‚verlängerte‘ „Hanauer“ oder die 'Mainzer'. Die Fahrradspuren müssen durchgehend erkennbar markiert sein. Das Autobahnprivileg muss auf die nicht motorisierten Verkehrsmittel ausgedehnt werden.

Tödlichkeit scheint für weite Teile der Politik wenig problematisch zu sein

Eine schreckliche Sonderrolle nehmen die Kreuzungen ein: an diesen haben sich in Frankfurt tödlich verlaufene Unfälle vermehrt. Eine neue Häufigkeit ist an dieser Art Schwerpunkt zu verzeichnen. 2018 gab es einen Negativrekord. In Marburg wurden gut erkennbare Fahrradbahnen farblich abgesetzt durch die Stadt gelegt. Hier kann mit dem Fahrrad sehr schnell in nahezu einem Rutsch durchgefahren werden, was auch mit intelligenter Ampelschaltung zu tun hat.

WI Allee Mann quer opt 2018Zum dritten wurde die Vision ‘Alleenpark‘ vorgestellt. Dieser ist als äußeres Pendant zum innergelegenen Anlagenring zu begreifen. Er liegt schon mehr im Randbereich der Frankfurter City. Der Frankfurter Alleenring war zu Entstehungszeiten auch zur Erholung angelegt. Er bedingt einen Vergleich mit dem zirkelförmigen Grünzug Wiesbadens (siehe Foto rechts), der auch für eine Erholung und Wanderung brachliegt. Der Alleenring ist stark umtost vom motorisierten Verkehr aller Art, er deckt in der gesamten Länge 20 ha ab. Er hat Potential, das aber kaum genutzt wird, da die Abschnitte für Fußläufige nicht durch Ampelschaltungen zum Überqueren verbunden sind. Er ist bislang nur ein herabgestuftes Anhängsel des Verkehrsraums. An ihm sind 3 Unis gelegen. Der Radentscheid hält auf seiner Site einen anschaulichen Vorgriff auf die Möglichkeiten des Grünzugs bereit. Auch der Alleenring soll eine Autospur weniger haben.

Abbildungen: Radentscheid

Foto © Heinz Markert (Grünzug Wiesbaden)