Die produktive Spannung von Visualität und Narrativität im Comic
Roswitha Cousin
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Bilder sollten sich auf die Nachahmung von „Körpern“, Literatur hingegen auf die von Handlung konzentrieren, lautete das Diktum des Dichters und Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing. Auch wenn dieser starre Gegensatz von Bildender Kunst und Literatur heute wohl kaum noch von jemandem vertreten werden dürfte, stand und steht immer auch die Frage im Raum, welchen Platz der Comic im Spektrum der Künste einzunehmen hat. Werden Comics wie Filme „geschaut“ oder eher „gelesen“?
Interessante Frage, die weiterführt in: Was mache ich lieber: schauen oder lesen? Vom Hören mal ganz abgesehen, denn das bekomme ich dann leicht raus, wenn ich Hörbücher mit den Büchern vergleiche. Wozu ich greife, wenn nicht äußere Bedingungen das festlegen. Das mit dem Schauen und dem Lesen läßt sich ebenfalls herausfinden. Dr. Bernd Dolle-Weinkauff, Comic-Experte und Kustos des Instituts für Jugendbuchforschung an der Goethe-Universität, erläutert im Gespräch mit „Forschung Frankfurt“, dem Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität, die besondere Hybridität dieses Genres. Als Literaturwissenschaftler beschäftigt sich Dolle-Weinkauff grundsätzlich mit dem Text, der beim Comic gerade aus der Kombination von Schrift und Bild bestehe. Bilder, so Dolle-Weinkauff, sorgten zwar für Suggestivität und Attraktivität des nicht nur bei jungen Leserinnen und Lesern beliebten Genres, aber Schrift habe eine „direktive“ Funktion, vereindeutige das Dargestellte, könne aber wie im Falle von anspruchsvollen Graphic Novels auch die Bedeutung in Frage stellen. Die Sequenzialität, die Abfolge von mehreren aufeinander folgenden und aufeinander bezogenen statischen Einzelbildern, ermögliche ein besonderes Darstellungs- und Ausdruckspotenzial, das selbst die verwandten Zeichentrickfilme nicht erreichten.
Einst wurden Comics noch als „Schundliteratur“ betrachtet; manche Pädagogen wollten gar dieses Genre bekämpfen, um junge Leser davor zu schützen. Dabei richteten sich die ersten Comics, die um 1900 entstanden, an Erwachsene, betont Dolle-Weinkauff. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurden dann zunehmend Kinder und Jugendliche angesprochen. Erst nach und nach wurde die künstlerische Qualität des Comics anerkannt; seine „Doppelcodierung“, das Zusammenspiel aus Unterhaltung und Tiefendimension, sei sein Spezifikum. „Auch der visual bzw. pictorial turn in den Kulturwissenschaften hat mit der gesteigerten Aufmerksamkeit für das Bild dazu geführt, genauer auf den Comic zu schauen“, erklärt Dolle-Weinkauff. Heute werden Comics wissenschaftlich erforscht und auch gesammelt: Die Comic-Sammlung des Instituts für Jugendbuchforschung umfasst mittlerweile über 70.000 Hefte, Bücher und Alben.
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Info:
Das ist eine der interessantesten Zeitschriften im Heftformat, die wir kennen. Der Vorteil beim Lesen ist der, daß man immer etwas Neues erfährt und lernt, weil die anspruchsvollen Inhalte so geschrieben sind, daß man sie versteht, ohne in der Forschungsrichtung firm zu sein.
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