Unterwegs auf dem „Vogtlandpanoramaweg“, Teil 4/6

 

Thomas Adamczak

 

Wiesbaden (Weltexpresso) Im Hotel in Bad Brambach fällt mir eine ältere Frau auf, die allein an ihrem Tisch sitzt. An den anderen Tischen sitzen Paare mit den typischen Gesprächsthemen von Leuten im Urlaub, die letztlich darauf warten, dass endlich was passiert, was zuhause berichtet werden kann. Aber es passiert halt wenig, wenn der eine fragt, wie es dem Gegenüber schmecke. „Ja, gut, und dir?“

 

Die Leute gucken herum und sind froh, wenn sich ein anderes Paar an den Tisch setzt. „Und Sie, was haben Sie denn heute unternommen?“ „Ach, schön, da waren wir gestern. Heute sind wir …..“

 

Anders die allein sitzende Frau. Sie redet nicht. Mit wem auch? An den Tisch einer allein sitzenden Frau setzt sich nicht so leicht jemand. Ihre Augen sind in Bewegung. Aufmerksame Augen.

 

Als sie mit dem Essen fertig ist, bleibt sie noch ein Weilchen sitzen und geht dann an meinem Tisch vorbei. Blickwechsel. Am nächsten Morgen, ich habe den Rucksack vor dem Hotel schon auf dem Rücken, steht sie auf dem Balkon ihres Zimmers und fragt nach meiner heutigen Wandertour. Ich merke, dass sie eigentlich von sich erzählen möchte.

 

Ihr Mann ist vor 6 Jahren gestorben, mit 96 Jahren. Anerkennendes Nicken von mir, als ob dieses Alter ein Verdienst sei. Bis 92 sei er mit dem Auto gefahren. Unfallfrei bis zum Schluss. Erst die letzte Zeit habe sie ihn gepflegt. Sie komme mit ihrem Kram klar, sei halt etwas langsamer in allem geworden. Der Rhythmus müsse dem Alter angepasst werden. Mache ihr nichts aus. Müsse man akzeptieren.

 

Einmal im Jahr fahre sie nach Bad Brambach in den Urlaub. Sie komme eigentlich von hier, wohne jetzt aber in Leipzig, Nähe Völkerschlachtdenkmal. Wohnlich wolle sie sich nicht mehr verändern. Brauche sie nicht. Sei so zufrieden. Andere Reisen kämen für sie nicht mehr in Frage. Busreisen oder so was. Die Lüftung störe im Bus. Keine Lust, wegen so’ner Busfahrt einen steifen Hals zu kriegen. Früher seien sie und ihr Mann viel gereist. Nach Ungarn, nach Westdeutschland, als es endlich ging. Nur an das Meer nie. Ihr Mann mochte keinen Fisch.

 

Sie lächelt. Ihr Mann habe gesagt, sie solle, wenn er tot sei, das Leben bejahen, zufrieden solle sie sein. Das erste Jahr nach seinem Tod sei nicht so schwer gewesen. „Ich war vorbereitet.“ Danach sei es richtig schwer geworden. Allein zu leben, ohne ihren Mann! Der habe ihr gefehlt. Jetzt gehe es. Sie sei zufrieden mit ihrem Leben. Traurig manchmal. Das gebe sich, wenn sie ihr Tempo einhalte. Das Gute gebe es nie ohne Einschränkung. Alles habe eine Kehrseite, auch wenn es zunächst nicht so aussehe. Sie wünscht mir eine gute Wanderung. Guckt freundlich. Heute Abend würde ich mich bestimmt zu ihr setzen, wenn ich hier bliebe. So bleibt’s bei dem kurzen Gespräch.

 

Das Hotel „Schwarzbachtal“ bei Markneukirchen, ein auf den ersten Blick wenig ansehnlicher Plattenbau, liegt idyllisch, und diese Lage entschädigt für das im DDR-Sozialismus gängige und somit unverschuldete Äußere des Hotels. 1935 standen hier 5 Zollhäuser mit Wohnungen für Zollbeamte. 1961/62 wurde auf dem Gelände ein Ferienheim des Ministeriums des Inneren errichtet, in Plattenbauweise. Wer hätte damals widersprechen wollen und können? Und daraus entstand 1974 – 1976 das heute noch stehende „Ferienheim Schwarzbachtal“. Für Beamte der Polizei, Feuerwehr und „ähnliche“. Und ähnliche also? Vermutlich Mitarbeiter der Staatssicherheit, auf alle Fälle Beschäftigte der Volksarmee. 1990 wurde der Gebäudekomplex durch das Ministerium des Inneren übernommen, mittlerweile ein anderes Inneres. Inneres ändert sich halt gelegentlich!

 

Seit 1992 wird das Gebäude genutzt für Tagungen, Seminare, Busreisen aller Art. Modernisierung, vor allem wohl der Bäder, 1997/1998. Dann: Übernahme durch einen Privatmann. Dessen Name steht nicht im Hotelprospekt. Großartig, das wiederhole ich gern, die Lage des Hotels. Herrlichste Aussicht, völlig Ruhe, selbst der Parkplatz ist in gebührendem Abstand, und jedes Zimmer hat einen Balkon.

 

Am nächsten Tag werde ich vom Hotel aus nach Markneukirchen zum Ausgangspunkt der Tageswanderung gebracht. Der Tagesabschnitt wäre ansonsten zu lang gewesen. Mit dem Fahrer, am Abend vorher hat er beim Grillen für die Hotelgäste geholfen, komme ich ins Gespräch. Er kommt ins Erzählen, wie das bei vielen ist, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass man ihnen zuhört. Er berichtet über negative Erfahrungen mit einer, er hebt die Stimme, sich christlich nennender Partei nach der Wende. Seine Ernüchterung.

 

Dann, als Kontrapunkt sozusagen, kommt er auf die Überlegenheit des Schulsystems der DDR zu sprechen. Über die Ergebnisse von Vergleichsstudien weiß er bestens Bescheid. PISA usw. In solchen Ergebnissen zeige sich doch die Überlegenheit eines Schulsystems. Bessere Ausbildung von Lehrern bedeute das. Ich widerspreche nicht. Dann schwärmt er von dem ersten Ministerpräsidenten von Sachsen nach der Wende. Biedenkopf hätte die richtige Einstellung gehabt: „Lass die Sachsen mal ihren Kram machen.“ Der hätte nicht geschlaumeiert, sondern die Leute Ideen entwickeln lassen.

 

Andererseits die Ernüchterung meines Gesprächspartners wegen seiner Erfahrung mit einem überfallartig eindringenden Kapitalismus. Dessen Grundsatz sei ja: Teile und herrsche. Belegschaften seien gegeneinander ausgespielt worden. Schmerzhaft hätten sie zügig gelernt, dass der Stärkere sich durchsetzt. Hemdsärmeligkeit war und sei weiterhin gefragt. Zimperlichkeit wird bestraft. Solidarität? Pustekuchen! Es gilt: Sieh zu, wie du klar kommst. Dein Leben ist deine Sache, ganz allein deine! Arbeitslosigkeit in Markneukirchen sei ein Schock für die Leute, wie überall in den neuen Ländern. Erst allmählich zeichne sich eine Besserung ab. Umstellen müssten sie sich halt.

 

Dann der wunde Punkt: Ein Drittel der Westdeutschen seien an den neuen Bundesländern wenig bis nicht interessiert. Die dächten nicht daran, hier mal den Urlaub zu verbringen. Die ignorierten Gegenden wie das Vogtland. Solche Landschaften, diese schönen Urlaubsorte! Er schüttelt den Kopf. Ihm wie mir fehlen die Worte. Wie soll ich ihm dieses Phänomen auch erklären? Na, denke ich mir und sage es auch, vielleicht zahle es sich irgendwann mal aus, dass es eine Weile dauert, bis die Urlaubsregionen in den neuen Bundesländern endlich ins Blickfeld der Westdeutschen geraten.

 

Gespräche, immer wieder unerwartete Gespräche. Die Gespräche passieren. Lassen sich kaum planen, ereignen sich zufällig. Du kannst zugreifen, kannst aber auch Gelegenheiten verpassen. Willst du zuhören, kannst du zuhören, oder willst du selber reden, weil du so viel zu sagen hast, was der andere unbedingt erfahren soll. Du kannst Fragen stellen, nachhaken. Du entscheidest, wie viel Zeit du dir nimmst. Für diese Begegnung und jene. Du kannst dich verabschieden, weil du weiter gehen willst. Oder du bleibst einfach mal stehen und wartest ab, was passiert.

Begegnungen mit Menschen auf so’ner Fernwanderung? Du hoffst ja auf was Neues, Unbekanntes. Du entscheidest, was passiert. Du entscheidest, auf was du dich darauf einlässt, ob du hier stehen bleibst, dort Rast machst, den Umweg gehst oder einfach mal ein Momentchen verweilst. Du entscheidest, was dir wichtig ist, womit du dich beschäftigen oder nicht beschäftigen willst.

 

Was heben 10 Wanderer, die die gleiche Strecke zurücklegen, nach der Wanderung als bemerkenswert hervor? Man müsste sie einfach mal probeweise fragen.

 

Fotos:

Titelbild: Wanderweg im Kurpark von Bad Brambach, © augustustours

Foto 2: Bank unterhalb des Galgenberges © augustustours

 

INFO: https://www.augustustours.de/de/wanderreisen/vogtlandpanoramaweg.html

AugustusTours organisiert seit 1998 individuelle Aktivreisen mit Gepäcktransport entlang der schönsten Rad- und Wanderwege Deutschlands. Neben der genauer Planung der Reiseroute kümmert sich der Reiseveranstalter um die Buchung rad- und wanderfreundlicher Unterkünfte und übernimmt zudem den Transport des Reisegepäcks von Unterkunft zu Unterkunft. Auch Tourenräder oder E-Bikes können von AugustusTours für Radreisen zur Verfügung gestellt werden. Mit über 7700 eigenen Radkilometern und mehr als 400 Wanderkilometern in den Beinen ist das Team von AugustusTours aktiv reisen ein kompetenter Ansprechpartner für Rad- und Wanderreisen in Deutschland.