Unterwegs auf dem „Vogtlandpanoramaweg“, Teil 2/6

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Wandern, einfach wandern, ohne Autos sehen und hören zu müssen? Ich höre meine Schritte, das raschelnde Laub, das Knacken eines Zweiges, auf den ich zufällig oder absichtlich trete. Höre den eigenen Schritt, wenn der Waldboden mit Fichten- und Tannennadeln übersät ist. Das Rauschen des Windes in den vielfältigsten Facetten. Immer wieder erstaunlich das Vogelgezwitscher.

 

Schade, dass ich mich nicht besser auskenne. Das müsste in der Schule den Kindern beigebracht werden: den Gesang der Vögel zu unterscheiden.

Der Wald lebt, und dieses Leben ist zu hören, zu sehen sowieso, auch zu spüren.

Zum Beispiel die Beschaffenheit des Bodens. Federnd weicher Waldboden mit den unterschiedlichsten Nadelteppichbelägen, gemustert mit Wurzelallerlei.

 

Schotterpfade sind eher unangenehm. Lästig, wenn mal wieder eine Schotterstrecke hingenommen werden muss. Immerhin besser als Asphalt, auf den man leider immer mehr stößt. Weiß der Teufel, ob diese Asphaltpassagen nicht vermieden werden könnten. Die Füße beschweren sich sofort, auf Schotter nicht ganz so lautstark wie auf Asphalt, aber kommentarlos nehmen sie beide Beläge nicht hin. Die Augen schließen sich dem Geschimpfe der Füße an, fluchen auch mal, wenn die harte Wegstrecke zu lang dauert. Bloß nicht nach unten gucken, oder wenn, dann voller Verachtung. Weiter, schnell weiter. Wo ist denn der nächste Weg mit Waldboden?

 

Besonders schön: Wiesenpfade! Zwar werden auf denen schnell mal die Schuhe nass, vom Morgentau oder den Überbleibseln des letzten Regens. Doch darüber habe ich meine Schuhe noch selten meckern hören. In der Regel rufen sie: „Macht doch nix, macht gar nix“.

 

Ein bissel Nässe ist auch den Füßen allemal lieber als die erbarmungslose Härte des Asphalts. Bissel unangenehm können Wiesenwege bei Dauerregen sein, wenn die Schuhe nach einer Weile völlig durchnässt sind. Der beste Imprägnierschutz hilft dann nicht mehr. Oder habe ich zu wenig draufgesprayt? Egal. Wichtig auf alle Fälle Zeitungspapier. Nach Ankunft im Quartier die Schuhe schleunigst ausstopfen, abends das Papier erneuern, damit die Schuhe morgens möglichst trocken sind.

 

In meinem Wanderführer finden sich zu jeder Etappe Angaben, wie viel Prozent der Strecke Hartbelag und wie viel „Spazierwege“ oder „Wanderpfade“ sein werden. Den Unterschied bekäme ich gern erklärt. Etappe vier des VPW umfasst 19 km. Start ist an der Eisenbahnbrücke in Weischlitz, Ziel der Marktplatz von Oelsnitz.

 

Aufstieg 420 m, Abstieg 380 m, Gehzeit 4 ½ bis 5 ½ Stunden. Und: Hartbelag 19 %, wozu vermutlich Schotterwege und Asphaltpassagen zählen. Ein Fünftel der Tagesstrecke. Ein bisschen viel! „Wanderpfade“: 0 %. Da erschrecke ich unwillkürlich, werde aber beruhigt, weil 81 % der Tagestour „Spazierwege“ sein sollen. „Spazierweg“ erscheint mir für eine Fernwanderung eine alberne Bezeichnung. Komme mir in den 14 Tagen nie wie ein Spaziergänger vor. Wirklich nicht! Wollen die einen veräppeln? Was’n Gedanke!

 

Apropos Gedanken: Die Natur wirkt immer ansehnlich, solange man richtig hinsieht. Unpassend ist höchstens das, was die Menschen aus ihr machen oder ihr hinzufügen, wenn sie mit einer unaufhörlich anwachsenden Zahl von Wegen, einschüchternden Zäunen, besserwisserischen Schildern, mahnenden Tafeln reinpfuschen.

 

Begegnungen mit der Hässlichkeit der Moderne.

Ästhetisch ansprechend dagegen einige alte Fachwerkhäuser, gewiss auch die imponierende Göltzschtalbrücke, die älteste Ziegelsteinbrücke der Welt. Die Autobahnbrücke Pirk wirkt als Kontrast zur Ziegelsteinbrücke wie eigentlich die meisten Autobahnbrücken hässlich, weil sie den Blick auf die Landschaft irritiert, von dem störenden Krawall der Motoren ganz zu schweigen.

 

Die Großsprungschanze in Klingenthal? Schön? Vielleicht im Winter, für Skisportbegeisterte, und vor allem dann, wenn Skispringer gekonnt hinunter segeln. Hässlich dagegen viele Bahnhöfe auf der Strecke der Vogtlandbahn.

 

Kennen Sie die Bahnhöfe von Oelsnitz, Weischlitz, Bad Elster? Oh je! Das mögen mal ansehnliche Gebäude gewesen sein. Jetzt werden sie nicht mehr gebraucht. Es gibt ja Fahrkartenautomaten, und die können direkt an den Gleisen stehen. Die Bahnhöfe haben keinen Tauschwert, keinen Gebrauchswert. Also verwahrlosen sie. Welch Kontrast zu den Zügen der Vogtlandbahn. Picobello sauber, keine Graffiti, keine Schmierereien am Fenster, auf den Sitzen. Das Gegenbild: Versiffte Bahnhofsgebäude, die jedem Zugfahrenden die Zornesröte ins Gesicht treiben müssten und dem Management der Bahn die Schamröte. Es sollte ein Preisausschreiben ausgelobt werden: Wo steht der verwahrloseste Bahnhof im Lande?

 

 Altes Gut in Weischlitz] Die Unterführung beim Bahnhof von Oelsnitz schießt den Vogel ab. Diese Unterführung gehört für mich zum Bahnhof dazu. Medaillenverdächtig verkommen, verdreckt, versaut. Dieser Steigerungsversuch musste sein. Was für ein deprimierendes Beispiel öffentlicher Armut! Auf der Rückfahrt am Ende der Vogtlandwanderung komme ich im Zugabteil mit zwei Reisenden ins Gespräch. Tags zuvor hatten die Lokfahrer gestreikt, immer noch hatten etliche Züge Verspätung. So’n unvorhergesehenes Ereignis erhöht die Gesprächsbereitschaft. Warten müssen, zu spät kommen sind Themen, die die Leute aus der Reserve locken.

 

Klar, die Lokführer wollen mehr verdienen. Andere wollen auch mehr verdienen. Eine Frau, die wegen des Streiks einen Termin in der nächsten Stadt verpasst hat, klagt, sie habe keine Chance, mehr zu verdienen, wiewohl sie doch solch eine schwere Arbeit hätte. Der Arbeit gehe sie nach, weil sie nicht in Hartz IV rutschen wolle. Ihr Bruder arbeite in der Schweiz, 6 Tage in der Woche, wohne auf der deutschen Seite, weil es da billiger sei. Teile sich mit einem Arbeitkollegen ein Zimmer. In der näheren Umgebung bekomme er, Handwerker ist er, keine Stelle. Nur am Wochenende komme der nach Hause.

 

Ihr gegenüber sitzt eine junge Frau, deren Vater ebenfalls in der Schweiz arbeitet. Auch er wegen des Verdienstes. Auf dem Bau arbeitet er. Vor Rodewisch war ich mit einer Frau ins Gespräch gekommen, deren Mann die Woche über in Berlin auf Montage ist. Nur am Wochenende ist die Familie vollständig.

 

Der Freistaat Sachsen verzichtet seit einiger Zeit auf jegliche Neuverschuldung.

Die Schuldenbremse zeigt Wirkung. Super, denke ich. Die sächsischen Handwerker arbeiten in der Schweiz, um das Schweizer Paradiesgärtlein zu vervollkommnen, oder in Hamburg, Berlin oder wer weiß wo sonst noch, und die ins Auge springende Notwendigkeit der Reparatur, Renovierung, Sanierung von öffentlichen Gebäuden wird ignoriert. Notwendige Investitionen in die Infrastruktur werden aufgeschoben.

In dem Dreck haben wir schon eine Weile gelebt, da kommt es auf ein paar Monate, Jahre mehr oder weniger nicht an, scheint die Devise zu sein.

 

Wie bekäme man das hin, dass die Eigentümer von Gebäuden, Fabriken, Garagen, Ruinen, Wohnhäusern für deren Erhalt in der Weise zuständig sind, dass ästhetische Mindeststandards eingehalten werden müssen? Wer nicht renoviert, restauriert, saniert, für ein annehmbares pflegliches Äußere sorgt, wird enteignet, denn Eigentum verpflichtet, wie es im Grundgesetz heißt. Und der Staat hat mit den Immobilien in seinem Besitz gefälligst Vorbild zu sein, sonst wird sein Eigentum vergemeinschaftet, das heißt, dass es die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu einem Vorzugspreis erwerben können.

 

Die Unterführung gehört dann den Anwohnern, die für die Sanierung zuständig sind und dafür Werbeflächen in der Unterführung vermieten können und oder … Es wird schon noch andere Ideen geben, wie die Leute auf ihre Kosten kommen. Dann hätten wir Beispiele für Investitionen. Und Handwerker wären nicht mehr dazu verurteilt, als Wanderarbeiter herumzuziehen.

Will es an der Stelle bei diesem einen Zornesausbruch belassen, denn auf dem VPW überwiegt das Positive, und das soll unbedingt zu Wort kommen.

 

Fotos:

Titel: Rathaus in Oelsnitz, © augustustours

dann: Altes Gut in Weischlitz, © augustustours

 

INFO:

AugustusTours organisiert seit 1998 individuelle Aktivreisen mit Gepäcktransport entlang der schönsten Rad- und Wanderwege Deutschlands. Neben der genauer Planung der Reiseroute kümmert sich der Reiseveranstalter um die Buchung rad- und wanderfreundlicher Unterkünfte und übernimmt zudem den Transport des Reisegepäcks von Unterkunft zu Unterkunft. Auch Tourenräder oder E-Bikes können von AugustusTours für Radreisen zur Verfügung gestellt werden. Mit über 7700 eigenen Radkilometern und mehr als 400 Wanderkilometern in den Beinen ist das Team von AugustusTours aktiv reisen ein kompetenter Ansprechpartner für Rad- und Wanderreisen in Deutschland.

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