Bildschirmfoto 2022 02 02 um 01.16.32Interview mit Thorsten Unger, CEO Wegesrand GmbH & Co.KG

Manfred Schröder

Mönchengladbach (Weltexpresso) -  Thorsten Unger ist seit vielen Jahr einer der führenden Games-Experten in Deutschland. Mit seinem Unternehmen Wegesrand ist er Vorreiter für serious games und digitale Anwendungen im Bildungsbereich, was noch für manche unbekanntes Gebiet ist, weshalb Aufklärung not tut.


F: Wie definieren Sie Serious Games und in welchen Kernbereichen werden Sie heute eingesetzt?

TU: Einfach ausgedrückt verwenden digitale Serious Games die Konzepte und Technologien von Computer- und Videospielen, um Inhalte zu vermitteln. Dabei nutzen Sie das Mittel der Unterhaltung, greifen aber tiefer. Dabei handelt es sich, entgegen der wortwörtlichen Übersetzung, keineswegs immer um ernsthafte oder schwer zu bewältigende Spiele. Vielmehr stehen sie für spielerisches Lernen und Ausprobieren und sprechen damit mit Spaß und Eigenantrieb die intrinsische Motivation an. Es kommt also eher auf den Verwendungszweck an, also dass, was durch das Spielen erlernt werden soll. Insofern ist die Bandbreite groß. Von kommerziellen Produkten, bei denen etwas „gelernt“ werden kann, wie Simulatoren, über Sportspiele bis hin zu spielerischen Lernprodukten zur Verbesserung von mathematischen wie sprachlichen Kenntnissen. Nur für Lernzwecke konzipierte Inhalte kommen in vielen Bereichen zum Einsatz, beispielsweise in der Medizin, zum Erlernen von Grundfähigkeiten wie beispielsweise im Datenschutz, oder bei der Schulung von Produktwissen und Herstellungsverfahren.


F: Um neue Zielgruppen zu erschließen, setzen viele deutsche/ europäische Museen auf digitale Anwendungen. Nicht immer erscheint das aber sinnvoll. Oder wie sehen Sie das?

TU: Digitalität ist per se erst einmal nichts Gutes oder Schlechtes. Sie ist weder Hype noch die Lösung aller Probleme. Grundsätzlich ist sie eine Ausdrucks- und Vermittlungsform und entspricht dem technischen Fortschritt. Auf diese Weise erweitert sie einfach den Methodenkoffer in Bezug auf die Ausgestaltung des Raumes. Der interaktive Charakter besonders von spielerischen Lernanwendungen hilft dabei, den Besucher vom passiven Konsumenten hin zum aktiv Handelnden zu transformieren. Entscheidend ist immer, was in der jeweiligen Situation die geeignetste Vermittlungsform ist. Auch ist das Zusammenspiel von Exponat und Raum wichtig. Das Museum muss Angebote schaffen, die auf die jeweiligen Nutzungsgewohnheiten und Anfordernisse eingeht. Nicht jeder Besucher möchte aktiv werden. Nicht jede Interaktivität ist dem Exponat und der Umgebung angemessen. Richtig eingesetzt, schafft digitale Technik aber auch einen ganz anderen Zugang zu einer Ausstellung. So wird unser Projekt „Abenteuer Hanse“ in das Europäische Hansemusem in Lübeck eine vollkommen neue Erzählebene einziehen, gestützt durch ein AR-Tablet. So wie mit dem Tablet hat man das Museum noch nie gesehen, erzählt es doch raumübergreifend quer durch das Museum eine generationenübergreifende Geschichte, welche nur mit der verwendeten Augmented-Reality-Technologie sichtbar wird.


F: Der Anteil von Serious Games macht im gesamten weltweiten Videospielmarkt rund 5 Prozent aus. Prognosen sagen aber, dass sich der Markt bis 2023 fast verdoppeln könne. Warum? Was ist das Besondere an dem Markt?

TU: Die tatsächliche Marktgröße ist schwer ermittelbar, weil der Markt recht unspezifisch ist. Es gibt auch Studien, die ihn deutlich größer zeichnen, wenn beispielsweise Simulationen aus dem Bereich Militär oder Flugsimulationen mit einbezogen werden. Auch stellt sich die Frage, wie der Bereich der Lernapps trennscharf abgegrenzt werden kann. Allein die zunehmende Akzeptanz von digitalen Inhalten in den Schulmärkten und die Durchdringung mit mobilen Endgeräten auch bei Kindern und Jugendlichen lassen auf eine weitere Zunahme von spielerischen Lernlösungen schließen. Insofern spiegeln sie den Zeitgeist und die zunehmende digitale Durchdringung der Gesellschaft wider. Digitale Medien haben heute z.B.  im Kinderzimmer und auf den Schulhöfen ihren festen Platz. In der Altersgruppe der 10- bis 11-Jährigen besitzen laut KINDER MEDIEN MONITOR 2021 54 Prozent ein Smartphone, bei den 12- bis 13-Jährigen sind es schon 73 Prozent. Hier werden also Mobile Games, digitale Lernspiele oder Apps immer wichtiger. Playful Learning ist für die jungen Altersgruppen fast schon Normalität.

Außerdem nutzen immer mehr Unternehmen derartige Anwendungen selbstverständlich, etwa in den Bereichen Aus- und Weiterbildung. Die Digitalisierung der Museen, auch in Bezug auf die Verfügbarmachung der nahezu unfassbaren Bestände einiger Sammlungen, steht dabei ebenso auf der Agenda wie die Entwicklung neuer, oft game-basierter Ausstellungskonzepte und interaktiver Lösungen für die Besucheransprache.


F: Sie entwickeln für Museen, aber auch Ministerien digitale Anwendungen? Wie kann man sich so eine Zusammenarbeit vorstellen? Prallen da nicht manchmal auch Welten aufeinander?

TU: Nein. Im Gegenteil, Bund, Länder, aber auch die Industrieverbände und Stiftungen haben nicht nur die Bedeutung der Gamesindustrie für den Standort, sondern insbesondere auch das Potenzial von Serious Games zur spielerischen Vermittlung von Wissen und Kompetenzen erkannt. Was früher dicke Info-Broschüren oder aufwändige Weiterbildungen abgedeckt haben, können heute digitale Tools kostengünstiger und effizienter erledigen. Auch eher sperrige Themen wie Datenschutz, Verkehrssicherheit. Demokratiebildung, Klimawandel oder Medienkompetenz können auf spielerische Weise attraktiver und zielgruppengerechter vermittelt werden.


F: Welche Games entstehen gerade in ihrem Haus, und auf welches Spiel sind sie besonders stolz?

TU: Erst jüngst haben wir an einem Projekt des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales maßgeblich mitgearbeitet. Mit der Medienkompetenz-App „Wo ist Goldi? – Sicher Surfen im Netz“ können Grundschüler auf spielerische Weise mögliche Gefahren im Umgang mit digitalen Medien kennenlernen und verstehen.

Stolz macht uns z.B., dass unser App Game „Neanderthal: Memories“ für blinde und sehbehinderte Besucher*innen des Neanderthal Museums in Mettmann mit dem Publikumspreis beim DigAMus-Award ausgezeichnet worden ist, der die besten digitalen Angebote in Museen im deutschsprachigen Raum würdigt. Die App ist zentraler Baustein des Projekts „NMsee“, welches einen neuartigen und inklusiven Museums-Rundgang für blinde und sehbehinderte Besucher*innen im Neanderthal Museum entwickelt hat. Unser Projektpartner inkl.Design wurde jetzt sogar für seine inklusiven Taststationen mit dem international renommierten IAUD Design-Preis in der Kategorie Public Space Design ausgezeichnet.

Strategisch gewinnt für uns die Entwicklung, Lizenzierung und Vermarktung von Standardinhalten in den Bereichen Schulbildung und Corporate Learning in den verschiedensten Branchen weiter an Bedeutung.

Wir werden in naher Zukunft ein einzigartiges Projekt ankündigen: eine hybride Entwicklung für ein großes Logistikunternehmen als spielerische Trainingslösung in der Organisation, als Standardinhalt für die gesamte Branche und als Unterhaltungsprodukt im Kontext der vermittelten Lernziele. Das ist nach unserem Kenntnisstand ein Novum und kann für uns wegweisenden Charakter haben.

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