dpa httpswww.handelsblatt.compolitikdeutschlandarbeitsrecht bgh staerkt arbeitnehmerrechte bei bildung von aufsichtsraeten24924416.htmlticketST 7909088 AgkjQYmBUcvtMbguRMg3 ap5Serie: „Ohne Verschulden?“ Alles richtig gemacht und trotzdem haften? Wer will das verstehen? Wer soll das versichern?, Teil 1/4

Jan-Philip Utech

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Eine im letzten Jahr ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 9.2.2018 – V ZR 311/16) zur Haftung von Grundstückseigentümern erweckte großes Aufsehen und schaffte es damit sogar in die 20 Uhr - Ausgabe der Tagesschau. Das höchste Zivilgericht hatte ein älteres Eigentümerehepaar bzw. dessen Rechtsnachfolger (das Ehepaar war während des Verfahrens verstorben) schuldlos verurteilt für einen Schaden am Nachbarhaus einzustehen, den der von ihnen beauftragte Handwerker schuldhaft verursacht hatte.


Mit dieser Entscheidung bestätigte es seine ständige Rechtsprechung zur Haftung von Grundstücksnachbarn. Sie gibt Anlass sich den „Schuldbegriff“ und dessen Bedeutung im deutschen Zivil- und Strafrecht in Teil 1 und 2 der Serie einmal näher anzusehen, bevor die interessante Gerichtsentscheidung in Teil 3 und 4 dargestellt und besprochen wird.


1. Teil

„Vorsatz und Fahrlässigkeit“

Den Begriff der Schuld – von Homer über Dostojewski bis jüngst Ferdinand von Schirach literarisch verarbeitet – verbindet man im Rechtssystem wohl am ehesten mit dem Strafrecht. Aber auch im Zivilrecht spielt der Begriff der Schuld, in diesem Zusammenhang besser „Verschulden“, eine außerordentlich wichtige Rolle. Das zivilrechtliche Verschuldensprinzip besagt im Kern, dass nur zum Schadensersatz verpflichtet ist, wer einem anderen einen Schaden schuldhaft zugefügt hat. Dabei meint schuldhaft beides: vorsätzliches, wie fahrlässiges Verhalten. Auf eine Unterscheidung kommt es im Zivilrecht in der Regel nicht an.

Anders im Strafrecht. Dort kommt es für den Strafrahmen, sogar entscheidend auf die Unterscheidung an, ob der Täter vorsätzlich oder eben „nur“ fahrlässig gehandelt hat. Ein Vergleich zwischen dem vorsätzlichen Totschlag nach § 212 Strafgesetzbuch (StGB) und der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB macht die Bedeutung dieses Unterschieds für das Strafrecht deutlich. Während § 222 StGB eine Freiheitsstrafe von „nur“ bis zu fünf Jahren vorsieht, aber auch eine Geldstrafe als Mindeststrafe erlaubt, verpflichtet § 212 StGB den Richter eine Freiheitsstrafe von „nicht unter fünf Jahren“ auszusprechen. Im Zivilrecht hingegen gilt: Wer schuldhaft, ob vorsätzlich oder fahrlässig, einen anderen schädigt, wird in voller Höhe zur Kasse gebeten.


„Schulderfordernis und Ausnahmen“

Das Erfordernis eines Verschuldens im Zivilrecht hat eine enorm wichtige Bedeutung für unser alltägliches Leben. Es begrenzt die Haftung: Wer sich sorgfältig verhält, darf darauf vertrauen, nicht haften zu müssen, auch wenn sein Verhalten zu einem Schaden geführt hat. Das Verschuldenserfordernis hat also eine vertrauensstiftende Wirkung. Mit Mut zum Handeln und ohne Angst vor dem nächsten Schritt, können Entscheidungen getroffen und in die Tat umgesetzt werden. Volkwirtschaftlich gesehen, ist dies grundlegend für den gesamten Waren- und Dienstleistungsverkehr.

Das Verschuldenserfordernis lässt daher nur wenige Ausnahmen zu, die zudem vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelt sein müssen. Diese Ausnahmen werden im juristischen Fachjargon als Gefährdungs- und Aufopferungshaftung bezeichnet. Für diese äußerst scharfe zweite und dritte Art der außervertraglichen Haftung ist charakteristisch, dass der Verursacher auch dann haftet, wenn er sich vollkommen sorgfältig verhalten hat. Dass dies einer besonderen Begründung bedarf, leuchtet sofort ein, denn, was will man jemandem vorwerfen, der sich fehlerfrei verhalten hat?


„Fahrzeuge und Tiere sind gefährlich“

Für die Gefährdungshaftung wird der besondere Grund – wie der Name schon verrät – in der besonderen Gefahr gesehen, die die betreffende Person geschaffen hat. Zu dieser Fallgruppe gehören insbesondere die Gefahren, die mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs einhergehen.

shopping 2291966 1280Ein Beispiel aus der Rechtsprechung: Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 18.8.2015 – I-9 U 169/14) erhält ein Kfz-Halter, der mit seinem Kraftfahrzeug mit einem „vagabundierenden“ Einkaufswagen (links im Bild) kollidiert lediglich 80 % seines Schadens ersetzt, obwohl das Verschulden ausschließlich beim Kaufhausinhaber lag, da dieser den Einkaufswagen nicht ordentlich gesichert hatte. Der Halter muss sich nämlich die bloße Gefahr, die mit dem Betrieb des Fahrzeugs einhergeht, anspruchsmindernd anrechnen lassen, was nach der Rechtsprechung auch dann zu einer Anspruchsminderung um 20 % führt, wenn die Schuld allein beim Anspruchsgegner liegt. Der dazu gehörige Haftungstatbestand ist übrigens in einem eigenen Gesetz geregelt, dem Straßenverkehrsgesetz (StVG). 

Aber auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) versteckt sich, wie die Nadel im Heuhaufen von 2385 Paragraphen, ein einzelner Gefährdungshaftungstatbestand: Die sog. Luxustierhalterhaftung des § 833 Absatz 1 Satz 1. Der Satz 2 gehört aber schon nicht mehr dazu. Er regelt nämlich ein Privileg des Nutztierhalters: Verursacht ein Ackergaul einen Schaden, kann der Bauer der Haftung entgehen, wenn ihm der Beweis gelingt, sich vollkommen sorgfältig verhalten zu haben.

Nach Satz 1 allerdings steht demjenigen, der ein Tier, wie ein Reitpferd oder einen Hund, zu seinem privaten Vergnügen hält, dieses Privileg von vorneherein nicht zu. Einer Haftung für die von dem Luxustier verursachten Schäden kann der Halter nicht entgehen, da schon die bloße Verursachung des Schadens durch die von dem Tier ausgehenden Gefahren die Haftung begründet, ohne, dass es auf ein Verschulden ankommt.

Die Ausnahmen vom Erfordernis der Schuld rechtfertigen sich eben aus den spezifischen Gefahren, die mit dem Halten eines Tieres, oder entsprechend mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs, einhergehen.


„Kein Opfer ist umsonst?“

Für die oben angesprochene Aufopferungshaftung wird der besondere Grund – auch hier gibt der Name einen Hinweis – darin gesehen, dass ein Grundstückseigentümer ausnahmsweise einen Teil seiner Eigentümerbefugnisse zugunsten eines anderen opfern muss. Im Gegenzug dafür erhält er einen Ausgleich in Geld. Diese dritte Art der Haftung hat zu dem überraschenden Ausgang des BGH‑Verfahrens geführt, welches im Anschluss an den zweiten Teil besprochen wird, der sich mit einer vielleicht nicht unmittelbar nachvollziehbaren Besonderheit des strafrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriffs beschäftigt.
 
Fortsetzung folgt
 
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Dipl. jur. Jan-Philip Utech ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am universitätsinternen Repetitorium der Goethe Universität in Frankfurt. Tätig im Bereich Zivilrecht und Zivilprozessrecht