nachrichten.idw online.desternDie Frankfurter feiern ihre beiden Physiker in der Paulskirche

Klaus Hagert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vor genau 100 Jahren, in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1922, fand in Frankfurt ein wegweisender Versuch der Physikgeschichte statt: das Stern-Gerlach-Experiment. Es gilt als ein Grundstein der modernen Quantenphysik und lieferte eine Grundlage für die Entwicklung der physikalischen Theorie der Quantenmechanik und damit für Kernspintomographie, Atomuhren oder die vielfältigen heute verwendeten Lasertechnologien.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft feiert diese epochale Entdeckung zusammen mit dem Physikalischen Verein Frankfurt, dem Fachbereich Physik der Goethe-Universität und der Gesellschaft Deutscher Chemiker[BL1]  am Dienstag, 8. Februar, in der Paulskirche mit einer 90-minütigen Festveranstaltung. Die Öffentlichkeit kann dem Ereignis via Livestream folgen.

Hauptelemente der Feierstunde sind der Vortrag „Das Stern-Gerlach-Experiment – Ein Meilenstein der Physikgeschichte“ von Prof. Horst Schmidt-Böcking vom Institut für Kernphysik der Goethe-Universität sowie der Vortrag „Stern-Gerlach in der Moderne – Präzisionsphysik mit gespeicherten Ionen“ von Prof. Klaus Blaum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und Vizepräsident der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft. Zudem findet ein Dialog-Gespräch zwischen Prof. Dorothée Weber-Bruls, Präsidentin des Physikalischen Vereins, und Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, statt. Für die Stadt Frankfurt hält Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg ein Grußwort.

Sie sagt: „Der Stern-Gerlach-Versuch ist in seiner gesellschaftlichen Bedeutung auch ein Zeugnis für die fortschrittlichen Kräfte der Zwischenkriegszeit. In dieser kurzen Phase blühten Wissenschaft, Kunst und Kultur auf. Nur elf Jahre später musste Otto Stern aus dem nationalsozialistischen Deutschland flüchten und Walther Gerlach machte eine steile Karriere als Forschungsbevollmächtigter für Kernphysik unter Hermann Göring. Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, den Versuch als besonderen Moment in der Geschichte zu feiern – Eingedenk aller Widersprüche.“

Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig würdigt das 100-jährige Jubiläum: „Otto Stern und Walther Gerlach stehen mit ihrem wegweisenden Versuch stellvertretend für eine Vielzahl herausragender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in Frankfurt am Main tätig waren und sind und die unser heutiges Wissen und die Interpretation unserer Welt mitgeprägt haben. Mit ihrem Versuch an der damals neu gegründeten Goethe-Universität haben sie Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Sie haben mit dem Stern-Gerlach-Versuch eine experimentelle Grundlage für die Entwicklung zahlreicher moderner Technologien – von der Medizintechnik bis hin zur Unterhaltungselektronik – mit ermöglicht. Gleichzeitig verdeutlicht uns das Beispiel des späteren Nobelpreisträgers Otto Stern, der zunächst Frankfurt und dann Deutschland aufgrund des zunehmenden Antisemitismus wie etliche andere Spitzenforscher verlassen hat, welch unermesslicher Verlust auch auf dem Feld der Wissenschaft unserer Gesellschaft durch die NS-Zeit entstanden ist.“

Die Öffentlichkeit kann der Feierstunde unter https://hvo.events/dpg/folgen. Darüber hinaus stellt Prof. Schmidt-Böcking in einem Vortrag am Mittwoch, 9. Februar, im Historischen Museum Frankfurt um 18 Uhr (Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro) das Stern-Gerlach-Experiment und die Lebenswege der beiden Wissenschaftler Walther Gerlach und Otto Stern vor. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung „Frankfurt und der NS – Eine Stadt macht mit“ statt. Weitere Details zum Stern-Gerlach-Experiment und seiner Bedeutung und weiterführende Informationen sind auf der Website der Deutschen Physikalischen Gesellschaft unter https://bit.ly/3sjoI1r verfügbar.


Hintergrund

Das Stern-Gerlach-Experiment zeigt, dass ein Atomstrahl aus Silberatomen sich in zwei Teilstrahlen aufgespaltet, wenn man ihn durch ein inhomogenes Magnetfeld schickt. Das liegt daran, dass ein Silberatom ein magnetisches Moment besitzt. Die „Richtungsquantelung der Drehimpulse“ zeigt sich hier durch die beobachtete Aufspaltung in genau zwei Teilstrahlen – anstelle eines Strahls sowie einer zufälligen Streuung in alle Richtungen, wie ihn die bis dahin verwendeten Modelle der klassischen Atomphysik vorausgesagt hätten. Stern und Gerlach konnten die Richtungsquantelung in genau zwei Richtungen anhand zwei voneinander getrennt entstehenden Flecken auf einer Fotoplatte zeigen.

Stern und Gerlach wiesen damit im damaligen Physikalischen Institut in der Frankfurter Robert-Mayer-Straße erstmals die Richtungsquantelung des Drehimpulses von Atomen sowie Elektronen nach. „Quantelung“ bedeutet, dass deren Drehimpuls nur einige wenige feste Zustände haben kann, zwischen denen keine weitere Unterteilung möglich ist. Zunächst als Nachweis des Bahndrehimpulses eines Elektrons des Silberatoms fehlgedeutet, wissen wir heute, dass es sich um den experimentellen Nachweis des Elektronenspins handelte – also des Eigendrehimpulses („Spin“) von Elektronen. Der Spin des Elektrons kann nur die beiden im Experiment in den beiden Strahlen beobachteten Richtungen haben. Er ist von fundamentaler Bedeutung für das moderne physikalische Weltbild. Er spielt beim Aufbau der Atomhülle und damit für alle für uns sichtbare und fühlbare Materie und ihre von uns wahrnehmbaren Eigenschaften eine wichtige Rolle.

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Quelle: Stadt Frankfurt