fapp3Eine Veranstaltung des Frankfurter Arbeitskreises für Psychoanalytische Pädagogik in der Goethe-Universität Frankfurt, Teil 2/2

Thomas Adamczak

Frankfurt  am Main (Weltexpresso) - Am Beispiel des Gedichts »Fritze« von Matthias Claudius verdeutlichte die zweite Referentin, Annegret Wittenberger, die drastischen Folgen des Neids.
»Nun mag ich auch nicht länger leben,
verhasst ist mir des Tages Licht,
denn sie hat Franze Kuchen gegeben,
mir aber nicht.«

In dem Gedicht »Fritze« geht es um die Enttäuschungswut eines Jungen. Am Beispiel der langfristigen Therapie eines gestörten sechsjährigen Jungen verdeutlichte Annegret Wittenberger, dass Fritze geholfen wäre, wenn er durch geeignete Unterstützung der Eltern verstehen würde, dass der Bruder zwar in der Situation bevorzugt wurde, deshalb aber nicht wertvoller sei als er selbst. Fritze könnte zum eigenen Neid stehen und auch zu der daraus folgenden Wut, wenn diese Gefühle von ihm verstanden worden wären. Dann wären diese starken Affekte in das eigene Selbst integriert, was eine Voraussetzung für weniger belastendes Verhalten wäre.

Hans-Jürgen Wirth verdeutlichte mit dem Verweis auf das Alte Testament, dass Neid menschheitsgeschichtlich eine zentrale Rolle spielt. Die Schlange symbolisiert den Neid auf die göttliche Allwissenheit und Allmacht, und Kain, der Ackerbauer, neidet seinem Bruder Abel, dem Hirten, Anerkennung und Lob des »Herrn«, denn dieser bejaht die »Leistungen« Abels vorbehaltlos, während er Kains Bemühungen gnadenlos und diesen kränkend zurückweist.

Die Schicksale Kains und Abels lassen sich unschwer auf vorgestellte Schülertypen übertragen: der von Erfolg zu Erfolg eilende Schüler und der durch permanente Misserfolge scheiternde Schüler! Wie letzterem zu helfen wäre, seine Affekte in sein »Selbst« zu integrieren, wäre eine lohnende Frage. Mit den Konsequenzen dieser Problematik sehen sich Kolleginnen und Kollegen in der schulischen Praxis permanent konfrontiert. (Die nächste Fachtagung des FAPP, die im Mai 2021 stattfinden soll, wird sich übrigens, dazu passend, mit dem Thema »Scheitern und Gelingen in pädagogischen Beziehungen« befassen!)

Nach den Ausführungen zum »Neid« ging Hans-Jürgen Wirth auf die »Verbitterung« ein, ein Gefühl, das jedem Menschen vertraut ist, wie Kai Baumann und Michael Linden (2015, S. 207) in »Verbitterungsemotion und Posttraumatische Verbitterungsstörung« feststellen.

Auch der »Schüler Kain« ist verbittert. Seine Verbitterung kann gesehen werden als Reaktion auf von ihm empfundene »Ungerechtigkeit, Zurückweisung, Kränkung, Herabwürdigung«. »Verbitterungsgefühle«, führte Hans-Jürgen Wirth aus, »wirken wie ein schleichendes Gift, welches das Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigt und auch die familiären und sonstigen sozialen Beziehungen der Betroffenen grundlegend belasten kann«.

Franz Moor aus Schillers »Die Räuber«, mit dessen Monolog, eindrucksvoll gesprochen von Tobias Weißert, der Kongress begann, ist geradezu die Verkörperung eines verbitterten Menschen, der mit Gott und der Welt wegen der von ihm empfundenen Ungerechtigkeit hadert. ( (FRANZ MOOR: "Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin.")

Hans-Jürgen Wirth zeigte an einem Fallbeispiel, wie aus persönlicher Verdrossenheit, einer Vorform der Verbitterung, Verbitterung und Wut entstehen, die nach einem Feindbild lechzen, mit Hilfe dessen Ohnmachtsgefühle überwunden und »Handlungsmacht« (Lehmann 2019, S. 157; Zum affektpolitischen Problem der Identität. In: Brokoff, Jürgen & Robert Walter-Jochum (Hg.): Hassliteratur. Literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einer Theorie und Diskursgeschichte. Bielefeld: Transkript.) anscheinend wiedergewonnen werden.

Im Fallbeispiel waren es Flüchtlinge, Migranten und die Kanzlerin, denen letztlich die Schuld zugeschoben wurde. Der Referent betonte, wie aufschlussreich das Verhältnis von individuellen (privaten) und kollektiven (öffentlichen) Ressentiments ist. Ressentiments sehe man ihren individuellen Beweggrund nicht an, »weil sie mit allgemein verbreiteten Phrasen, Ideologien und Feindbildern begründet werden«. »Gefühle von Ungerechtigkeit, Machtlosigkeit und des Nicht-wert-geschätzt-Werdens« können sich über viele Jahre hinweg anstauen. « Gefühle sind ein »ziemlich verlässlicher, sensibler und frühzeitiger Indikator für bedeutsame Ereignisse und vor allem im Kontakt mit anderen Menschen«. Das Ressentiment funktioniert geradezu umgekehrt. Ihm könne man keine »Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und Wertungsfunktion« zusprechen. Gefühle würden im Ressentiments instrumentalisiert, um feindselige Einstellungen und negative Wertungen zu »untermauern, zu rechtfertigen und publikumswirksam zu inszenieren«.

Als prägnante Beispiele zitierte Hans-Jürgen Wirth die Äußerung des AfD- Repräsentanten Meuthen, der von »grün-alternativ-versifftem Milieu« und den amerikanischen Präsidenten Trump, der von menschlichem »Abschaum« spricht sowie Menschen als „Tiere“ bezeichnet und wie Meuthen Affekte schürt, um, wie wir das vom Nationalsozialismus kennen, ganze Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren. Die »feindselige Entwertung des anderen« ist nach Hans-Jürgen Wirth das eigentliche Ziel des Ressentiments.

Im abschließenden Vortrag ging Bernhard Rauh an zwei Beispielen auf schulische Lerngruppen ein. Im ersten Fall handelte es sich um eine Seminargruppe Studierender der Sonderpädagogik, der ein Filmausschnitt einer Unterrichtsstunde präsentiert wurde. Infolge einer euphorischen ersten Äußerung einer dominanten Studentin, die sagte, die gezeigte Stunde sei geradezu großartig und sie selber hätte als Lehrkraft nichts besser machen können, fehlte in der Seminargruppe die Bereitschaft, sich zu der Stunde zu äußern, wodurch die Chance zu wünschenswerten Differenzierungen vertan wurde und die für ausgebildete Lehrkräfte selbstverständliche Einsicht, dass es in jeder Unterrichtssituation unterschiedliche Verhaltensoptionen gibt, nicht exemplarisch verdeutlicht wurde.

Warum er als Seminarleiter die Chance, Differenzierungen zu initiieren, in dieser Situation nicht ergriffen hat, wurde vom Referenten nicht thematisiert. Wenn zum Beispiel die Studierenden jede/r für sich notiert hätten, wie die gesehene Stunde auf sie gewirkt hat, wäre die Bereitschaft zu unterschiedlichen Stellungnahmen mit ziemlicher Gewissheit gegeben gewesen.

Die Zurückhaltung der Studierenden wurde mit deren Abwehr von Unlust-und Neidgefühlen erklärt und dem narzisstischen Bedürfnis nach und der Illusion von Gleichheit.

Am Beispiel einer Kleingruppe von drei Schülern und einer Lehrkraft wurde abschließend vorgetragen, dass Schule »Spielfelder« konstruktiver Rivalität bieten sollte. Durch die Koppelung von Wettkampf- und Kooperationsspielen könnten Schüler*innen lernen, Frustrationen besser auszuhalten und mit Niederlagen umzugehen. Ziel sei die Entwicklung sozialer Fähigkeiten durch behutsame Schritte hin zur Erweiterung der inneren Regulationsfähigkeit.

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Info: 

"Nur an einem Thema kann ich nicht so leicht vorbeigehen [...]
es ist so überaus wichtig, so reich an Hoffnungen für die Zukunft,
vielleicht das Wichtigste von allem, was die Analyse betreibt.
Ich meine die Anwendung der Psychoanalyse auf die Pädagogik,
die Erziehung der nächsten Generation.
Sigmund Freud (1933)


"Wer ist der FAPP?

Der „Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik und Soziale Arbeit“ (FAPP) ist ein seit 1983 bestehendes Institut in Frankfurt/M. Es befasst sich mit der Vermittlung und Weiterentwicklung der Psychoanalytischen Pädagogik und psychoanalytisch fundierten Sozialen Arbeit durch Seminare, Publikationen und öffentliche Veranstaltungen.


Was leistet die Psychoanalytische Pädagogik und Psychoanalytische Soziale Arbeit?

Die Psychoanalytische Pädagogik macht Ansätze der Psychoanalyse für die Soziale Arbeit und Pädagogik fruchtbar. Dies umfasst klassische Begrifflichkeiten wie Übertragung, Gegenübertragung, Abwehr und nachfolgende Konzepte wie Traumaforschung, Bindungs- und Mentalisierungstheorie, Institutionstheorie. Die psychoanalytisch-pädagogische Methode des „szenischen Verstehens“ klärt – auch unbewusste – Motive und Dynamiken. Dadurch verändern sich die Regulation von Nähe und Distanz, der Umgang mit den Affekten und ihre Durcharbeitung sowie die Gestaltung von Angeboten, Eingriffen oder gemeinsamem Handeln. Dieser Ansatz steht in Verbindung mit multiperspektivischen Betrachtungen der Pädagogik und der sozialen Arbeit."

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Hans-Jürgen Wirth
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Der „Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik und Soziale Arbeit“ (FAPP) ist ein seit 1983 bestehendes Institut in Frankfurt/M. Es befasst sich mit der Vermittlung und Weiterentwicklung der Psychoanalytischen Pädagogik und psychoanalytisch fundierten Sozialen Arbeit durch Seminare, Publikationen und öffentliche Veranstaltungen.

Was leistet die Psychoanalytische Pädagogik und Psychoanalytische Soziale Arbeit?

Die Psychoanalytische Pädagogik macht Ansätze der Psychoanalyse für die Soziale Arbeit und Pädagogik fruchtbar. Dies umfasst klassische Begrifflichkeiten wie Übertragung, Gegenübertragung, Abwehr und nachfolgende Konzepte wie Traumaforschung, Bindungs- und Mentalisierungstheorie, Institutionstheorie. Die psychoanalytisch-pädagogische Methode des „szenischen Verstehens“ klärt – auch unbewusste – Motive und Dynamiken. Dadurch verändern sich die Regulation von Nähe und Distanz, der Umgang mit den Affekten und ihre Durcharbeitung sowie die Gestaltung von Angeboten, Eingriffen oder gemeinsamem Handeln. Dieser Ansatz steht in Verbindung mit multiperspektivischen Betrachtungen der Pädagogik und der sozialen Arbeit."

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