Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vor rund 7.600 Jahren wurde das Entstehen bäuerlicher Siedlungen in Südosteuropa im Keim erstickt und der zivilisatorische Fortschritt verzögerte sich. Verantwortlich ist wahrscheinlich ein sprunghafter Meeresspiegelanstieg in der nördlichen Ägäis. Seine Spuren konnten Forscher der Goethe-Universität, des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und der University of Toronto jetzt in Kalkalgen nachweisen.
Bereits achthundert Jahre zuvor hatte die Region einen rasanten Meeresspiegelanstieg verkraften müssen. Das Ereignis gibt einen Ausblick auf die ökonomischen und sozialen Konsequenzen eines zukünftigen Klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs, berichten die Forscher in „Scientific Reports“.
Ausgehend vom Vorderen Orient vollzog sich in der Jungsteinzeit einer der bedeutendsten zivilisatorischen Umbrüche der Menschheitsgeschichte: der Übergang von einer Zeit der Jäger und Sammler hin zum Ackerbau und sesshafter Lebensweise. Im Zuge dieser Neolitihischen Revolution begann sich die bäuerliche Lebensweise auch nach Südosteuropa auszudehnen. Wie Ausgrabungen zeigen, brach der Aufbau von Siedlungen jedoch vor 7.600 Jahren massiv ein. Frankfurter Forscher haben jetzt vermutlich eine der Ursachen gefunden.
Prof. Jens Herrle, Goethe-Universität und Senckenberg Biodiversität und Klima Zentrum: „Der Meeresspiegel muss in den an Südosteuropa angrenzenden Gebieten vor circa 7.600 Jahren sprunghaft angestiegen sein. In der nördlichen Ägais, dem Marmara Meer und dem Schwarzen Meer stieg er um mehr als einen Meter. Bisherige Ufergebiete und etwaige Siedlungsräume wurden damit überschwemmt.“
Die neu entdeckte große Überflutung an den Randgebieten des nordöstlichen Mittelmeeres vor 7.600 Jahren ist bereits der zweite Einbruch in der Neolithischen Revolution. Schon achthundert Jahre zuvor, vor circa 8.400 Jahren, hatte sie durch einen Meeresspiegelanstieg und die darauffolgenden klimatischen Umbrüche einen massiven Dämpfer erhalten. Durch den erneuten Anstieg wurde der Übergang zum Ackerbau wahrscheinlich noch weiter verzögert.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein schwankender Meeresspiegel bereits in der Vergangenheit einen sehr starken Einfluss auf die Menschheitsgeschichte hatte“, sagt Herrle. „Aufgrund der globalen Klimaerwärmung wird damit gerechnet, dass der Meeresspiegel innerhalb der nächsten 100 Jahre bis zu einem Meter ansteigt. Millionen von Menschen könnten damit aus küstennahen Regionen vertrieben werden, mit all den damit verbundenen sozialen und ökonomischen Konsequenzen.“
Grundlage der Studie ist ein Bohrkern aus dem Meeresboden aus der Nordägäis anhand dessen ein Team um Herrle den Salzgehalt in diesem Teil des Mittelmeeres im Zeitraum vor 11.000 bis vor 5.000 Jahren rekonstruierte. Im Meeresboden konserviert sind die Kalkalgen Emiliania huxleyi. Schaut man sich diese winzigen Kalkalgen unter dem Rasterelektronen-Mikroskop genau an, kann man daraus schließen, wie salzig das Oberflächenwasser der Ägäis zur ihrer Lebenszeit war.
„Ein schnelles Absinken des Salzgehalts, wie ihn die Kalkalgen vor 8.400 Jahren und neu vor 7.600 Jahren belegen, kann nur dadurch erklärt werden, dass mehr salzarmes Oberflächenwasser als zuvor aus dem Schwarzen Meer in die nördliche Ägäis geflossen ist. Voraussetzung dafür wäre ein rapider Meeresspiegelanstieg, der einen Anstieg des Oberflächenwasserausflusses in diese Richtung zur Folge hätte. Grund dafür könnte der Agassizsee von Nordamerika sein. Dieser Schmelzwassersee war durch Eis eingeschlossen und erlebte in diesem Zeitraum einen Dammbruch worauf sich gewaltige Wassermengen ins Meer ergossen“, erklärt Herrle abschließend.
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Anhand der Kalkalge Emiliana huxleyi konnte der Salzgehalt der nördlichen Ägais von vor 11.000 bis vor 5.000 Jahren bestimmt werden.
© Jörg Bollmann
Info:
Publikation: Herrle, J.O. et al (2018): Black Sea outflow reponse to Holocene meltwater events. Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-22453-z