a adorno uniDer Zeithistoriker Lutz Raphael spricht an drei Abenden, 20.- 22. Juni, über die Gesellschaftsgeschichte der Deindustrialisierung

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die diesjährigen Frankfurter Adorno-Vorlesungen wird der Zeithistoriker Prof. Lutz Raphael (Trier) halten. Raphael wird eine vielschichtige Analyse der gesellschaftlichen Umbrüche im Gefolge der Deindustrialisierung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien seit den 1970er und 1980er Jahren entfalten und dabei zugleich eine Problemgeschichte unserer eigenen Gegenwart entwerfen. Die Frankfurter Adorno-Vorlesungen finden am 20., 21. und 22. Juni 2018 auf dem Campus Bockenheim statt.

Industriearbeiterinnen und Industriearbeiter bildeten in den meisten Ländern Westeuropas Mitte der 1970er Jahre die größte Statuskategorie in den amtlichen Statistiken, heute beträgt ihr Anteil an der aktiv erwerbstätigen Bevölkerung noch zwischen 18 und 25 Prozent. Hinter diesen Zahlen verbergen sich tiefgreifende Veränderungen im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gefüge. Vor allem die Fabriken der sogenannten „alten“ Industrien, Stahlwerke, Kohlenzechen, Schiffswerften und Textilfabriken, sind im Zuge des krisenbeschleunigten Strukturwandels der 1970er und 1980er Jahre verschwunden. Viele der in der Industrie Entlassenen fanden nur mühsam oder gar keine neue Stelle mehr.

Die Deindustrialisierung ging mit einer Zunahme des allgemeinen Konsumniveaus und Lebensstandards einher, die auf einem anhaltenden Wachstum der Produktivität von Landwirtschaft und Industrie beruht. Diese Produktivitätssteigerungen schufen erst die Voraussetzungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze im sogenannten „tertiären“ Sektor, in dem heute mehr Menschen beschäftigt sind und ein größerer Anteil am Bruttosozialprodukt erwirtschaftet wird als in der Industrie: Finanzdienstleistungen und industriebezogene Forschung, Bildung und Wissenschaft, Gesundheit und öffentliche Verwaltung. Die Nebenfolgen der erfolgreichen Umstellungen auf „postindustrielle“ oder „Dienstleistungsgesellschaften“ mit einem internationalen Finanzdienstleistungssektor zeichneten sich allerdings schon von Anfang an ab: wachsende Ungleichheit, abgehängte Regionen und eine tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft.

Lutz Raphael ist seit 1996 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier. Er ist unter anderem Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sowie der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. 2013 wurde Lutz Raphael mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Die wichtigsten Forschungsfelder und -themen von Lutz Raphael sind Moderne Sozialgeschichte und Geschichte der Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Geschichte der Intellektuellen in Europa im 20. Jahrhundert, Entwicklung westeuropäischer Industriegesellschaften im letzten Drittel des Jahrhunderts, Nationalismus und Imperialismus, Armut und Migration.

Frankfurter Adorno-Vorlesungen
Lutz Raphael: Jenseits von Kohle und Stahl. Gesellschaftsgeschichte der Deindustrialisierung.

Mittwoch, 20. Juni: Abschied vom Industriebürger? Politik der Deindustrialisierung

Donnerstag, 21. Juni: Grenzen der Flexibilität: Berufsbiografien, Wissensordnungen, Arbeitsteilungen

Freitag, 22. Juni: Ortstermin: Betriebe, Industriereviere und Wohnquartiere


Foto:
Adorno © uni-frankfurt.de

Info:

Beginn jeweils 18.30 Uhr, Hörsaal IV, Campus Bockenheim, Goethe-Universität Frankfurt.

Die Frankfurter Adorno-Vorlesungen: Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern sollen. Dabei geht es nicht um eine philologische Ausdeutung seines Werks, sondern darum, seinen Einfluss auf die heutige Theoriebildung in den Humanwissenschaften zu fördern und die lebendigen Spuren seines interdisziplinären Wirkens in den fortgeschrittenen Strömungen der Philosophie, der Literatur-, Kunst- und Sozialwissenschaften sichtbar zu machen. Gefördert werden die Frankfurter Adorno-Vorlesungen von der Stadt Frankfurt und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.