20240504 095344Auf den Spuren ihres desertierten Großvaters von Dresden nach Schlüchtern (3)


Barbara Werner /Hanswerner Kruse

Kardan/Tschechien (Weltexpresso) - Seit fünf Tagen ist die Pilgerin Barbara Werner nun auf den Spuren ihres Großvaters, der in Dresden als Polizist für die Wehrmacht arbeitete und Anfang Mai 1945 desertierte.


Von dort aus kam er auf verschlungenen Wegen in 19 Tagen nach Schlüchtern-Hohenzell. Seine Enkelin folgt - aus gesundheitlichen Gründen - seiner Wegstrecke mit dem Fahrrad (wir berichteten).

Wir veröffentlichen Auszüge aus ihrem Tagebuch: 

3. Mai: In Tschechien

Als ich heute morgen meine nächste Tagesetappe in Tschechien von Most (Brüx) nach Kadan (Kaaden) in Angriff genommen habe, kamen mir verschiedene Fragen in den Sinn: wie hatte mein Großvater es geschafft, solche Distanzen zu bewältigen? Er hatte in seinen schriftlichen Aufzeichnungen und mündlichen Erzählungen an ungefähr drei Stellen erwähnt, dass er von Fahrzeugen mitgenommen wurde. 
Aber wie war er an den anderen Tagen und Nächten weitergekommen? Von Altenberg über das Erzgebirge war damals viel Wald, da konnte oder musste er sich zwischendurch sicher verstecken. Aber die Strecke heute, da gibt es nicht viel, nur offenes Land. 

Und wie kam er an etwas zu essen? Er hatte ja seine Uniform noch an, war damit als Soldat erkennbar. Und der Krieg war noch nicht zu Ende. Ich denke, er hatte einfach Glück, dass er die richtigen Leute um Hilfe gebeten hatte.

So wie ich auch unterwegs freundliche Menschen treffe, die mir Auskunft geben, oder ein nettes Gespräch im Geschäft beim Einkaufen. Vom Hass, den die Tschechen damals auf die Deutschen hatten, davon ist heute nichts mehr zu spüren. Es sind wohl neue Generationen nachgekommen, die davon frei sind. Und das ist gut so.

20240503 140955Mein Ziel Kadan habe ich nachmittags erreicht und freundliche Aufnahme in einer Pension gefunden. Und jetzt ist ausruhen angesagt.

4. Mai: Wie ging es meinem Großvater?

Das Foto links zeigt Kadan, die Brücke führt über die Eger, sicher ist mein Opa auch hier über den Fluss gekommen.
Ich starte morgens in Kadan und meine Gedanken sind bei meinem Großvater. Dort hatte er damals in einer Scheune bei einem Bauern Unterschlupf gefunden und musste schnell weiter, da ihn die russische Front überholt hatte.

In der Nacht los und hoch in das Erzgebirge, das stelle ich mir sehr schwierig vor. Aber er hatte es mit viel Geschick und sicher einer Portion Glück dabei geschafft.

Er war bestimmt in Gedanken bei seinem Sohn (meinen Vater), der an diesem Tag elf Jahre alt wurde, das hat ihm sicher die nötige Kraft und Ausdauer gegeben. Und doch war da die Ungewissheit, wie sah es zu dem Zeitpunkt in Schlüchtern-Hohenzell aus? Er schrieb in seinem letzten Brief von Dresden aus:" Ich habe gehört, dass die Amerikaner durchs Kinzigtal ziehen, die Stadt Gelnhausen wurde genannt, nicht aber Schlüchtern. Wie wird es bei euch sein, ich weiß, wo Soldaten durchziehen, da bleibt nicht viel."

Als ich den Höhenzug bei Oberwiesenthal erreiche und es endlich wieder bergab geht, bin ich froh und erleichtert, diesen schwierigen Abschnitt geschafft zu haben. In Rittersgrün finde ich Quartier und mein Fahrrad übernachtet in bester Gesellschaft. 

5. Mai: Verwirrende Wege

Die Ortsangaben von meinem Opa zur heutigen Strecke waren etwas verwirrend. Ich bin sie aber trotzdem so gefahren wie er angegeben hat. Von Rittersgrün über Arnoldshammer, Langenberg, Schwarzbach bis Schlettau. Und von dort ging es wieder zurück nach Schwarzbach, Langenberg und schließlich nach Schwarzenberg. Hier habe ich mich im Neustädter Hof einquartiert. Und ein informatives Gespräch mit dem Mitarbeiter an der Rezeption geführt.

Dieser Richtungswechsel in seiner Wanderung kam anscheinend daher, weil die Amerikaner inzwischen so weit vorgestoßen waren, dass er ausweichen musste. Da die Amerikaner und die Russen sich aber vorher schon darauf geeinigt hatten, dass Sachsen unter russische Besatzung kommen sollte, zogen sich die Amerikaner wieder zurück. Und so war dieses Gebiet eine Zeitlang besatzungsfrei. Eine interessante Geschichte.

Der Mitarbeiter nannte mir auch eine Buchempfehlung zu diesem Thema. Da werde ich dranbleiben.

Fortsetzung folgt

Fotos:
© Barbara Werner