ll luis rauschhuberBeitrag in Forschung Frankfurt widmet sich über die verschiedenen Ausprägungen des Vertagens von Aufgaben

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Morgen ist auch noch ein Tag“ – diesen Impuls kennen die meisten Menschen, wenn es um die Erledigung von Aufgaben geht. Inwieweit das Aufschieben ein weit verbreitetes Laster ist und wann es zum Problem wird, damit befasst sich ein Beitrag in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ (1/2017).

„Prokrastination“ – ein aus dem Lateinischen stammendes Fachwort, das im akademischen Milieu immer mehr zur Alltagssprache gehört. Denn von Studierenden über Doktoranden bis hin zu Professoren gibt es kaum jemanden, der noch nie aufgeschoben hat. Seminar-, Abschluss-, Doktorarbeiten oder wissenschaftliche Beiträge werden nur zu gern hinausgezögert. Aber auch in anderen Bereichen ist das Aufschieben ein bekanntes Phänomen: So bei der Steuererklärung, auch wenn man wohltuende Rückzahlungen zu erwarten hat. Handwerker vertagen, Rechnungen zu schreiben, und bringen sich damit schlimmstenfalls um ihre Existenz. Wie ist dieses Verhalten zu erklären? Und was lässt sich dagegen tun? Diesen Fragen ist Dr. Anke Sauter in ihrem Beitrag in „Forschung Frankfurt“ „Schieben Sie noch auf oder prokrastinieren Sie schon?“ nachgegangen.

Aufschieberitis ist ein Phänomen der Moderne. Früher konnten es sich die wenigsten Menschen leisten, die Erledigung ihrer Aufgaben bis zum Sanktnimmerleinstag hinauszuzögern. Wie wäre beispielsweise eine Bauernfamilie durch den Winter gekommen, wenn sie das Korn nicht rechtzeitig geerntet hätte? Heute hingegen ist es ein Allerweltslaster, „die Schattenseite der Freiheit“, so Dr. Heike Winter, Geschäftsführerin des Ausbildungsprogramms Psychologische Psychotherapie am Institut für Psychologie der Goethe-Universität. Vor allem Vertreter freier Berufe kämpften täglich gegen die „Aufschieberitis“: Es ist nicht leicht, mit Freiheit umzugehen und damit, dass ein Unterfangen nicht im Handumdrehen erledigt ist und auch das Risiko des Scheiterns in sich birgt.

Psychologen sprechen erst dann von Prokrastination, wenn das Aufschieben zum Problem wird – weil es seelische oder körperliche Beeinträchtigungen mit sich bringt. Prokrastination wird als Störung der Selbstregulation vor allem im Falle von Kurzfristig-Langfristig-Dilemmata definiert. Die Herausforderung besteht darin, kurzfristig etwas Unangenehmes oder weniger Schönes auszuhalten, um langfristig etwas Positives oder weniger Negatives zu erreichen. Dies aber widerstrebt der Natur des Menschen. Mit dem Aufschieben umgeht er diese Herausforderung und verhilft sich so zu einer kurzfristigen Belohnung. Ersatzhandlungen wie Blumengießen, Kaffeekochen oder der Anruf bei einem uralten Schulfreund verhelfen zu einem kurzfristigen Erfolg, die anstehende Großaufgabe ist erstmal vermieden.

Im universitären Umfeld gibt es inzwischen ein Netz von Beratungsangeboten, die bei unterschiedlichen Ausprägungen von Aufschieberitis weiterhelfen können: Eine Anlaufstelle bei aufgeschobenen Hausarbeiten und Dissertationen ist das Schreibzentrum der Goethe-Universität. Hier wird Handwerkszeug vermittelt, um planvoll an eine wissenschaftliche Arbeit gehen zu können. Denn oft liegt es an mangelnden Kenntnissen beim Strukturieren und Recherchieren, weshalb eine Aufgabe unüberwindbar erscheint. Bei hartnäckigeren und immer wieder auftretenden Schwierigkeiten beim Einhalten von Fristen können Studierende an einem Kurs der Psychologischen Beratungsstelle teilnehmen, der sich ganz auf dieses Thema konzentriert. Denn je länger das Problem ansteht, desto schwieriger wird es und kann ganze Lebensläufe zerstören.

Auch an der psychotherapeutischen Ambulanz des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie hat man es häufig mit Prokrastinierern zu tun – wenn auch nur als Nebenthema. Denn viele Klienten mit der Diagnose Depression leiden unter Aufschieberitis, unter Umständen kann das chronische Aufschieben eine Depression auch auslösen: Es führt zu Gewissensbissen, das nagt am Selbstwertgefühl, schlaflose Nächte und Kontaktarmut verschärfen die Situation des Betroffenen noch – ein Teufelskreis, dem man mit professionellen Mitteln entgegenwirken sollte.

Foto: © luis-rauschhuber.de

Info: 
Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ steht unter: www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de.