Bildschirmfoto 2025 05 04 um 06.26.58Geschichte und Kultur Böhmens mit dem Fahrrad entdecken

Harald Lutz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir treffen Andrew, unseren noch fehlenden Mit­radler, gegen 13 Uhr auf dem schönen mittelalterlichen Marktplatz in Cheb – dem ehe­maligen Eger. Nachdem wir einige Euros in Kronen getauscht haben, fällt der Be­schluss, nicht allzu lange in der an sich recht hübschen Stadt in Grenznähe zu ver­weilen, sondern gleich noch ein „paar Kilometer“ zu fahren. Zu viert machen wir uns in guter Urlaubs­stimmung auf den Weg, entlang der Flüsse Eger und Elbe per Pedale die tsche­chischen Regionen Karlowarský kraj (Karlsbad) und Ústecký kraj (Aussig) und weiter das Elbtal bis nach Dresden in Sachsen zu er­kunden. Etwa 400 Kilometer auf dieser im Winter selbst aus­getüftelten Route liegen vor uns.

 

Schon bald ereilt uns der erste Schock: Ent­lang einer Schnellstraße mit Autobahn­zubringer, der stark an das Frank­furter Kreuz erinnert, suchen wir den im Reiseführer ver­zeichneten Fahr­radweg­ in Richtung Františkovy Lázně (Franzensbad) – der nach Karlsbad und Marien­bad kleinsten der drei berühmten west­böhmischen Kurstädte. Wo einst zu k. u. k. Zeiten Per­sön­lichkeiten wie J.W. v. Goethe ihre Krankheiten auskurierten und mit jungen Frauen an­bandelten, erstrahlen die meisten Kuranlagen und Parks in der Tschechischen Republik heute wieder in altem Glanz. Vor allem in den Seiten­straßen aber, hat so manche ehemalige Resi­denz noch nicht den maroden Charme des real existierenden Sozialismus abgestreift. An unse­rem ersten Radlernach­mittag schaffen wir noch rund 40 Kilometer bis Sokolov (Falkenau). Von ein­setzendem Regen bedroht, übernachten wir etwas über­teuert im „Park­hotel“ alle preis­werten Hotels und Pensionen vor Ort sind bereits aus­gebucht.

 

Reifenwechsel in Karlsbad

 

In der Nacht und bis weit in den Morgen hinein schüttet es wie aus Kübeln. Beim Früh­stück kommt unweigerlich die Dis­kussionen auf, ob wir heute überhaupt weiter fahren sollen. „Wä­re es nicht besser, in ein Museum zu gehen?“, fragt sich nicht nur Aviva – unsere einzige Frau im Team. Schließlich klart es ein wenig auf und wir radeln bei leichtem Niesel­regen los, der allerdings schon bald zu­nehmend heftiger wird. Auf Fahr­radwegen entlang der Eger er­reichen wir zur Mittagszeit Karlovy Vary, das altehr­würdige Karlsbad. Vordring­licher als ein heißes Thermalbad be­nötigen wir in der 60.000 Einwohner zählenden Kurstadt einen Fahr­radladen. Aviva hat sich unter­wegs am Vorderrad einen bösen Platten ein­gefangen, der auch den Fahr­rad­mantel schwer in Mitleiden­schaft ­zog. „Damit wirst Du die Tour wohl nicht zu Ende fah­ren können“, lautet die Diagnose von Thomas – dem Sprachentalent und Ingenieur in der Gruppe. Alles nur halb so schlimm: Wir finden in Karlsbad ein mit allen Finessen aus­gestattetes Fahrrad­geschäft. Der freund­liche Inhaber hilft sofort - ein vortreff­licher Service, von dem sich so manche heimische Werkstätte eine Scheibe ab­schneiden könnte.

 

 

Giftige Anstiege

 

Grüne Laub­bäume und bereits gemähte Weizen­felder sind unsere stetigen Begleiter. Wir fah­ren überwiegend auf Fahrrad­wegen, manchmal auch auf wenig be­fahrenen Land­straßen in relativer Flussnähe. Das ständige Auf- und Ab der vielen Hügel mit teilweise sehr giftigen, kurzen An­stiegen, er­innert uns allerdings mehr an eine Odenwald- oder Vogelsberg-Rad­tour als an eine Flussstrecke. Für diesmal be­schließen wir, die Fahrräder bereits gegen 16 Uhr in die Ecke zu stellen. Zu ver­lockend: Im Dörf­chen Vojkovice haben wir eine wunder­schöne und auch preis­werte Privat­pension für die Nacht gefunden.

 

Königsetappe nach Laun

 

Vor dem Start beseitigen wir zunächst wieder die Spuren von Schlamm und Matsch an den Rädern. Das Wetter verspricht aufzu­lockern. Wir überholen einige Kanuten, die sich auf der Eger tummeln. Schon bald zeigt sich, dass wir auf den holperigen Fluss­rad­wegen nur sehr müh­sam vorwärts kommen. Wir unternehmen keine Tour mit offenem Ende, sondern haben mehr­heitlich für die Rück­reise einen Platz im IC-Nachtzug mit Fahr­radmit­nahme ab Dresden fest ge­bucht. Deshalb müssen wir auch die dafür nötigen Kilometer pro Tag machen. Die Lö­sung dieses Di­lemmas lautet: Wir wechseln auf größere Land­straßen. Das bringt zwar einen ge­steigerten Autoverkehr mit sich, aber wir schaffen gute 80 Kilometer und liegen damit voll in der Zeitplanung. In unserem heutigen Etappenziel Louny (Laun) an­gekommen, sind wir völlig am Ende. „Die vielen Hügel und das gute tschechische Bier fordern halt ihren Tribut“, frotzelt Andrew. Wie jeden Abend in Tschechien, entlohnt schon bald die famose böhmische Küche für die selbst auf­erlegte Mühsal des Tages.

 

Wohlverdienter Ruhetag

 

Endlich bricht der schon lange vom Wetter­bericht versprochene Hochsommer über uns he­rein. Auch die Strecke in Richtung Elbe wird zu­nehmend flacher. Landschaftlich be­eindruckt uns am Horizont eine Hügel-Formation vulkanischem Ursprungs. Hopfen­anbau, Mais- und Rapsfelder säumen die Landstraßen. In Litoměřice (Leitmeritz), wo die Eger in die Elbe mün­det, beschließen wir, einen Ruhe­tag einzulegen. Allgemeiner Tenor ist: „Wir liegen nach der Königsetappe gut in der Zeit und können uns daher mehr Muße für die bis­lang etwas zu kurz gekommenen Be­sichtigungen nehmen.“ Nur acht Kilometer vor den Stadttoren liegt Terezín; in Deutschland besser als Theresien­stadt bekannt. Die alte öster­reichisch-ungarische Fes­tungs­stadt er­langte während der Naziherrschaft als be­rüchtigtes Gestapo-Ge­fängnis und Kon­zentrationslager für Juden traurige Be­rühmtheit. Hinweis: Siehe auch die weiterführenden Links am Ende des Artikels.

 

Graffiti auf dem Elbe-Radweg

 

Der Ruhetag hat allen gut getan. An einem heißen Sonntag machen wir uns entlang des Elbe-Radweges, über Ústí (Aussig) und Děčín (Tetschen) auf in Richtung Dresden. Noch in Tsche­chien direkt an der Elbe liegt Burg Schreckenstein. Ein langer Aufstieg führt zu der auf einem gespaltenen Felsen gelegenen mittelalterlichen Feste, wo sich laut Legende sowohl Karl May als auch Richard Wagner Anregungen für Ihr Werk geholt haben sollen. Diese Informationen filtert Thomas in einer leider nur in Tschechisch angebotenen Burg­führung heraus. Ansonsten kommen wir mit Deutsch und Englisch immer gut zurecht. Wir anderen genießen den fantas­tischen Ausblick über die böhmische Elblandschaft oder kümmern uns um die Funktionsfä­higkeit der Fahrräder. Andrew: „Nach den vielen Ab­fahrten kann es nicht schaden, die Brem­sen nachzustellen.“

 

Auf der jetzt überwiegend flachen Strecke entlang der Elbe kommen wir gut voran. Kurz vor der tschechisch-deutschen Grenze erwartet uns Radler noch eine kleine Überraschung: Ein gymnasiales Kunstprojekt „Elbe – Labe“ hat den Asphalt über mehrere Kilo­meter mit völker­verständigenden Graffiti verziert. Die letzte Übernachtung auf dieser Tour finden wir in Birk­witz, einem der kleinen Elbedörfer vor den Toren Dresdens. Im nahegelegenen Bade­see kommt an diesem wunderschönen Sommertag endlich auch die mitgebrachte Bade­hose noch zu ihrem Einsatz.

 

Wir haben es geschafft. Noch ein kurzer Zwischenstopp im Schlosspark Pillnitz, und wir radeln noch früh am Tag nach Dresden hinein. Es bleibt noch genügend Zeit für einen aus­führlichen Stadtbummel in der gegen Ende des Zweiten Welt­krieges von alliierten Bombern fast völlig zer­störten ehe­maligen Barockstatt. Es beein­drucken vor allem die erst vor kurzem wieder aufgebaute Frauen­kirche und das Grüne Ge­wölbe mit seinen Kunstschätzen. Mit mü­den Beinen, aber um manches schöne Erleb­nis reicher, be­steigen wir nach acht ereignisrei­chen Tagen auf Tour zusammen mit unseren Rädern pünktlich den IC-Nachtzug in Richtung Frankfurt am Main.

 

 

Fotos:
©
Thomas Mechau, Andrew Williams und Harald Lutz

 

 

Links zum Thema:

https://www.weltexpresso.de/index.php/unterwegs/4164-erinnerung-an-das-unrecht-wach-halten

https://www.pamatnik-terezin.cz/
https://www.weltexpresso.de/index.php/unterwegs/3977-die-tschechische-version

Autoreninfo: Harald Lutz lebt und arbeitet als Fachjournalist und Technikredakteur in Frank­furt am Main.