Wissenschaftspädagogik, die viel Spaß macht
Hanswerner Kruse
Steinau an der Straße (Weltexpresso) - Ferien sind die Zeit der „Spürnasen“ im Wald. Jetzt im Sommer bietet die Schloss-Akademie Steinau sogar zwei einzelne Wochenkurse an. Unser Mitarbeiter besuchte die Kinder schon oft bei den Erkundungen im Steinauer Forst und staunte über ihren Forschergeist.
Behutsam legt ein Junge eine große Waldameise auf die Zunge, schließt kurz den Mund und nimmt sie vorsichtig wieder heraus. „Mhhh“, sagte er, „die Ameisensäure schmeckt lecker.“ Vorsichtig hält ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal dabei ist, eine Spinne am Beinchen fest und betrachtet sie durch eine Lupe. Anfangs mochte sie Krabbeltiere nicht einmal ansehen, nun ist sie glücklich, dass sie ihre Ängste mit Hilfe der anderen Kinder überwunden hat.
Die Tage im Forst beginnen morgens mit dem Treffen der sechs- bis zwölfjährigen Kinder auf dem Waldparkplatz. Viele sind schon seit Jahren dabei. Aufgeregt erzählen sie, was sie heute tun wollen: Feuersalamander und Kröten suchen, an provisorischen Holzhütten weiterbauen oder auf Pirsch gehen. Die Pirsch ist eine geführte Wanderung, die Uli Brenner - den alle Uli nennen - täglich anbietet. Gemeinsam streift er durch den Wald mit einigen Kindern, die vorsichtig Steine und Totholz umdrehen, kritisch seltsame Pilze beäugen oder „Rehbetten“ suchen.
Doch bevor die Kids ihre Abenteuer erleben, kommen sie in der Morgenrunde zusammen. „Breitet den Mantel des Schweigens um euch aus“, oder Ähnliches sagt Beate Löb leicht ironisch zu ihnen. Uli bittet, die Augen zu schließen, um sich und die Umgebung wahrzunehmen. Die Kinder merken selbst, dass ihnen das nach einigen Tagen im Wald leichter fällt, sie sind konzentrierter geworden. Was fällt ihnen noch so auf? Der Bach sei lauter geworden, meint jemand. Beate fordert die Kids auf, über die Ursachen nachzudenken. Sie stellen verschiedene Theorien auf, etwa „nachts hat es geregnet.“ Auch die abstrusesten Überlegungen werden von den anderen nicht verlacht.
„Was ist anders? Wie kommt das?“ - Fragen, die Uli und Beate den ganzen Vormittag lang stellen. Die Wissenschaftspädagogen betreiben keine Schlaumeier-Pädagogik, in der sie vorher festlegen, was die Kids lernen sollen. Es geht nicht darum, etwas (Vor-) Bestimmtes herauszufinden, sondern sie sollen bewusster und mit allen Sinnen wahrnehmen, über das Erlebte nachdenken, Zusammenhänge herstellen und es den anderen mitteilen. Gut können sie auch neues Wissen weitergeben, der Besucher erfuhr, dass Bremsen schöne Augen haben, Spinnen mit ihren Härchen „hören“ oder Amseln die Eierschalen ihrer Brut weit weg tragen, um Feinde zu verwirren.
Spürnase zu sein ist also mehr, als nur passiv unterhalten oder zu irgendetwas erzogen zu werden - sondern aktiv und aufmerksam im selbstbestimmten Lernen zu sein. Das macht Spaß - ist aber auch mit Herausforderungen verbunden: Man fällt und tut sich weh oder bekommt nasse Füße. Es ist erstaunlich, wie schnell pink angezogene Mädchen ihr Rollenverhalten aufgeben. Statt „Ihgitt“ zu kreischen, machen sie sich im Matsch schmutzig, bauen kichernd Fallen für Uli oder setzen sich mutig mit größeren Jungs auseinander.
Respekt gegenüber den untersuchten Pflanzen und Tieren im Wald ist genauso wichtig wie den anderen Kindern gegenüber: Sich ausreden lassen und das von anderen Gesagte zu akzeptieren. Konflikte werden angesprochen und manchmal auf einer „Friedenskonferenz“ geklärt. Dieses soziale Lernen geschieht eher beiläufig.
Es ist erstaunlich, dass die Spürnasen niemals mit Smartphones herumfummeln. Nur einmal, als sie den „unordentlichen Walde“ aufräumen wollten, haben sie als „Spürnasen-TV“ überraschende Erkenntnisse vermittelt. Auf Beates Anregung legten einige Kids einen Quadratmeter des liderlichen Waldbodens völlig frei. Sie waren erstaunt, wie viel Flora und Fauna in der „Unordnung“ lebt. Vor allem aber merkten sie, dass nun der Boden sehr schnell austrocknet und Risse bekommt. Die Unordnung des Waldes macht also durchaus Sinn für das geheimnisvolle Waldleben, war ihre Erkenntnis, die sie in Ihrem Smartphone-Clip weitergaben.
Der erste Kurs findet in dieser Woche statt, der nächste wird vom 17. bis 21. Juli täglich von 9.00 bis 12.30 Uhr angeboten. Infos und Anmeldung unter 06661-6719.
HINTERGRUND
Uli Brenner (59) und seine Frau Beate Löb sind studierte Biologen, er ist Käferforscher (Koleopterologe), sie Vogelforscherin (Ornithologin). Langsam sind sie Ende der 1990er-Jahre „in die Pädagogik gerutscht.“ Zunächst begann Löb mit Treffen für Erwachsene zu Walderfahrungen im Rahmen der Volkshochschule, es folgten Familiensamstage in der Natur. Legendär sind ihre „Entdeckenden Kräuterwanderungen“, bei denen nachher gemeinsam Kräutermenüs gekocht wurden. 2007 gründeten die beiden die Schloss-Akademie Steinau als Träger für ihre eigenen Angebote.
Das mittlerweile von den beiden Biologen vertretene, ganzheitliche und selbstbestimmte Lernen in der Wissenschaftspädagogik, kann auch ein Modell für Kindertagesstätten und Schulen sein. In den Schulen ist Unterricht möglich, in dem Kinder Deutsch, Mathematik, Sachkunde usw. durch ein allen Fächern gemeinsames Thema lernen können. Deshalb haben Löb und Brenner in der Region auch das Projekt „Haus der kleinen Forscher“ aufgebaut und sind darin als Trainer für pädagogische Fach- und Lehrkräfte (LehrerInnen, ErzieherInnen) tätig. Um das Konzept abzurunden, gibt Löb Kurse für Eltern: „Eltern sorgen sich oft, dass ihre Kinder nicht genug lernen“, erklärt sie einfühlsam. „Deshalb möchte ich sie mit ins Boot holen und ihnen pädagogisches Hintergrundwissen vermitteln, um ihren Kindern selbst bestimmtes Handeln zu ermöglichen.“
Fotos: © Hanswerner Kruse
Info: Der erste Kurs findet in dieser Woche statt, der nächste wird vom 17. bis 21. Juli täglich von 9.00 bis 12.30 Uhr angeboten. Infos und Anmeldung unter 06661-6719.